Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
El Salvador |

El Salvador: Corona als Vorwand für Grundrechtsverletzungen

Kein Land in Lateinamerika hat so schnell reagiert, um ein Corona-Desaster zu vermeiden, wie El Salvador. Am 11. März wurden die Grenzen geschlossen, dann ein Notstandsgesetz verhängt. Aber das Vorgehen hat auch seine Schattenseiten: die Militarisierung des öffentlichen Lebens und zahlreiche Verhaftungen. Im Interview erklärt der Jurist Saúl Baños (50), Direktor der Stiftung Fundación de Estudio para la Aplicación del Derecho (Fespad), San Salvador, warum er sich Sorgen um die Demokratie in seinem Land macht.

FESPAD, El Salvador

Militär und private Sicherheitsdienste dürfen keine polizeilichen Aufgaben übernehmen, beides sei aber derzeit der Fall, kritisiert der salvadorianische Jurist Saúl Baños. Foto: FESPAD

El Salvadors Präsident Nayib Bukele hat sich über ein Verfassungsgerichtsurteil vom 8. April hinweggesetzt, das die rigorosen Maßnahmen  zur Pandemie-Bekämpfung seiner Regierung korrigiert hat. Was bedeutet diese Entscheidung für die Demokratie in El Salvador?
 
Die per Twitter verkündete Verweigerung des Präsidenten, das Urteil zu befolgen, und zugleich das Festhalten an dem Exekutivdekret 19 sowie die Anweisung an Militär und Polizei, es zu 100 Prozent umzusetzen, hat eine Vorgeschichte. Es gibt zwei weitere Gesetze, die tief in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen: das Gesetz über den Ausnahmezustand, der für 30 Tage galt, sowie das Gesetz zum nationalen Notstand. Beide Gesetze wurden erst vom Parlament definiert, um die Ausbreitung des Coronavirus in El Salvador zu bremsen. 

In diesem Kontext wurde das Dekret 14 am 30. März verabschiedet, welches das Territorium El Salvadors zur "Zone der sanitären Kontrolle" deklariert und Grundrechte der Bürger verletzt. Dieses Gesetz bildet die Grundlage für das Dekret 19, welches die Maßnahmen erweitert, die teils keine rechtliche Grundlage haben. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bürger, die von den Militärs durchgesetzt wird, ist ein Beispiel dafür. Dagegen klagen Menschenrechtsorganisationen wie Fespad
 
Klagen Sie gegen die Festnahme und Festhaltung der Menschen, die gegen die Quarantäne-Bestimmungen, inklusive der Ausgangsperre, verstoßen?
 
Ja, diese Menschen werden bis zu vierzig Tage in Einrichtungen festgehalten, die dafür nicht die Vorrausetzungen erfüllen, die zum Beispiel nicht über ausreichende Sanitäranlagen verfügen. Wir haben auf Freilassung dieser Personen aus rechtswidriger Haft geklagt. Das Verfassungsgericht hat uns Recht gegeben und Gesundheitsminister, Regierung, Polizei und Armee dazu verurteilt, diese Praxis einzustellen und die Festgenommen auf freien Fuß zu setzen. 
 
Polizei und Militär riegeln ganze Stadtteile ab, lassen Bewohner weder rein noch raus. Hat das Verfassungsgericht sich auch mit diesem Punkt beschäftigt?
 
Dagegen haben wir am 20. April Klage eingereicht. Diese Absperrung ganzer Stadtteile, wie in Puerto de la Libertad, ist aus meiner Perspektive nicht haltbar. Doch die Maßnahmen werden vom Militär durchgesetzt – selbst Generalstaatsanwalt Raúl Melara wurde der Zugang verweigert. 
 
Das klingt, als würden Polizei und Militär im rechtsfreien Raum agieren.
 
Ja, mehr noch: Sie missbrauchen ihre Rechte. Der Fall von Alfredo Isaac Canesa Flores, eines 19-jährigen Jugendlichen, der wegen eines Quarantäne-Verstoßes kontrolliert wurde und sich weigerte, 50 US-Dollar an die Beamten zu zahlen, um nicht in ein staatliches Centro de Contención, eine Quarantäne-Einrichtung, gebracht zu werden, hat Schlagzeilen gemacht. Die Beamten schossen ihn in beide Beine. Dazu gibt es Fotos und ein Video. Der verantwortliche Beamte wurde nun verhaftet. Allerdings hat die Polizei dagegen protestiert. 
 
Gibt es weitere Fälle von Polizeigewalt oder Bestechungsgeld?
 
Ja, die gibt es. Zudem verstößt es auch gegen geltendes Recht, dass das Militär für polizeiliche Aufgaben herangezogen wird. Militärs und private Sicherheitsdienste dürfen keine polizeilichen Aufgaben übernehmen, beides ist aber derzeit der Fall. Generell ist die strikte Ausgangssperre, die verfügt wurde, ausgesprochen problematisch. El Salvador ist ein Land mit einem hohen Grad an Informalität, das Gros der Bevölkerung lebt vom informellen Sektor und der ist stark eingeschränkt. Das schafft vielfältige Probleme. 
 
International hat Nayib Bukele für sein schnelles Agieren gegen die Verbreitung des Coronavirus jedoch meist gute Noten erhalten. Was halten Sie von den Maßnahmen, die er ergriffen hat? Dazu gehört auch die Auszahlung eines Bonus über 300 US-Dollar für große Teile der Bevölkerung, um die Quarantäne zu überstehen.
 
Die Maßnahmen haben laut der offiziellen Statistiken einen positiven Effekt, auch wenn die Dunkelziffer der Infektionen hoch sein wird. Das ist unstrittig, aber im regionalen Vergleich mit Guatemala, Costa Rica oder Honduras sind die Ergebnisse annähernd die gleichen. Dort wurden allerdings keine Verfassungsrechte verletzt. Mich erschreckt die Tatsache, dass Nayib Bukele trotzdem auf einer Sympathiewelle schwimmt. Er inszeniert sich als coolster Präsident Mittelamerikas, hat seine Macht in der Coronakrise stark ausgebaut, schwebt über allen Institutionen und könnte die Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr gewinnen und dann eventuell über eine Mehrheit im Parlament verfügen. Das ist ein Risiko, denn ein Präsident, der im Februar nicht davor zurückschreckte, Militär im Parlament aufmarschieren zu lassen, um die Abgeordneten zu nötigen, einen Kredit für militärische Ausrüstung abzusegnen, ist gewiss kein Verfechter demokratischer Strukturen.

Interview: Knut Henkel

Weitere Nachrichten zu: Soziales

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz