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Chile: Angst vor der eigenen Courage (Kommentar)

Dass die Chileninnen und Chilenen die neue moderne Verfassung abgelehnt haben, ist Ausdruck der Furcht vor großen Veränderungen in schwierigen Zeiten, aber auch Ergebnis gezielter Desinformation. Ein Kommentar von Klaus Ehringfeld.

Die Skyline von Chiles Hauptstadt Santiago. Foto: Adveniat/Matthias Hoch

Die Skyline von Chiles Hauptstadt Santiago. Foto: Adveniat/Matthias Hoch

Die Chilenen haben sich am Sonntag mit überraschend klarer Mehrheit gegen eine moderne und avantgardistische Verfassung ausgesprochen. Das ist in erster Linie zu bedauern, denn dieser Entwurf eines neuen Grundgesetzes für das südamerikanische Land war in entscheidenden Themen der Moderne vorbildlich und hätte Standards gesetzt, auf welche die Welt geschaut hätte. Bei der Frage von Geschlechterparität und Umwelt- sowie Naturschutz ging diese Verfassungsidee weiter als andere Grundnormen woanders auf der Welt. Auch hätte sie Elemente einer direkten Demokratie festgeschrieben, die der Entfremdung zwischen Regierten und Regierenden entgegengewirkt hätte. 

Sieg der Furcht

Das Ergebnis ist aber ein Sieg der Furcht. Am Ende hat bei den Menschen die Angst vor zu viel Veränderung die Hoffnung auf neue positive Errungenschaften überwogen. Dabei sind sie Opfer einer massiven Desinformations- und Lügenkampagne geworden. Die politische Rechte hat alles darangesetzt, die Annahme dieses Verfassungsentwurfs zu verhindern. Mit legalen und illegalen Mitteln.
 
Die Bevölkerung hatte vor zwei Jahren mit überwältigender Mehrheit die aktuelle Diktatur-Verfassung ausgemustert und die Vertreterinnen und Vertreter für die Verfassungsversammlung in demokratischen und freien Wahlen bestimmt. Fernab von Politikerinnen und Politikern, fernab von Parteien, mit linken Aktivisten aller Couleurs und vielen Experten, Juristen sowie Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Und der Entwurf für die Magna Charta ist ungefähr so geworden, wie man das erwarten konnte. Dabei haben maximale Forderungen, wie die nach einer Verstaatlichung der Bodenschätze, nicht einmal Eingang in den Entwurf gefunden. Aber dennoch setzte sich bei der Bevölkerung der Eindruck fest, dass dieses Modell einer Magna Charta zu radikal geraten sei. Vielen Menschen im grundkonservativen Chile gingen die Rechte für die Ureinwohner und das Festschreiben des Rechts auf Abtreibung schlicht zu weit. 

Pandemie und Wirtschaftskrise

Die Abstimmung am Sonntag fand dabei unter völlig anderen politischen und wirtschaftlichen Vorzeichen statt als im Oktober 2020 das erste Verfassungsreferendum. Dazwischen liegen eine Pandemie mit wirtschaftlichen und sozialen Folgen, eine Inflation von 13 Prozent, die Folgen des Ukrainekriegs, eine Wirtschaft im Abschwung und eine Kriminalität im Aufschwung. In so einem Moment steigt die Angst vor Veränderung und es gewinnen die beharrenden Kräfte an Gewicht. 
 
Es scheint in der gemäßigten Linken und der neuen moderaten Rechten einen Konsens zu geben, dass man das Pinochet-Grundgesetz von 1980 auf keinen Fall mehr will, aber eben den neuen Entwurf auch nicht. Was jetzt kommt, sind mindestens ein, zwei weitere Jahre politischer und sozialer Unsicherheit. Präsident Gabriel Boric hat sich noch am Sonntag für eine neue Verfassunggebende Versammlung ausgesprochen, die er mit den Parteien im Kongress abstimmen will. Das heißt, es werden in der neuen Konstituante die diskreditierten politischen Parteien eine Rolle spielen, anders als in der ausgehenden. Chile stehen also sicher weiter unruhige Zeiten bevor, zumal die Forderungen von 2019 noch aktuell sind. Wenn es nicht zügig eine neue Verfassung gibt, werden die Menschen sie irgendwann auf der Straße wieder einfordern.  

Kommentar: Klaus Ehringfeld, Chile

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