Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
El Salvador |

El Salvador: 30 Jahre Friedensschluss ohne echten Frieden

Vor 30 Jahren, am 16. Januar 1992, wurde in El Salvador das Friedensabkommen von Chapultepec geschlossen. Es zog den Schlussstrich unter einen zwölfjährigen blutigen Bürgerkrieg, der wenige Monate nach der Ermordung von Erzbischof Óscar Romero am 24. März 1980 begann. Doch der Friedensschluss habe das Land nicht befriedet, sagt Menschenrechtsverteidiger Saúl Baños.

Gedenkmauer für die Opfer des Bürgerkriegs im Park Cuscatlan in El Salvadors Hauptstadt San Salvador. Bisher sind etwa 30.000 Namen von zivilen Opfern des Krieges, der von 1980 bis 1992 dauerte, aufgeführt. Die Mauer wurde auf Initiative von Familienangehörigen der Opfer sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen realisiert. Foto: Adveniat/Martin Steffen

Gedenkmauer für die Opfer des Bürgerkriegs im Park Cuscatlan in El Salvadors Hauptstadt San Salvador. Bisher sind etwa 30.000 Namen von zivilen Opfern des Krieges, der von 1980 bis 1992 dauerte, aufgeführt. Die Mauer wurde auf Initiative von Familienangehörigen der Opfer sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen realisiert. Foto: Adveniat/Martin Steffen

Am kommenden Sonntag jährt sich zum 30. Mal der Tag der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der linken FMLN-Guerilla und der damaligen Militärregierung in San Salvador. Wie lautet Ihre Bilanz 30 Jahre später – ist El Salvador friedlicher, demokratischer geworden?
 
Das Friedensabkommen von Chapultepec hat den Konflikt verändert, nicht beseitigt oder befriedet. Mit dem Friedensschluss hat es eine politische und ökonomische Transformation gegeben. Das ist ein Wandel, den man anerkennen muss. Zugleich sind viele Vorsätze auf der Strecke geblieben, denn an der Landkonzentration, eine der zentralen Ursachen des Krieges, hat sich nichts Wesentliches geändert. Gleiches gilt für das Niveau der Armut im Land. El Salvador ist kein armes Land. Es gibt Reichtum, aber er ist in den Händen von einigen wenigen konzentriert. Folgerichtig hat sich an der Wohnungsmisere, aber auch an dem Mangel an Arbeitsplätzen wenig geändert.
 
Wie kommt das – es hat ja nicht nur die konservative Arena-Partei regiert, sondern auch die aus der FMLN-Guerilla hervorgegangene Partei der FMLN? Ist es nicht gelungen, in El Salvador funktionierende demokratische Strukturen aufzubauen?
 
Doch, es wurden demokratische Strukturen aufgebaut. Lange hat es zwei Parteien gegeben, die die politische Landschaft dominierten. Das hat sich mit der neuen Partei „Nuevas Ideas“ von Nayib Bukele geändert – seit den Kommunalwahlen vom 28. Februar 2021 hat diese Partei die Mehrheit im Parlament. Ich betrachte das als Rückschritt, weil diese parlamentarische Mehrheit dafür gesorgt hat, dass der Generalstaatsanwalt und Verfassungsrichter entlassen wurden, allerdings nicht im Einklang mit der Verfassung.

De facto hat keine der Parteien, die dieses Land in den letzten dreißig Jahren regiert hat, die konkreten Vorschläge für den wirtschaftlichen Umbau des Landes befolgt. Die Eigentumsverhältnisse sind nicht angetastet worden, trotz einiger Reformabsichten und etlicher Versprechungen. Diese Konstellation sorgt für den Nährboden der Gewalt und die prägt El Salvador bis heute. 

Welche Rolle spielt die Landfrage?

Die Landkonzentration ist in ganz Mittelamerika ein Grundproblem. Angestrebte Landreformen haben immer wieder zur Repression geführt, zum Sturz von Regierungen mit CIA-Unterstützung, wie 1954 in Guatemala, oder - wie hier in El Salvador - zum Aufbau von Todesschwadronen, die im Auftrag der Großgrundbesitzer agierten. Hier hat es nach dem Bürgerkrieg Versuche gegeben Genossenschaften zu gründen, ihnen Land zuzuteilen, aber was es eben nicht gab, war technische Unterstützung. Die blieb aus, und so ging das Land wieder an diejenigen, die das Kapital in den Händen halten – die gleichen Familien wie zuvor.  
 
