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Chile: "Gewalt gehört nicht zur Welt der Mapuche"

Im Siedlungsgebiet der Mapuche, in "La Araucanía" und "BíoBío" gilt weiterhin der Ausnahmezustand, weil sich in den letzten Wochen und Monaten Gewalttaten und Attentate gehäuft haben. Der Gouverneur der Region „La Araucanía“, Luciano Rivas, betont im Interview, wie wichtig es sei, zwischen dem Mapuche-Konflikt und den aktuell auftretenden radikalisierten Gruppen zu unterscheiden. 

Luciano Rivas ist Gouverneur der Region Araucanía im Süden Chiles. Die Lösung des Mapuche-Konflikts sieht er vor allem in einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen. Foto: Judith Mintrop

Luciano Rivas ist Gouverneur der Region Araucanía im Süden Chiles. Die Lösung des Mapuche-Konflikts sieht er vor allem in einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen. Foto: Judith Mintrop

Blickpunkt Lateinamerika: Warum war es Ihrer Meinung nach nötig, den Ausnahmezustand zu verhängen?

Luciano Rivas: Es gab leider einige Zusammenstöße – auch mit Einsatz von Waffen – zwischen Polizei und kleinen ländlichen Guerilla-Gruppen, die schwer bewaffnet sind. Zwei Polizisten kamen dabei ums Leben. 
Mit dem verhängten Ausnahmezustand gibt es nun gemischte Patrouillen aus Polizei und Militär. Dabei ist es keinesfalls so, dass das Militär die Kontrolle übernimmt. Die Soldaten unterstützen die Polizei in einer Sicherheitskrise, die wir hier in der Region haben. Denn die Polizei ist oftmals überfordert und wird überrannt von kleinen, schwer bewaffneten Gruppen. 
Leider verzeichnen wir hier praktisch jeden Tag irgendeinen Anschlag, wie zum Beispiel Brandstiftungen auf LKWs und andere Maschinen. Und das Schlimmste ist, dass die Attentate sich heute gegen Personen richten, das geht definitiv über ethische Absichten hinaus.  

Sie sprechen von Guerilla-Gruppen. In der Öffentlichkeit wird vom Mapuche-Konflikt gesprochen. Muss man hier differenzieren?

Absolut. Es gibt viele, die den Mapuche-Konflikt und die bewaffneten Gruppen in einen Topf werfen. Aber diejenigen, die aus der Region sind – ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe viele Freunde, die Mapuche sind – wir wissen, dass Gewalt nicht zur Welt der Mapuche gehört. Sie sind Chilenen, wie wir alle. Wenn man sie fragt, was sie brauchen, sind die Antworten dieselben, wie bei allen anderen: eine Behausung, Gesundheit und Bildung. Das Thema „Landbesitz“ wird oftmals erst nach diesen Grundbedürfnissen genannt.
Natürlich gibt es radikalisierte Gruppen. Sie lassen sich paramilitärisch gekleidet, mit schwerkalibrigen Waffen fotografieren – das ist definitiv ein anderes Thema. Es gibt eine Guerilla, die in unserer Zone operiert. Das Schlimmste ist, dass diese kleinen, gewalttätigen Gruppen die Repräsentativität der Mapuche für sich nutzen.

Der Mapuche-Konflikt existiert schon lange und auch Attentate gibt es immer wieder. Was hat sich in den letzten Wochen geändert?

Dies ist ein Konflikt, der schon seit mehr als 20 Jahren in der Region existiert. Aktuell richten sich viele Attentate direkt gegen Menschen, nicht mehr nur gegen [landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche] Maschinen. Bei Brandstiftungen gab es Tote.   
Der chilenische Staat hat einfach zu viel Zeit verstreichen lassen. Der Konflikt wurde hier in der Araucanía in der Vergangenheit lediglich verwaltet, aber es wurde nicht wirklich nach einer Lösung gesucht. 

