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Bolivien: "Raus aus der politischen und ökonomischen Krise" (Interview)

Adela Cruz Quispe (50) ist Dozentin an der Universität El Alto und Direktorin des Jugend- und Kulturzentrums Chasqui, das zum Distrikt Río Seco im Zentrum von El Alto gehört. Für die Sozialarbeiterin sind die Befriedung des Landes sowie ein Ende der Korruption und Vetternwirtschaft die zentralen Herausforderungen.

El Alto, Bolivien

Adela Cruz Quispe, Sozialarbeiterin in El Alto, Bolivien, erhofft sich ein Ende der Korruption und politischen Spaltung. Foto: Knut Henkel

Blickpunkt Lateinamerika: Frau Cruz Quispe, wie ist die Situation in El Alto, vier Tage nach den Wahlen?
 
Adela Cruz Quispe: Ich sitze im Büro von Chasqui, dem Jugend- und Kulturzentrum, dass wir vor rund dreißig Jahren aufgebaut haben und es ist alles ruhig in El Alto. Das ist sehr positiv nach vielen Monaten mit massiven Konflikten in Bolivien, aber bisher wissen wir nicht, wie die neue Regierung aussehen wird und hoffen, dass sie besser agieren wird als die Interimsregierung. 
 
Wie denken Sie über die Wahl?
 
Es ist gut und richtungsweisend, dass wir zurück zu einer demokratischen Ordnung gefunden haben. Das ist ein großer Erfolg. Das Wahlergebnis wird von allen Seite akzeptiert, dass ist nicht selbstverständlich in Bolivien – das haben die letzten Monate gezeigt. Doch die große Herausforderung ist die Polarisierung. Die gilt es zu beseitigen und zu einer Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit zurückzufinden. 
 
Ist die MAS, die Bewegung zum Sozialismus, von Luis Arce dafür die richtige politische Kraft?
 
Das gilt es abzuwarten, denn wir befinden uns in einer tiefen ökonomischen und politischen Krise, aus der uns die neue Regierung nun herausholen soll. Das ist angesichts der Corona-Pandemie eine Mammutaufgabe. Sowohl Luis Arce als auch David Choquehuanca sind Kandidaten, die lange für die Politik von Evo Morales standen. Sie sind für die politischen Strukturen, die unter seiner Regie entstanden, mitverantwortlich und stammen beide aus der Mittelklasse. Gewählt wurden sie aber von der meist armen, indigenen Mehrheit. Luis Arce, ehemaliger Finanz- und Wirtschaftsminister, steht für die Wirtschaftspolitik unter Evo Morales, die längst nicht immer so erfolgreich war wie sie dargestellt wurde. Die MAS selbst ist gekennzeichnet durch paternalistische und klientelistische Strukturen. Das ist ein gravierendes Problem – wir brauchen eine Politik, die für die Mehrheit gemacht wird und nicht für die bürgerliche Mittelschicht.
 
Ist das Wahlergebnis vor allem ein Votum der indigenen, oft armen Bevölkerung, die ihre Interessen bei der MAS besser aufgehoben sieht? Ein Votum für die Demokratie und die Verteidigung indigener Interessen?
 
Ja, natürlich. Vor allem auf dem Land hat die MAS gewonnen und mit den Boni geworben, die der Bevölkerung helfen zu überleben. Diese Leistungen für Schüler, Rentner und Frauen haben jedoch Alimentierungscharakter, weshalb ich wenig davon halte. Ich denke, wir brauchen eine bessere Förderpolitik, sozial ausgerichtet und zukunftsweisend. Da lässt sich vieles besser machen, denn die Leute gewöhnen sich daran, von und mit den Boni zu leben. Das ist ein Problem.
 
Wie beurteilen Sie die Bilanz der Interimsregierung von Jeanine Áñez?
 
Ein Desaster, nicht nur weil sie ihr Mandat missbraucht hat, sondern auch weil die Korruption unter ihrer Führung zugenommen hat. Áñez hat zudem die Polarisierung weiter vorangetrieben und das Land weiter in die ökonomische und politische Krise geführt. 
 
Wo sehen Sie zentralen Herausforderungen für die Zukunft?
 
Wir müssen aus der politischen und ökonomischen Krise raus, brauchen Arbeitsplätze, müssen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Dabei sind zwei Sektoren extrem wichtig: Gesundheit und Bildung. Dort sollte die Regierung ansetzen, um neue Perspektiven für die junge Generation zu schaffen, denn die Defizite sind enorm.
 
Haben Sie persönlich Vertrauen in die MAS und ihre beiden Kandidaten für die Präsidentschaft, Luis Arce und David Choquehuanca?
 
Ich habe wenig Vertrauen in die MAS und ihre Strukturen, die von Korruption und Vetternwirtschaft geprägt sind. Aber ich habe die Hoffnung, dass die beiden Kandidaten in der Lage sein werden, die politische Polarisierung zu durchbrechen und das Land zu regieren. Ich hoffe, dass sowohl die MAS als auch die Parteien der extremen Rechte endlich anfangen nachzudenken und ihre Politik nicht nach Eigeninteressen zu gestalten, sondern nach den Interessen des Landes. 
 
Wen haben Sie gewählt?
 
Für mich gab es keinen vernünftigen Kandidaten, der für eine andere, sozial gerechtere und nachhaltigere Politik eingetreten ist – es gab nur die Option, zwischen größeren und kleineren Übeln zu wählen. 
 
Das Jugendzentrum Chasqui arbeitet unter anderem in der Konfliktprävention mit Jugendlichen und Familien – wie sehr bestimmen Konflikte in Bolivien das Zusammenleben?
 
Konflikte prägen unsere Gesellschaft und in den letzten zwölf Monaten waren diese Konflikte omnipräsent und gravierend. Das haben wir immer wieder erlebt und ich hoffe, dass die neue Regierung sich der Bevölkerung mehr verpflichtet fühlt als es die letzten beiden Regierungen waren. Das könnte die Konflikte abbauen und das würde auch uns unsere Arbeit erleichtern. Wir brauchen bessere und friedliche Perspektiven. 

Interview: Knut Henkel

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