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Kolumbien: Neue Proteste nach Suizid einer 17-Jährigen

Nach dem Suizid einer 17-Jährigen haben Demonstranten das Polizeirevier und die Rechtsmedizin in Popayán angezündet. Der Präsident schickte den Verteidigungsminister in die Stadt im Südwesten des Landes.

Massendemonstration bei Dunkelheit in Puerto Rellena in Cali, Kolumbien, am 7. Mai 2021. Foto (Symbolbild): Adveniat/Antonia Schaefer

Massendemonstration bei Dunkelheit in Puerto Rellena in Cali, Kolumbien, am 7. Mai 2021. Foto (Symbolbild): Adveniat/Antonia Schaefer

Allison Meléndez verließ am späten Donnerstagnachmittag ihr Elternhaus in Popayán, um einen Freund zu besuchen. Kurz danach geriet die 17-Jährige nach eigenen Worten in der südwestlichen kolumbianischen Stadt in die Demonstrationen im Rahmen eines neuen Generalstreiks. Ein Video zeigt, wie das Mädchen von vier Polizisten ergriffen wird, die sie an Händen und Füßen forttragen. Meléndez wehrt sich und strampelt, weil ihr die Beamten fast die Hose ausziehen. „Ihr Idioten seid zu viert gegen eine Frau“, ruft sie ihnen zu.

Suizid nach Misshandlung auf Polizeirevier

Stunden später gegen 23 Uhr wird das Mädchen von ihrer Großmutter vom Polizeirevier abgeholt, ist offensichtlich völlig verstört und voller blauer Flecke. Sofort veröffentlicht Allison eine Nachricht in den sozialen Netzwerken, sie sei von den Polizisten geschlagen und sexuell misshandelt worden. Am nächsten Morgen nimmt sich die 17-Jährige das Leben. Es ist ein neuer trauriger Höhepunkt in den seit knapp drei Wochen anhaltenden Protesten der Kolumbianer gegen ihre Regierung.
 
Was dann am Freitag in der Hauptstadt des südkolumbianischen Departements Cauca folgte, war eine Welle der Entrüstung und Wut, die zunächst vor allem von Frauenrechtsorganisationen getragen wurde: „In Kolumbien werden die Menschenrechte vom Staat immer wieder verletzt, vor allem Frauen sind in Gefahr, wenn sie auf die Straße gehen, um ein besseres Land und ein Land mit Garantien zu verlangen“, sagt die Aktivistin Elizabeth Yangana im Gespräch mit „Blickpunkt Lateinamerika“ dieser Zeitung. „Wir verlangen von der Polizei, dass sie sich für die Gewalt gegen Allison verantwortet.“ 

Proteste und Gewalt in Popayán

Im Laufe des Freitags schlossen sich immer mehr Menschen, vor allem auch Jugendliche, den Protesten in Popayán an. Es kam zu Ausschreitungen zwischen Protestierern und der gefürchteten Anti-Aufstands-Einheit ESMAD. Diese fuhr mit gepanzerten Fahrzeugen in eine Gruppe junger Menschen. Mit Blendgranaten tötete ein ESMAD-Polizist im Laufe der Zusammenstöße einen 22-Jährigen, woraufhin die Situation eskalierte und Protestierende mir Molotowcocktails die Rechtsmedizin und ein Polizeirevier in Brand setzten. Bis tief in die Nacht kam es zu Scharmützeln.
 
Mit den beiden Opfern aus Popayán sind es mindestens 45 Menschen, die seit dem 28. April im Rahmen der landesweiten Proteste ums Leben kamen. Fast einhundert gelten als verschwunden und sind mutmaßlich von der Polizei verschleppt worden. 

Internationale Organisationen und europäische Staaten fordern das Ende der Polizeigewalt und die Wahrung der Menschenrechte. Präsident Iván Duque schickte Verteidigungsminister Diego Molano und Innenminister Daniel Palacios nach Popayán, um die Wogen zu glätten. Molano ist allerdings nicht der beste Friedensstifter. Erst kürzlich bezeichnete er die Jugendlichen als Terroristen: „Wir gehen mit Schlagkraft vor, um die Kontrolle zurückzubekommen und diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für die Akte des Vandalismus verantwortlich sind, unter denen die Bevölkerung leidet. Armee und Polizei garantieren, dass diese Randalierer, diese Terroristen gefangen werden.“ Innenminister Palacios machte am Samstag kriminelle Banden und linke Guerilleros für die Attacken auf die Rechtsmedizin und die Polizei verantwortlich, zumal auch mehr als ein Dutzend Gewehre entwendet wurden. „Es waren keine friedlichen Demonstranten, die 14 Gewehre, Munition und beschlagnahmtes Marihuana entwendeten“.

Es geht um Frieden und Gerechtigkeit

Die Proteste in Kolumbien begannen Ende April gegen eine geplante Steuerreform inmitten der Pandemie. Die Reform ist seit zwei Wochen begraben, aber die vor allem jungen Kolumbianer fordern mittlerweile „ein anderes Land“, und die Gewerkschaften sowie Organisationen der Zivilgesellschaft verlangen den Rücktritt des Staatschefs, der ein politischer Ziehsohn des früheren ultrarechten Präsidenten Álvaro Uribe ist. Es geht den Menschen um das neoliberale Wirtschaftsprojekt und Duques Widerstand gegen das historische Friedensabkommen mit der Linksguerilla Farc von Ende 2016. Die Situation in Kolumbien ist vergleichbar mit den Protesten, die in Chile im Oktober 2019 losbrachen und sich gegen das gesamte Sozial- und Wirtschaftsmodell des Landes richteten. 

Rücktritte und Zugeständnisse, aber keine Konfliktlösung

Duque macht aus der Not heraus Zugeständnisse, stellt auch die kritisierte Gesundheitsreform in Frage und schafft die Schul- und Unigebühren für die drei niedrigsten Einkommensschichten per Dekret ab. Zudem verlor Duque in den vergangenen Tagen nach seinem Finanzminister Alberto Carrasquilla auch Außenministerin Claudia Blum. Sie trat wegen der anhaltenden internationalen Kritik an der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste zurück. Aber die Proteste gehen unvermindert weiter, am Samstag legte ein weiterer Generalstreik die Hauptstadt Bogotá lahm. Es wird ein heißer Sommer in dem südamerikanischen Staat werden. 

Autor: Klaus Ehringfeld

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