Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
El Salvador |

El Salvador: "Attentat auf den Rechtsstaat"

Im Interview mit Blickpunkt Lateinamerika erklärt Jurist Saúl Baños, Direktor der Stiftung für das Studium der Rechtsanwendung (Fespad), warum er in der Entlassung der Verfassungsrichter und des Generalstaatsanwalts einen Angriff auf die Demokratie sieht. Er ist fünfzig Jahr alt und lebt in San Salvador.

"Das ist ein Rückschlag für die Demokratisierung des Landes, eine bewusste Verletzung der Verfassung", urteilt der salvadorianische Jurist Saúl Baños über die Entlassung der Verfassungsrichter. Foto: Fespad

"Das ist ein Rückschlag für die Demokratisierung des Landes, eine bewusste Verletzung der Verfassung", urteilt der salvadorianische Jurist Saúl Baños über die Entlassung der Verfassungsrichter. Foto: Fespad

Ende Februar wurde das Parlament in El Salvador neu gewählt. Am Samstag trat es erstmals zusammen und entließ sowohl die Verfassungsrichter als auch den Generalstaatsanwalt. Welche Bedeutung hat das für die Demokratie und die Gewaltenteilung in El Salvador?

Das ist ein Attentat auf die demokratischen Institutionen des Landes und den demokratischen Rechtsstaat. Das Parlament verschafft dem Präsidenten Nayib Bukele eine beispiellose Machtfülle und führt die Gewaltentrennung ad absurdum. Seit der Unterzeichnung der Friedensverträge 1992 hat es kein für die Demokratie in El Salvador derart gravierendes Ereignis gegeben. Das ist ein Rückschlag für die Demokratisierung des Landes, eine bewusste Verletzung der Verfassung. Diese schreibt die Gewaltentrennung vor. Dabei wurde ganz bewusst ein Gesetz zum Schutz der Verfassungsrichter ignoriert.

Der Konflikt zwischen den Verfassungsrichtern und dem Präsidenten schwelt seit rund einem Jahr. Damals forderten die Verfassungsrichter Nayib Bukele auf, seine Verordnung Nr. 19 zum Infektionsschutz zu korrigieren, weil sie Verfassungsrechte verletzte. Darauf reagierte Bukele mit Polemik. Ist die Absetzung der Richter eine direkte Folge?

Ja, zweifellos. Das Gros der Menschen, die ich gesprochen habe, hat trotzdem nicht damit gerechnet, dass Nayib Bukele und seine Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) gegen Verfassungsbestimmungen verstoßen würden. Der Artikel 186 gibt vor, dass die Verfassungsrichter nur bei spezifischen Rechtsverstößen entlassen werden können – die hat es aber nicht gegeben. Hier liegt ein Gesetzesverstoß vor. 

Auch der Generalstaatsanwalt Raúl Melara wurde entlassen. Warum?

Aus meiner Perspektive, weil er seine Arbeit gemacht. Melara hat Klagen auf den Weg gebracht und unterstützt, die Verstößen gegen Verfassungsbestimmungen durch die Verordnungen des Präsidenten nachgingen. Das hat dazu geführt, dass Melara von Anhängern des Präsidenten angefeindet wurde – das belegen zahlreiche Tweets.

Setzt sich Nayib Bukele ganz bewusst über die Gewaltenteilung hinweg – strebt er nach umfassender Macht?

Ja, es geht ihm um die totale Kontrolle in El Salvador. Die Exekutive kontrolliert er, die Legislative hat er mit dem Wahlsieg von Nuevas Ideas und der Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament übernommen und die Judikative gerät nun auch unter die Kontrolle der Regierung. Dafür steht der neue Generalstaatsanwalt, der die Regierung und deren Interessen vertreten wird, aber auch das Verfassungsgericht. Wir erwarten weitere Personalwechsel an hohen Gerichten und sind der Meinung, dass es dem Präsidenten darum geht, den gesamten Regierungsapparat zu kontrollieren. 

Nach welchen Parametern werden die neuen Richter am Verfassungsgericht ernannt – ist das transparent oder kann die Regierung Einfluss nehmen?

Es gibt ein gesetzlich fixiertes Procedere, das bei der Ernennung der neuen Verfassungsrichter allerdings nicht eingehalten wurde. Die neuen Richter wurden vom Parlament bestimmt – das dauerte kaum mehr als eine Stunde - und auch das ist eine Verletzung geltenden Rechts. Zudem gibt es Zweifel an der Qualifikation und der moralischen Integrität der fünf ernannten Verfassungsrichter. Werden sie wirklich unabhängig agieren und urteilen?, ist die zentrale Frage, die im Raum steht.

Die internationalen Reaktionen, auch die aus den USA, sind eindeutig. Vizepräsidentin Kamala Harris hat sich zutiefst „besorgt über die Demokratie in El Salvador“ gezeigt, auch aus der Europäischen Union und von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kamen besorgte Reaktionen. Hat das oder wird das einen Effekt haben?

Das lässt sich noch nicht absehen. Positiv ist die weitgehend einhellige Reaktion und auch die Tatsache, dass die Menschenrechtskommission der OAS die Situation in El Salvador beobachtet.

Über die Proteste in San Salvador am Verfassungsmonument hat sich Präsident Nayib Bukele auf Twitter lustig gemacht. Welche Relevanz haben sie und welche Relevanz haben die Medien, die zumindest theoretisch neben Exekutive, Legislative und Judikative die vierte Gewalt bilden?

Ein Charakteristikum dieser Regierung ist der Konflikt mit den Medien. Zeitungen, Online-Medien mit einer kritischen, investigativen Leitlinie passen der Regierung nicht, und deren Arbeit wird behindert. Sie werden teilweise nicht zu Pressekonferenzen zugelassen, erhalten keine Interviews aber auch keine Werbeanzeigen. 

Das erschwert ihre Arbeit, zusätzlich werden sie diffamiert – auch direkt vom Präsidenten. Hinzu kommt, dass die Regierung sich medial stark engagiert, die offizielle Sicht der Dinge möglichst flächendeckend in Szene setzt. Dafür ist das Fernsehen genauso wichtig wie die Radios und die neue Zeitung der Regierung, Diario El Salvador. Die vermitteln die offizielle Position der Regierung. Obendrein wird Geld ausgegeben, um im Ausland für ein positives Image des Präsidenten zu sorgen – durch gezielte Artikel in internationalen Medien und durch Influencer. 

Interview: Knut Henkel

Weitere Nachrichten zu: Politik

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz