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Venezuela |

Studie: Extreme Armut in Venezuela nimmt weiter zu

Die Lebensbedingungen in Venezuela haben sich laut einer aktuellen Studie der katholischen Universität (UCAB) in Caracas weiter verschlechtert: Inflation und Mangelwirtschaft führen zu mehr Armut, weniger Bildung und anhaltender Flucht.

Jesus Parra (28) und Rosmary Gallardo (22) sind mit ihren beiden Kindern aus Venezuela geflohen und suchen in Manaus, Brasilien, nach neuen Perspektiven. Sie verkaufen auf der Straße getrocknete Früchte und Kaffee. Hilfe erhalten Sie über die von Adveniat unterstützte Migrantenpastoral der Scalabrinianer-Schwestern. Foto: Adveniat/Florian Kopp

Jesus Parra (28) und Rosmary Gallardo (22) sind mit ihren beiden Kindern aus Venezuela geflohen und suchen in Manaus, Brasilien, nach neuen Perspektiven. Sie verkaufen auf der Straße getrocknete Früchte und Kaffee. Hilfe erhalten Sie über die von Adveniat unterstützte Migrantenpastoral der Scalabrinianer-Schwestern. Foto: Adveniat/Florian Kopp

Im letzten Jahr hat die extreme Armut in Venezuela um fast neun Prozent zugenommen. Mehr als zwei Drittel aller Venezolaner leben demnach in extremer Armut und haben weniger als zwei Dollar täglich zur Verfügung. Auf dem Arbeitsmarkt gingen 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren und die Bildungsrate ist um fünf Prozent gesunken. Dies sind die Daten, die das Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (IIES) der Katholischen Universität Andrés Bello (UCAB), Caracas, in einer landesweiten Erhebung zu den Lebensbedingungen (ENCOVI) für das Jahr 2021 gesammelt hat.

Im Rahmen der Erhebung wurden zwischen Februar und März in 22 venezolanischen Bundesstaaten insgesamt 17.402 Familien befragt. Laut Studie verbleibt die Armut in Venezuela auf einem sehr hohen "Niveau von 94,5 Prozent", während die extreme Armut weiter zunimmt und zwei Drittel der Familien des Landes betrifft - das sind 76,6 Prozent. Darüber hinaus ist im letzten Jahr die Zahl der Haushalte, die von mehrdimensionaler Armut betroffen sind, weiter gestiegen. Das bedeutet, dass die Menschen mehrfach benachteiligt sind, wie zum Beispiel bei Bildung, Wohnen, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Einkommen und Beschäftigung. 

Uni-Rektor ruft Politiker zum Handeln auf

Bei der Präsentation der Studie, die auf YouTube und Zoom übertragen wurde, stellte der Rektor der UCAB, Pater Francisco José Virtuoso (sj), "mit großer Sorge fest, dass der Staat und die Politik diesen Studien wenig Aufmerksamkeit schenken [...] Wir sehen auch nicht, dass die internationalen Organisationen für Zusammenarbeit, abgesehen von ihrem Interesse, diese Zahlen zu kennen, diesen Input nutzen, um ihre Arbeit effektiver zu gestalten". Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen im November hofft der Jesuit, dass diese Daten von den Kandidatinnen und Kandidaten herangezogen werden, um entsprechende Aktionspläne zu entwickeln. Er rief die Bürger auf, sich mit den Informationen zu befassen und sie zu nutzen. "Wir hoffen deshalb auch, dass die Wählerinnen und Wähler […] von den Kandidaten Leitlinien für die Bewältigung der in dieser Studie dargelegten ernsten Herausforderungen verlangen werden", betonte er.

Versteckte Arbeitslosigkeit

Nach Aussage von Professor Luis Pedro España waren die Faktoren, die die Lebensqualität der Venezolaner im vergangenen Jahr am meisten beeinträchtigt haben, die Treibstoffkrise und die Schutzmaßnahmen gegen Covid-19. Die Kombination dieser beiden Faktoren hat dazu geführt, dass "die Hälfte der Venezolaner im produktiven Alter in die Nichterwerbstätigkeit gedrängt wurde und diejenigen, die weiterhin arbeiten, dies unter viel prekäreren Bedingungen tun als in den vergangenen Jahren". Mittlerweile arbeiten rund 50 Prozent der Erwerbstätigen auf eigene Rechnung. Sprich die Anzahl der Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, steigt, während die Zahl der Arbeiter und Angestellten weiter sinkt. Die Studie spricht von versteckter Arbeitslosigkeit. In Venezuela gebe es schlicht keine Arbeit.

Produktion kommt zum Erliegen

Als einen weiteren wichtigen Aspekt nannte Professor España die Ungleichheit und erinnerte daran, dass "zehn Prozent der Menschen mit dem höchsten Einkommen 40 Prozent des gesamten nationalen Einkommens auf sich vereinen". Das Problem sei derzeit jedoch nicht die Ungleichheit, sondern die fehlende Produktivität. "Wenn dieses Land nicht produziert, werden wir weiterhin arm sein. Damit dies geschehen kann, müssen wichtige Änderungen vorgenommen werden, damit Vertrauen geschaffen wird, damit Investitionen getätigt werden, damit wir Sicherheit haben, damit wir zuverlässige Institutionen haben. Es muss eine Reihe von Veränderungen geben“, forderte er.

Derweil versucht Venezuela zum wiederholten Mal mit einer Währungsanpassung die Hyperinflation in den Griff zu bekommen. Seit dem 1. Oktober 2021 ersetzt der Bolívar Digital den Bolívar Soberano. Sechs Nullen wurden bei der Währungsreform gestrichen. Davor war die höchste Banknote mit einer Million Bolívar umgerechnet rund 25 Cent eines Dollars wert. 

Weniger Kinder und Jugendliche in Bildungseinrichtungen

Professorin Anitza Freitez, Demographin und Koordinatorin des Umfrage-Projekts, wies auf die Folgen der Schließung von Bildungseinrichtungen während der Pandemie und die negativen Auswirkungen auf die Bildungsrate in allen Altersstufen hin, insbesondere in der Grund- und Hochschulausbildung. Laut der Daten ist die allgemeine Bildungsrate junger Menschen von 3 bis 24 Jahren im Zeitraum zwischen 2019 und 2021 um 5 Prozentpunkte auf 65 Prozent gesunken. Das bedeutet, dass weniger als zwei von drei jungen Menschen in einer Bildungseinrichtung registriert sind. Die sozialen Ungleichheiten beim Lernen haben sich durch den Distanzunterricht ebenfalls vergrößert, ohne dass Lehrern und Schülern sowie den Familien Unterstützung zuteil wurde.

Immer mehr Venezolaner verlassen ihr Land

Zur anhaltenden Fluchtbewegung aus Venezuela stellt die Studie fest, dass die meisten der rund fünf Millionen Venezolaner, die seit 2015 ihrem Land den Rücken gekehrt haben, Männer sind; fast die Hälfte sind junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren. 90 Prozent der Migranten gehören zur Altersgruppe der der 15- bis 49-Jährigen. Hauptgrund für die Auswanderung ist nach wie vor die Arbeitssuche (86 Prozent), an zweiter Stelle steht die Familienzusammenführung. Die Migranten stammen aus allen sozialen Schichten. Zwei von drei Migranten verfügen im Ausland über einen regulären Aufenthaltssatus, entweder, weil sie die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes erworben haben (12 Prozent), eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung (16 Prozent) oder eine befristete Genehmigung (33 Prozent) besitzen. Drei von fünf schicken Geld- oder Sachleistungen in die Heimat, 57 Prozent von ihnen ein- oder zweimal im Monat. Die Koordinatorin der Umfrage, Professorin Freitez stellte fest, dass "trotz der Pandemie der Prozentsatz der Rückkehrer recht gering ist: nur fünf Prozent der Migranten, die das Land verlassen haben, kehren zurück".

nvb (Fides 01/10/2021)/Encovi/dw.com

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