Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Kolumbien |

Kolumbien: „Wir fordern den Abzug des Militärs“

In der kolumbianischen Pazifikregion Chocó liefern sich kriminelle Gruppen regelmäßig Gefechte mit dem Militär. Dabei gerät die Bevölkerung zwischen die Fronten, wird bedroht und vertrieben. Die Menschen fordern deshalb die Demilitarisierung der Zone. 

Einschusslöcher an einem Wohnhaus im Chocó, Kolumbien. Foto: José Fernando Murillo Benavides

Einschusslöcher an einem Wohnhaus im Chocó, Kolumbien. Foto: José Fernando Murillo Benavides

Der Regenwald erhebt sich über dem Fluss San Juan, der an manchen Stellen so breit ist, dass man das Gefühl hat, sich auf offenem Meer zu befinden. Unterbrochen wird der grüne Teppich am Ufer gelegentlich von Pfahlbauten aus Holz, die sich in Sichtweite des Flusses nebeneinander reihen. Menschen sitzen auf den Terrassen und beobachten die vorüberfahrenden Boote. In unmittelbarer Nähe die Felder, wo Mais, Kochbananen, Zuckerrohr und Reis angebaut werden. „Das sind die Grundnahrungsmittel, die täglich auf unserem Teller landen“, erzählt Gibaldo.

Militär verbreitet Angst

Er hält das Steuer des Motors fest mit beiden Händen. Seine kräftigen Unterarme sind angespannt. Das Boot über die Flüsse zu navigieren ist Schwerstarbeit. Seit Stunden steht er in seinen Gummistiefeln im hinteren Teil des Bootes, voll konzentriert, um Baumstämmen und Sandbänken auszuweichen. Seine Augen sind rot vom Fahrtwind und der gleisenden Sonne. Als der Bug des Bootes abhebt und mehrmals auf die Wasseroberfläche knallt, erklärt der Afrokolumbianer: „Die Wellen kommen vom Militärschiff, das vor uns fährt.“ Noch ist davon nichts zu sehen. Erst nach einigen Minuten erscheint ein riesiges Metallgehäuse, ein schwimmender Panzer mit Männern in Militäruniformen im hinteren Teil des Schiffes. Es werden Blicke ausgetauscht, doch man grüßt sich nicht. Das plötzliche Auftauchen der Marine-Infanterie durchkreuzt die Idylle einer der Regionen mit der größten Artenvielfalt weltweit.

Dörfer unter Beschuss

Nach ein paar Stunden flussaufwärts tauchen drei Militärhubschrauber auf und machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Einer landet unmittelbar in Reichweite des Bootes und verschwindet hinter den dichten Baumkronen. Kurz danach hebt er wieder ab und fliegt davon. „Wahrscheinlich holen sie gerade Soldaten ab, die in der Region operieren“, vermutet Gibaldo, Menschenrechtsbeauftragter der regionalen Afroorganisation.

Der Chocó ist Kriegsgebiet, wo sich das staatliche Militär und illegale bewaffnete Gruppen regelmäßig Gefechte liefern. Erst vor zwei Tagen seien die Häuser in Monte Bravo vom Militär beschossen worden. Dies sei ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Explosionen und Detonationen führten zu Angst und Schrecken bei den Bewohnerinnen und Bewohner, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs im Dorf befanden. „Wir versuchten uns so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, denn die Militärs schossen auf alles, was sich bewegt. Einige von uns sprangen in den Fluss, andere schafften es mit Booten ans gegenüberliegende Flussufer“, berichtet Darnelly mit noch immer aufgeregter Stimme. Ein Wunder, dass dabei niemand getötet oder schwer verletzt wurde.

Plünderungen und Raub

Erst nach Stunden seien sie gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern aus den umliegenden Dörfern, die zu Hilfe geeilt waren, in ihre Häuser zurückgekehrt. Erschüttert mussten sie feststellen, dass die Militärs ihre Häuser durchwühlt und ohne Durchsuchungsbeschluss Handys, Bargeld, Ausweise und Kleidung beschlagnahmt hatten. Handyvideos bezeugen die Spuren der Verwüstung. „Die staatlichen Sicherheitskräfte attackieren die Zivilbevölkerung und durchsuchen unsere Häuser. Bis heute habe ich meinen Ausweis und mein Handy nicht zurückbekommen, und es fehlt mein Bargeld, das ich in meinem Zimmer hatte“, klagt Darnelly.

Sie zeigt uns leere Patronenhülsen und Einschüsse an den Bäumen in unmittelbarer Nähe ihres Hauses. Die Familie von Darnelly traut sich wie die anderen Bewohnerinnen und Bewohner nur mit Begleitung zurück in ihr Dorf. Sie haben Angst, dass sich das traumatische Erlebnis wiederholen könnte. Sie sind geflohen und bei Freunden und Familie in anderen Dörfern am Fluss vorübergehend untergekommen.

Rechte der Afro-Gemeinden werden mit Füßen getreten

Bis heute weiß niemand, welche Einheit für die Militäroperation verantwortlich ist, berichtet Gibaldo. Der General des Militärbataillons habe bestritten, dass seine Einheiten im Moment der Operation in der Gegend aktiv gewesen seien. Und die Mühlen der staatlichen Institutionen mahlen zu langsam, um Anfragen zeitnah zu beantworten. Der Vorfall sei keineswegs ein Einzelfall, sagt Gibaldo. Die Menschen verschiedener Dörfer sind sich einig, dass vom staatlichen Militär eher eine Gefahr als Sicherheit ausgehe. Sie berichten von willkürlichen Durchsuchungen durch das Militär, das sie fotografiert und ihre Ausweise ablichtet. „Sie behandeln uns wie Verbrecher, wo wir doch einfache Bauern sind“, beschwert sich ein Sohn von Darnelly. Und Darnelly fügt hinzu: „Im ländlichen Raum werden unsere kollektiven Rechte täglich verletzt. Hier findet das Gesetz keine Anwendung.“

Bewohner fordern Demilitarisierung

Das beweise auch die Militärbasis etwas flussaufwärts im Dorf Nuanamá am San Juan. Die Basis sei 2018 auf dem kollektiven Gebiet der Afro-Gemeinde errichtet worden, obwohl das Gesetz von 1993 eine Genehmigung des Gemeinderates erfordere, erläutert Gibaldo. Sie befindet sich in Sichtweite des Dorfes. Zuletzt kam es am 30. April zu einem Gefecht. Seitdem können die Menschen der Gemeinde nicht auf ihre Felder gehen und das Dorf verlassen. Ohne die humanitäre Unterstützung der Norwegischen Flüchtlingshilfe könnten die Menschen nicht überleben. „Wir wollen, dass die Militärbasis von unserem Land verschwindet“, konstatiert auch der Gemeinderat von Nuanamá. Die Demilitarisierung sei der einzige Weg, für Sicherheit in ihren Dörfern zu sorgen.

Autor: José Fernando Murillo Benavides

Weitere Nachrichten zu: Soziales

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz