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Bolivien |

"Ich wünsche mir eine Chola als Präsidentin" - Interview mit Yolanda Mamani

Yolanda Mamani ist Teil des feministischen Kollektivs "Mujeres Creando", gestaltet eine eigene Radiosendung und hat einen eigenen YouTube-Kanal. Auf diese Weise kämpft sie gegen den weit verbreiteten Rassismus in der bolivianischen Gesellschaft. Sie ist stolz darauf, eine indigene Frau, eine "Chola" zu sein. Irgendwann, so hofft sie, wird eine Chola Präsidentin von Bolivien.

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Yolanda Mamani kämpft gegen den Rassismus in der bolivianischen Gesellschaft, unter anderem mit einer eigenen Radiosendung und einem eigenen YouTube-Kanal. Foto: Andreas Hetzer

Yolanda, du kleidest dich traditionell wie eine indigene Frau aus dem Hochland, wie eine "Chola". Ist es in Ordnung für dich, wenn ich dich Chola nenne?

Es kommt auf den Ton an. In der bolivianischen Gesellschaft werde ich abwertend als Chola oder Indígena bezeichnet. Ich lebe in einer Gesellschaft, die oft rassistisch gegenüber indigenen Frauen ist. Wenn du vom Land in die Stadt kommst, dann weist dir die Gesellschaft einen bestimmten Platz zu. Sie setzt dir klare Grenzen, je nachdem wie du dich kleidest, welche Hautfarbe du hast oder ob du Spanisch mit Akzent sprichst, weil deine Muttersprache Aymara ist. Das war historisch schon immer so und hat sich bis heute kaum geändert. Ich bin stolz darauf, Chola zu sein. Die Gesellschaft akzeptiert eine Chola wie mich nicht, die sich nicht einfach unterordnet. Ich rede laut, weil es mir nicht passt, wenn mir jemand den Mund verbietet. Ich bin rebellisch. All das macht mich zur Chola. Du kannst mich also gern Chola nennen.

Wo kommst Du ursprünglich her?

Ich stamme aus Warisata in der Nähe von Achacachi, der Provinzhauptstadt von Omasuyu. Mit neun Jahren bin ich in La Paz gelandet. Eigentlich wollte ich nur die Winterferien bei der Schwester meines Vaters verbringen. Meine Tante hat mich unter falschen Versprechungen zum Bleiben bewegt. Sie hat mich schlecht behandelt und misshandelt, so dass ich abgehauen bin und mich als Hausangestellte durchgeschlagen habe. Das muss so ungefähr mit zwölf Jahren gewesen sein. 

Wie hast du Kontakt zum feministischen Kollektiv "Mujeres Creando" bekommen?

Über den Kampf für eine gerechte Behandlung der Hausangestellten. Ich habe mich mit Frauen zusammengeschlossen, die mein Schicksal teilten. Wir entschieden, unsere katastrophale Wohnsituation, die Ausbeutung unserer Arbeitskraft, die Nichtbezahlung von Sozialleistungen, Missbrauch usw. öffentlich zu denunzieren. Doch die Journalisten hörten uns überhaupt nicht zu. Entweder wurden wir kriminalisiert oder zum Opfer stilisiert. 

Das bewegte uns dazu, ohne Fürsprecher von uns selbst zu sprechen, uns selbst öffentlich zu äußern. Wir erfuhren, dass Mujeres Creando mit Radio Deseo eine eigene Frequenz hatten. So haben wir ihnen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe vorgeschlagen. Schließlich kamen wir zu unserer eigenen Sendung, die sich "Ich bin Hausangestellte mit Stolz und Würde" nannte. Wir haben sieben Tage die Woche jeden Tag eine Stunde Programm gemacht, und das sieben Jahre lang. Als die meisten von uns nicht mehr als Hausangestellte arbeiteten, verloren wir die Legitimität, aus eigener Erfahrung über das Thema zu sprechen. Aus diesem Grund gaben wir die Sendung auf.

Wie ging es danach für dich weiter?

Insgesamt habe ich 15 Jahre als Hausangestellte gearbeitet. Heute studiere ich im dritten Jahr Soziologie an der staatlichen Universität. Darüber hinaus gebe ich Workshops für Mädchen, die, wie ich, vom Land in die Stadt kommen. Ich bringe ihnen bei, sich gegen Unrecht zu wehren und ihre Stimme zu erheben. Und ich habe meine eigene Sendung bei Radio Deseo: "Frauennachrichten". Zudem habe ich einen YouTube-Kanal, der sich "Chola bocona" nennt. 

Was bedeutet der Zusammenschluss "Mujeres Creando" heute für dich?

Mujeres Creando ist für mich ein Raum, der mich von vielen mentalen Grenzen befreit hat. Es ist ein Ort der Freiheit und Widerspenstigkeit. Aber auch der innigen Freundschaft und gegenseitigen Solidarität. Hier fühle ich mich gut aufgehoben und niemals allein. Je organisierter der Kampf, desto leichter und desto mehr Spaß haben wir. Hier treffe ich mich mit anderen verrückten Frauen. Hier hecken wir gemeinsam Aktionen aus.

Welche zum Beispiel?

Vor zwei Wochen, zum Tag der Dekolonialisierung, haben wir in La Paz die Statue der Königin Isabel die Katholische als Chola verkleidet. Dieses Monument, genauso wie das von Kolumbus, hat mich schon immer herausgefordert. Wir sollten es durch etwas ersetzen, das uns Kraft gibt und unsere eigene Geschichte erzählen lässt. Warum also nicht eine Chola?

Wie stehst du zum Wahlsieg der Bewegung zum Sozialismus MAS? Immerhin ist mit David Choquehuanca ein Aymara neuer Vizepräsident.

Es freut mich, dass die rassistische Rechte abgewählt wurde. Zum Feiern war mir nach der Wahl trotzdem nicht zumute. Denn der Rassismus ist in den letzten Monaten der Übergangsregierung wieder offen zu Tage getreten. Er sitzt nach wie vor tief in unserer Gesellschaft. Das macht mir große Sorgen. 

Vor Choquehuanca habe ich viel Respekt. Weniger aufgrund seiner Verdienste als ehemaliger Außenminister, als vielmehr aufgrund seiner Bescheidenheit und Herkunft. Ich habe den Eindruck, dass er den Bezug zu den indigenen Völkern nicht verloren hat. Ich hoffe, dass die neue Regierung selbstkritisch mit der Vergangenheit umgeht und konkrete Verbesserungen für die indigenen Völker bringt.

Ich finde es bemerkenswert, dass nach der Wahl im neuen Senat wesentlich mehr Frauen als Männer vertreten sind. Ist das ein Grund zur Hoffnung?

Prinzipiell traue ich den bürokratischen Institutionen nicht. Wir haben gesehen, dass in der Regierung Morales zahlreiche Frauen vertreten waren, allerdings in niedrigeren Positionen. Aber warum kann eine Chola nicht auch Regierungsministerin oder sogar Präsidentin sein? An dem Tag, an dem wir eine Chola als Präsidentin hätten, wäre ich glücklich.

Links mit weiteren Infos:
https://soytrabajadoradelhogar.blogspot.com/ 
https://www.youtube.com/channel/UCl_N_X-kKqrM7myc56X0AFQ/featured 
http://mujerescreando.org/ 

Interview: Andreas Hetzer

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