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Chile: Militarisierung in Araucanía als Brandbeschleuniger

Seit einem Monat befinden sich vier Provinzen in den Regionen Bio Bio und La Araucanía im Ausnahmezustand. Das bedeutet unter anderem, dass die Militärpräsenz in den Regionen enorm ausgebaut wurde. Während Präsident Sebastian Piñera den Kongress kürzlich aufforderte, den Notstand, der aktuell noch bis 11. November gilt, zu verlängern, warnen Menschenrechtler vor einer Spirale der Gewalt. Viele Angehörige des Volkes der Mapuche fühlen sich bedroht und unterdrückt. 

Auf dem Friedensgipfel in Temuco, zu dem die Mapuche vergangenen Freitag, 5. November 2021, eingeladen hatten, spricht Aucán Huilcamán (3.v.l.). Foto: Judith Mintrop

Auf dem Friedensgipfel in Temuco, zu dem die Mapuche vergangenen Freitag, 5. November 2021, eingeladen hatten, spricht Aucán Huilcamán (3.v.l.). Foto: Judith Mintrop

Bereits seit einem Monat herrscht in den vier Provinzen Arauco, BíoBio, Malleco und Cautín der Ausnahmezustand. Präsident Sebastian Piñera hatte diesen am 12. Oktober mit der Begründung verhängt, dass so „dem Terrorismus, dem Drogenhandel und der organisierten Kriminalität, die in diesen Provinzen und Gebieten Fuß fassen, besser begegnet werden kann.“ Nach einer zweiwöchigen Verlängerung muss nun der Kongress darüber abstimmen, ob der Ausnahmezustand in den betroffenen Regionen weiter bestehen bleibt oder aufgehoben wird. Piñera sprach sich für eine Verlängerung aus.  

Forstunternehmen für Enteignungen verantwortlich

Der Menschenrechtler und Co-Direktor vom Observatorio Ciudadano, Hernando Silva, wirft der Regierung politische und wirtschaftliche Interessen vor. „Den Ausnahmezustand zu verhängen, war völlig unnötig“, ist Silva überzeugt. Die Mapuche-Organisation Coordinadora Arauco-Malleco (CAM) habe etwa erklärt, dass sie Sabotage-Aktionen gegen die Forstunternehmen, aber nicht gegen Personen befürworteten. Denn die Forstunternehmen seien für die Enteignungen und die Verarmung der Mapuche-Gemeinden verantwortlich. „Aber das alles ist nichts Neues“, gibt Silva zu Bedenken. Die Regierung Piñeras habe bewusst Meinungsmache gegen die Mapuche betrieben, „damit sie die Politik des Unterdrückens, die durch die Ausrufung des Notstandes umgesetzt wird, rechtfertigen kann“. 

Auch Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung sehen den Ausnahmezustand und die Absichten dahinter kritisch. So sagt Rosa Catrileo Arias, Mapuche-Vertreterin aus Temuco, dass dies „eine Unterdrückungs-Politik ist, die eingesetzt wurde, um einen Konflikt um Rechte – nämlich die Anerkennung der Rechte des Mapuche-Volkes – vermeintlich zu lösen. Doch mit der Militarisierung wird nichts gelöst, sondern eher verschlimmert“. Roberto Fernández, ebenfalls ein Mitglied des Verfassungskonvents, sieht negative Auswirkungen auf deren Arbeit: „Das widerspricht der Rücksprache und der Teilnahme der Indigenen am Ausarbeitungsprozess der neuen Verfassung. Wir müssen endlich die institutionelle Gewalt beenden, die die indigenen Völker – und vor allem das Volk der Mapuche – erfahren haben.“  

Durch die Militarisierung wird Gewalt zunehmen

Vergangene Woche kam es zu einem tragischen Zwischenfall: Ein 23-jähriger Mapuche wurde bei einer Auseinandersetzung zwischen Demonstranten sowie Polizei und Militär erschossen. Die genaueren Umstände sind noch nicht geklärt. „Dass so etwas passiert, war abzusehen“, sagt Menschenrechtler Hernando Silva. Denn leider lege die aktuelle Regierung, wie auch die Vorgängerregierungen, den Fokus auf Repression, anstatt auf Dialog. „Und das in einem Gebiet, in dem ein indigenes Volk Territorialansprüche erhebt und seine Rechte als indigenes Volk einfordert“, nimmt Silva Bezug auf den Hintergrund und die Ursachen des Konflikts.    

