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Kolumbien brodelt: Der Friedensvertrag hat bisher wenig gelöst

Seit einem Jahr protestieren in Kolumbien die verschiedensten Bevölkerungsgruppen gegen die Regierung. Selbst Exguerilleros protestieren mittlerweile gegen die Unfähigkeit der Politik, die Probleme des Landes zu lösen.

Wandbemalung, Graffiti, Bogotá, Kolumbien

Graffiti für den Frieden in Bogotá, Kolumbien. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Wenn die Beliebtheit des Präsidenten ein Indikator für die Stimmung im Land ist, dürfte sie in Kolumbien zum Zerreißen gespannt sein: In einer Umfrage des Instituts Cifras y Conceptos von vergangener Woche beurteilten 63 Prozent der Befragten das Image von Präsident Iván Duque negativ und 37 Prozent positiv.

Die Beurteilung seiner Fähigkeiten im Einzelnen fällt noch bescheidener aus: Die größte Zustimmung erhielt er für seine Außenpolitik: 15 Prozent. In allen anderen Aufgabenfeldern - die für die meisten Kolumbianer viel direkter betreffen - befanden sie ihren Präsidenten für noch weniger geeignet, darunter: Wirtschaft, organisierte Kriminalität, Armut, Korruption, Drogenhandel und nicht zuletzt die Umsetzung des Friedensvertrags mit der FARC-Guerilla.

Die Baustellen in Kolumbien sind zahlreich. Seit einem Jahr protestieren die Kolumbianer immer wieder, im September kamen dabei 13 Menschen ums Leben, die meisten wurden von der Polizei erschossen. Mittlerweile verlaufen die Demonstrationen wieder friedlicher, doch das Land befindet sich weiterhin in Aufruhr.

Unsicherheit, Verletzbarkeit, Fremdenfeindlichkeit

Die meisten Probleme sind so alt wie die Republik Kolumbien. In den letzten Jahren ist jedoch ein weiteres hinzugekommen: Seit 2005 steigt die Zahl der Venezolaner. Ende Mai 2020 lebten nach Angaben der kolumbianischen Regierung fast 1,8 Millionen Staatsbürger des Nachbarlandes in Kolumbien. Die meisten sind in den letzten fünf Jahren eingewandert.

"Wer herkommt, um sich anständig ein Auskommen zu erarbeiten, ist herzlich willkommen", sagte die Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia López, am vergangenen Freitag, nachdem zwei Menschen - mutmaßlich von Venezolanern - ermordet worden waren. "Aber diejenigen, die kommen, um Verbrechen zu begehen, sollten wir ohne Umschweife abschieben."

López' hat damit sowohl Beifall als auch Kritik ausgelöst. In der Online-Zeitung Razón Pública spricht die Politologin María Clara Robayo von der Universidad del Rosario von einer wachsenden Fremdenfeindlichkeit in Kolumbien gegen eine Gruppe, die ohnehin verwundbar sei. Weniger als die Hälfte der Venezolaner hat einen regulären Aufenthaltstitel.

Allerdings werde nur eine kleine Minderheit der venezolanischen Migranten straffällig, sagt der Jurist Rodrigo Uprimny, Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen, das zeige eine Studie zur Kriminalität in Kolumbien. Uprimny hält derlei Worte aus dem Mund von hochrangigen Politikern aus mehreren Gründen für "problematisch": "Erstens simplifizieren sie die Debatte über Sicherheit und Kriminalität. So werden die Venezolaner möglicherweise zu Sündenböcken gemacht." Tatsächlich machten nach dem Auftritt von Bürgermeisterin López in den Sozialen Netzwerken hasserfüllte Kommentare gegen Venezolaner die Runde.

"Wenige Straftäter, großer Schaden"

Zweitens sei es gefährlich, in Kolumbien von Abschiebungen zu sprechen, sagte Uprimny der DW: "Zumal eine Person binnen Stunden und ohne juristischen Beistand abgeschoben werden kann, wenn die Behörden feststellen, dass dies aus 'Gründen der internen Sicherheit' geschehe."