Und wie sähe eine Lösung aus?

Zuerst muss das Sicherheitsproblem gelöst werden. Zweitens müssen die Forderungen des Volkes der Mapuche gehört und diskutiert werden. Aber eben nicht die Stimmen dieser kleinen Gruppen, die die Repräsentativität der Mapuche für sich nutzen – und die in Wirklichkeit, wenn man mit einem Großteil der Mapuche spricht, nicht deren Meinung vertreten. 
Und es ist an der Zeit, dass die indigenen Völker in der chilenischen Verfassung anerkannt werden. Das wurde viel zu lang hinausgezögert. Hier hat die Politik bisher versagt. Das ist eine Forderung aller indigenen Völker in Chile – nicht nur des Volkes der Mapuche. Das könnte zur Konfliktlösung beitragen. 

Eine Forderung der Mapuche ist, dass sie ihr ursprünglich angestammtes Land zurückbekommen. Wird das irgendwann passieren?

Leider hat die aktuelle Gesetzgebung den Konflikt eher noch größer gemacht. Dabei geht es vor allem um das Indigenen-Gesetz (ley indígena). Mit Hilfe dieses Gesetzes sollten die Gebiete anerkannt werden, die dem Volk der Mapuche gehörten [bevor der Staat ihnen diese während der „Befriedung der Araucanía“ weggenommen und an Kolonisatoren gegeben hat – Anm. der Red.]. Es wurde entworfen, damit der Staat eine Schuld zurückzahlt. Wenn man aber eine Schuld abbezahlt, muss die Höhe der Schuld und die Frist definiert sein – und dies ist nicht der Fall. 

Und wie wäre es mit einem Kompromiss, zum Beispiel, dass es autonome Mapuche-Gemeinschaften gibt oder einen Staat im Staate?

Generell glaube ich, dass ein Staat im Staate das Ganze nicht lösen wird. Heute ist die große Aufgabe, wie wir die Leute, die hier leben, aus der Armut holen können – vor allem diejenigen, die auf dem Land wohnen. Das wird nicht erreicht, indem man ihnen mehr Land gibt. Sondern wir müssen einen Weg finden, das Land, das zurückgegeben wurde, produktiv zu machen. Damit würden wir der ländlichen Bevölkerung Möglichkeiten geben, voranzukommen. 
Denn das „ley indígena“ lässt den Menschen keine freie Entscheidung darüber, was sie mit dem zurückgegebenen Land machen. Sie haben nicht die Möglichkeit, an einen Kredit zu kommen, sie dürfen es nicht verkaufen, sie dürfen es nicht verpachten. Letztendlich können sie nichts damit anfangen. Hier scheitert das Gesetz.

Wie sieht Ihre Lösungsstrategie als Regional-Gouverneur aus?

Wenn der Staat Lücken lässt, müssen wir uns darum kümmern, dass diese geschlossen werden. Denn ansonsten profitieren die kleinen, radikalisierten Gruppen von diesen Lücken. Und ich spreche dabei von Lücken in der Bildung, der Infrastruktur und im Gesundheitssystem. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass hier immer noch Kinder nicht am Online-Unterricht teilnehmen können, weil sie kein Internet haben, dass hier immer noch 19 Familien keinen direkten Zugang zu fließendem Trinkwasser haben und dass die Gesundheitsversorgung noch immer prekär ist. Viele Straßen sind in miserablen Zustand. Es ist also ein Mix aus vielen verschiedenen Dingen, die wir verbessern können, damit sich das Leben der Bevölkerung verbessert.  

 

Adveniat zum Mapuche-Konflikt
"Frieden ist in Araukanien möglich, wenn der chilenische Staat das Volk der Mapuche, ihre Traditionen und ihre Landrechte anerkennt", sagt Margit Wichelmann vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Erfahren Sie mehr über den Mapuche-Konflikt!

Interview: Judith Mintrop, Chile

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