Auch für Aucán Huilcamán, Anführer der indigenen Mapuche-Organisation Consejo de Todas las Tierras, war der tödliche Zwischenfall nur eine Frage der Zeit: „Das ist eine Konsequenz der Militarisierung unseres Gebietes, und wenn diese nicht endet, wird es auch weiterhin zu Toten kommen. Die Soldaten sind nicht darauf vorbereitet, das Sicherheitsproblem zu lösen. Sie sehen uns Mapuche als Feind. Sie sehen uns als Terroristen und Drogenhändler.“

Abstimmung über Ausnahmezustand

In einer in der Region durchgeführten Abstimmung darüber, ob der Ausnahmezustand verlängert werden solle oder nicht, stimmten fast 80 Prozent der Wähler für die Verlängerung, allerdings gaben nur 145.000 von einer Million Einwohner ihre Stimme ab. Zudem fand die Abstimmung lediglich online statt. Der auf dem Land lebende Teil der Bevölkerung hat jedoch teilweise schlechten bis keinen Internetanschluss. 

Unter anderem deshalb reichte die Organisation Modatima Wallmapu eine Beschwerde gegen Gouverneur Luciano Rivas ein und bezeichnete die Abstimmung als „illegal und willkürlich.“ Der Anwalt von Modatima Wallmapu, Antonio Madrid, hat mittlerweile bestätigt, dass die Abstimmung „gegen eine Reihe von Rechtsvorschriften verstößt, darunter das Gesetz über die Bürgerbeteiligung, das Verfassungsgesetz über die allgemeinen Grundlagen der Verwaltung, das Gesetz über den Zugang zu öffentlichen Informationen und die ILO Konvention 169 ”. Zudem sei die Befragung sehr kurzfristig durchgeführt, das Mindestmaß an Bekanntmachung und Information sei nicht eingehalten worden. 

Mapuche-Konflikt wird kriminalisiert

Eine schnelle Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Dem Mapuche-Anführer Aucán Huilcamán ist wichtig, dass der Konflikt um Land und die in der Region verübten Attentate und Machenschaften Krimineller nicht in einen Topf geworfen werden: „Die Causa Mapuche wird schon lange kriminalisiert und in den Schmutz gezogen. Es gibt Fälle von Drogenhandel hier, vor allem mit Marihuana. Und einige der Täter sind auch Mapuche. Doch das hat nichts mit dem Konflikt zu tun und muss getrennt betrachtet werden“, fordert Aucán Huilcamán.

Menschenrechtler Hernando Silva stimmt dem zu: „In den letzten 20 bis 30 Jahren haben in diesem Kampf vor allem Mapuche mit dem Leben bezahlt. Natürlich gibt es auch auf der anderen Seite Opfer schrecklicher Taten, wie zum Beispiel im Falle des getöteten Schweizer Farmer-Ehepaars Luchsinger-McKay oder andere Personen, die vom Konflikt betroffen sind. Aber das sind Einzelfälle, die unparteiisch untersucht werden müssen. Nicht so, wie das gerade der Fall ist, nämlich, dass Vorurteile bestehen. Egal, was passiert, immer werden die Mapuche beschuldigt. Und das muss aufhören. Unter dieser Voreingenommenheit stehen sowohl die Politik als auch Polizei und Justiz.“

Die neue Verfassung – eine Chance der Konfliktlösung?

In der neuen Verfassung sieht Silva eine große Chance. „Der Prozess der Verfassungsgebenden Versammlung macht mir große Hoffnungen darauf, dass wieder ein Dialog stattfinden kann zwischen der chilenischen Bevölkerung und den indigenen Völkern“, sagt Silva. Aucán Huilcamán ergänzt: „Eine Lösung wäre die Selbstbestimmung der Mapuche. Und der Staat muss endlich die Verantwortung für die Taten der Vergangenheit übernehmen und seine historische Schuld eingestehen: Genozid, die Enteignung von Territorium und den Kulturschaden. Wenn diese Dinge angesprochen werden und wir Mapuche in der Frage der Selbstbestimmung vorankommen, können wir uns treffen und uns gegenseitig verstehen.“

Text: Judith Mintrop, Chile

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