Der junge Venezolaner Douglas Gimenéz Acosta studiert in Bogotá Rechnungswesen und Außenhandel. Er plädiert für einen harten Kurs gegen kriminelle Venezolaner in Kolumbien - so wenige es auch sein mögen: "Es gibt nur wenige Straftäter, doch diese verursachen einen riesigen Schaden für die ganze Gesellschaft, vor allem aber für uns Venezolaner." Von der kolumbianischen Regierung erwartet er verschiedene Dinge: "Stärkere Grenzkontrollen und die Prüfung des polizeilichen Führungszeugnisses von Einwanderern, aber auch echte Möglichkeiten zum Studieren und Arbeiten für diejenigen, die ihre Zukunft auf legalem Wege bestreiten und gemeinsam mit den Kolumbianern das Land gestalten wollen."

Demos, Proteste und Frieden

Das größte Konfliktpotenzial hat aber nach wie vor die schleppende Umsetzung des Friedensvertrags mit der FARC-Guerilla. Ein politischer Kompromiss, der in Streit umgeschlagen ist und immer wieder Proteste der verschiedenen Betroffenengruppen hervorruft: von Indigenen, Opfern, Gewerkschaften, Frauen und den Ex-Guerilleros selbst.

Im Oktober marschierten Indigenengruppen von Cali nach Bogotá, um auf die Gewalt in ländlichen Gebieten aufmerksam zu machen, die allein während der gut zweijährigen Präsidentschaft von Iván Duque mehr als 300 Todesopfer in ihren Reihen gefordert habe. Nachdem Duque es abgelehnt hatte, Vertreter der Bewegung persönlich zu empfangen, formulierten sie ihre Botschaft so: "Entschuldigung für die Störung, aber wir werden getötet".

Exguerilleros: "Pilgerreise für Leben und Frieden"

Gewerkschaften, Lehrer und Studenten haben in den letzten Wochen ebenfalls gegen die Regierung demonstriert. Vergangene Woche traten zum ersten Mal, seit sie die Guerilla 2016 in eine politische Partei umgewandelt haben, Vertreter der FARC bei einer Demonstration in Erscheinung. In Medellín machten sich rund 2.000 ehemalige Kämpfer auf den Weg nach Bogotá. Mit ihrer "Pilgerreise für Leben und Frieden" protestieren sie gegen die Ermordung von mehr als 230 ehemaligen Kampfgefährten seit ihrer Entwaffnung.

Kolumbien erlebt derzeit die vielleicht schlimmste Gewaltwelle der letzten vier Jahre: Der Think-Tank Indepaz hat allein in diesem Jahr mehr als 70 Massaker gezählt, also Morde von mindestens drei Menschen bei einem einzigen Verbrechen. Laut Regierung geht es fast immer um Drogenhandel und die Morde gehen meist auf das Konto von bewaffneten Gruppen aus Guerillas, Paramilitärs und mexikanischen Drogenkartellen.

Generalstreik im November?

Immer mehr Gruppen schließen sich den Demonstrierenden an. Ihre gemeinsamen Forderungen haben einige Gruppen in einer Art Notfallplan niedergeschrieben, der unter anderem eine Verbesserung des Gesundheitswesens, ein Grundeinkommen und Ernährungssicherheit vorsieht. Das "Nationale Streikkomitee", das diesen Notfallplan einfordert, hat für den 21. November einen Generalstreik angesetzt. Das ist genau ein Jahr, nachdem 50 Venezolaner unter dem Vorwurf des Vandalismus außergerichtlich abgeschoben wurden.

Aus dem Spanischen adaptiert von Jan D. Walter.

Quelle: Deutsche Welle, Autor: José Ospina-Valencia

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