Chile: Neues Kabinett nach gescheitertem Verfassungsreferendum
Zwei Tage nach dem deutlich gescheiterten Referendum zur Annahme einer neuen Verfassung hat Chiles Präsident Gabriel Boric sein Regierungskabinett umgebildet. Der 36-jährige Linkspolitiker wechselte am Dienstag, 6. September 2022 die Leitung von fünf Ministerien aus und stelle das neue Personal anschließend im Präsidentenpalast "La Moneda" der Öffentlichkeit vor, berichtet das chilenische Nachrichtennetzwerk "BioBio" aus der Hauptstadt Santiago de Chile. Während der Zeremonie zogen Studentenverbände Nachrichtenagenturen zufolge durch die Innenstadt und protestierten gegen den Ausgang des Referendums.
"Ich ändere dieses Kabinett und denke an unser Land", sagte Boric und bezeichnete die Umstrukturierung der Ministerriege als "dramatisch". Eine entlassene Ministerin brach bei ihrer Verabschiedung in Tränen aus. Die Umbildung "tut weh und musste weh tun, war aber notwendig", rechtfertigte der Präsident seine Entscheidung. Die gescheiterte Annahme der neuen Verfassung am Wochenende sei "eine der politisch schwierigsten Momente" in seiner Politikerlaufbahn, erklärte der Politiker von der Linkspartei "Convergencia Social“ (CS), der seit März diesen Jahres an der Spitze der 19-Millionen-Einwohnernation steht und bei Umfragen zunehmend an Zustimmung verliert. Zwei Drittel des neuen Regierungsteams sind Frauen, zuvor war rund die Hälfte weiblich. Nach der CS hat die "Sozialistische Partei" (PS) die meisten Kabinettsposten inne.
Beobachter bewerten die Ablehnung der von einer Verfassungsgebenden Versammlung ausgearbeiteten Magna Charta als einen herben Rückschlag für das regierende Parteienbündnis "Apruebo Dignidad" (deutsch.: Ich stimme der Würde zu). Die am Wochenende mit 62 Prozent der abgegebenen Stimmen abgelehnte Verfassung sollte mit der neoliberal-konservativen Gesetzgebung aus Pinochet-Diktaturzeiten brechen und hätte unter anderem ein Grundrecht auf Wohnraum, Bildung und Gesundheit, eine Frauenquote von 50 Prozent in allen staatlichen Institutionen und ein erweitertes Selbstbestimmungsrecht für Indigenen-Gemeinschaften eingeführt. In den nächsten Wochen bleibt größte Aufgabe der Regierung, wie mit dem Ausgang des Referendums umgegangen und der angestoßene Verfassungsprozess weitergeführt wird. (bb)