Bis zu 75.000 Tote, 8.000 Verschwundene – der Bürgerkrieg kostetete rund zwei Prozent der damaligen Bevölkerung das Leben. Sind die Verbrechen aufgeklärt und auch bestraft worden, wie es zumindest bei gravierenden Menschenrechtsverbrechen vorgesehen war?
 
Das haben wir alle gehofft, auf den Aufbau einer Kultur des Friedens vertraut. Wir als Menschenrechtsorganisation haben daran auch gearbeitet. Tatsächlich ist die Gesellschaft unseres Landes jedoch "schwer erkrankt". Das belegt der soziale Krieg in unserem Land, wofür die Maras, die Jugendbanden der bekannteste Indikator sind. 
 
Welche Rolle spielt das Amnestiegesetz von 1993, das bis 2016 galt und die Strafverfolgung von Menschenrechtsverbrechen unmöglich machte, bis das höchste Gericht des Landes es annullierte?
 
Ein große Rolle, denn nachdem die Wahrheitskommission 1993 ihre Arbeit abschloss, setzte das Amnestiegesetz die Opferbewegung schlicht schachmatt. Aufklärung und Strafverfolgung waren kaum möglich. Doch das politische Interesse an Aufklärung ist auch heute unter der aktuellen Regierung von Nayib Bukele nicht hoch. Bestes Beispiel ist das Massaker von El Mozote vom 10. bis 12. Dezember 1981. (Laut den Ermittlungen der Wahrheitskommission wurden etwa 900 Menschen in El Mozote und Umgebung von der militärischen Spezialeinheit Batallón Atlácatl ermordet. Das Massaker war der gewalttätigste Angriff der Staatsmacht auf die Zivilbevölkerung. Anm. d. Red.)

Zwar gibt es eine gerichtliche Anhörung, es wird ermittelt. Den Zugang zu den Militärarchiven hat Präsident Nayib Bukele zwar mehrfach in Aussicht gestellt, aber nie freigegeben. Seine Politik ist ambivalent, widersprüchlich und für die Opfer ausgesprochen zermürbend. 
 
Zum Friedensabkommen von 1992 gehört auch die Anordnung, besonders repressive Militär- und Polizeieinheiten aufzulösen und die Truppenstärke der Armee drastisch zu reduzieren. Ist das erfolgt?
 
Leider ist das ein weiterer Punkt des Friedensabkommens, der weder erfüllt noch eingehalten wird. Die Verfassung unterscheidet en detail zwischen Polizei- und Armeeaufgaben. In den ersten zehn  Jahren nach dem Friedensschluss war die Armee wenig präsent, hatte sich aus Politik und Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen. Das hat sich geändert mit der Durchführung gemeinsamer Patrouillen von Polizei und Armee geändert. Das ist formal ein Verfassungsverstoß, gegen den FESPAD mehrfach geklagt hat, bislang erfolglos. Unter der Regie von FMLN-Politiker Mauricio Funes, Präsident von 2009 bis 2014, gelangten wieder Militärs in Schlüsselpositionen. Der Leiter der Nationalpolizei und auch der Justizminister waren Militärs im Generalsrang, obwohl die Verfassung das verbietet. 

Ich erwähne das nur, weil heute das Militär unter Nayib Bukele wieder extrem präsent ist. Während der Pandemie und des Lockdowns war El Salvador ein komplett militarisiertes Land – wenn auch im Widerspruch zur Verfassung und dem Friedensvertrag von Chapultepec. Dabei kam es zu massiven Übergriffen, Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Polizei, wofür Präsident Bukele ihnen freie Hand gab. Ein weiteres Beispiel, das zeigt, dass die Verwirklichung des Friedensvertrags nur teilweise vorankam, dass aber auch der Respekt für das Friedensabkommen gesunken ist. Seit wenigen Tagen ist der 16. Januar ganz offiziell vom Parlament zum „Tag der Opfer des bewaffneten Konflikts“ erklärt worden. Dem Friedensvertrag und seiner Ziele fühlt sich die Mehrheit der Parlamentarier nicht mehr verpflichtet. 

 

Sonderheft über Óscar Romero
Blickpunkt Lateinamerika hat den Märtyrern und Propheten der Kirche in Lateinamerika eigene Sonderhefte gewidmet, darunter auch dem salvadorianischen Bischof Óscar Romero. Jetzt online lesen oder per mail bestellen: blickpunkt@adveniat.de

Interview: Knut Henkel

Weitere Nachrichten zu: Politik, Soziales

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz