Chile: Militärs gegen das Volk der Mapuche
Chiles Präsident Sebastián Piñera führt derzeit Krieg an zwei Fronten. An der juristischen erwehrt er sich der Ermittlungen wegen der „Pandora Papers“ und an der militärischen kämpft er gegen das eigene Volk, genauer gesagt gegen die rebellischen Ureinwohner der Mapuche.

Die Mapuche pflegen eigene Rituale, in denen ihre enge Verbundenheit mit der "Mutter Erde" zum Ausdruck kommt. Hier schlägt die Machi Silvia Ilan Quileo Quilaman, eine Heilerin der Mapuche, die Trommel, genannt Kultrun. Foto (Symbolbild): Adveniat/Matthias Hoch
Der rechte Staatschef verhängte jetzt den Ausnahmezustand über die Regionen Biobío und La Araucanía im Süden des Landes, rund 600 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt, und entsandte für mindestens zwei Wochen die Armee dorthin. In vier Provinzen der seit Jahrzehnten konfliktiven Region kommt es seit Monaten vermehrt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Ureinwohnern und der Staatsmacht sowie Unternehmern. Immer wieder brennen Kirchen und Häuser, werden Lkw-Fahrer angegriffen, und es sterben Mapuche ebenso wie Bauern und Polizisten. Am vergangenen Wochenende starb eine Studentin in der Hauptstadt Santiago, als Polizisten gegen eine Demonstration der Mapuche vorgingen.
Piñera verhängt Ausnahmezustand
Laut Regierungsangaben gab es in diesem Jahr bisher 1.475 Gewalttaten in der Region, das sind 46 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch die Zahl der Festgenommen stieg stark an. Nun hat Piñera dem Druck rechter Politiker und Unternehmer nachgegeben und zur Unterstützung der Polizei die Streitkräfte entsandt. Es gehe darum, gegen „die schwerwiegende Störung der öffentlichen Ordnung" in dem Gebiet vorzugehen, rechtfertigte der Staatschef. Die Gewalttaten stünden „im Zusammenhang mit Drogenhandel, Terrorismus und organisierter Kriminalität“, behauptete Piñera und begründete so die Entsendung der Militärs. Der Mapuche-Führer Aucan Huilcamán kritisierte, dass der Ausnahmezustand in eine Sackgasse führe, weil „weder Militär noch Polizei in irgendeinem Teil der Welt je Frieden hergestellt haben".
Neue Verfassung soll Rechte der Mapuche berücksichtigen
Die Entsendung der Streitkräfte ist eine weitere Volte in einer Auseinandersetzung, die älter als der chilenische Staat selbst ist. Und die Militarisierung kommt zu einem politisch besonders heiklen Zeitpunkt. Denn gerade beraten Verfassungsmütter und -väter über eine neue Magna Charta für Chile, die gerade auch den Mapuche mehr Rechte zugestehen soll. Die zwei Millionen Mapuche sind die größte Indigenen-Gemeinschaft Chiles und machen 12,7 Prozent der Bevölkerung aus. Unter ihnen ist die Armut drei Mal höher als unter dem nicht-indigenen Teil der Bevölkerung.
Denn die widerständigen Indigenen wurden erst von den Kolonisatoren und später dem chilenischen Staat systematisch und strukturell ausgegrenzt und ihre angestammten Gebiete ausgebeutet. In der grünen und an Rohstoffen reichen Region Araukanien geben die Nachfahren deutscher und schweizerischer Einwanderer den Ton an. Sie wurden Ende des 19. Jahrhunderts gezielt angeworben, um den rauen Süden zu besiedeln. Dafür erhielten sie vom chilenischen Staat Landtitel. Oft waren die Territorien aber Gebiete, von denen die Mapuche vertrieben worden waren. Den Nachfahren der Einwanderer gehören noch heute die meisten Unternehmen, Ländereien sowie Eukalyptus- und Kieferplantagen. In ihrem Kernland verfügen die Mapuche lediglich über 15 Prozent der Ländereien. Doch seit einigen Jahren setzen sie sich vehement für ihre Rechte ein, fordern die Rückgabe von Territorien und wollen Selbstbestimmung. Ein explosives Gemisch.
Indigene Professorin leitet Verfassungskonvent
Wie sehr die Mapuche ignoriert werden, zeigt die Tatsache, dass in Chile anders als in Argentinien, Ecuador oder Peru zum Beispiel die Existenz der indigenen Völker in der Verfassung nicht anerkannt wird. Gerade deshalb war bei den massiven Sozialprotesten Ende 2018 auch die Mapuche-Fahne eine Art Banner der Protestierer. Und die Mapuche sind in der Mitte Mai gewählten Verfassunggebenden Versammlung besonders repräsentiert. 17 Sitze in der „Constituyente“ sind den zehn Ureinwohnervölkern reserviert. Einen davon hat die Linguistik-Professorin und Mapuche Elisa Loncón inne, die gleichzeitig dem Gremium vorsitzt. Sie kritisierte die Ausrufung des Ausnahmezustands als „besorgniserregend“ und forderte „politische Lösungen“, die es erlaubten, die Kultur der Mapuche zu respektieren und ihre Armut zu überwinden“.
Präsident wegen Pandora Papers unter Druck
Für Piñera, der kaum mehr als 20 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung hat, ist der Konflikt fünf Monate vor dem Ende seiner Amtszeit nur eine von vielen Baustellen. Gerade erst hat das oppositionelle Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn wegen der Enthüllungen eines internationalen Recherchenetzwerkes im Rahmen der „Pandora Papers“ eingeleitet.
Hintergrund ist der Verkauf der Bergbaufirma „Minera Dominga“ im Norden des Landes an einen Geschäftsmann und Freund Piñeras 2010 während dessen erster Amtszeit. Der Verkauf über 152 Millionen Dollar wurde demnach über die Jungferninseln abgewickelt, einer bekannten Steueroase. Vor wenigen Tagen hatte bereits die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren aufgrund eines Anfangsverdachts wegen Korruption und Steuervergehen gegen den Präsidenten eingeleitet.
Das chilenische Recht kennt keine Immunität für Staatschefs, weshalb auch gegen den Amtsinhaber ermittelt werden kann. Theoretisch ist sogar die Festnahme Piñeras möglich.