Steinmeier bei Lula in Brasilien: Hilfe für den Regenwald
Der Amazonas-Regenwald ist bedroht und damit auch das globale Klima. Hoffnungen ruhen auf der neuen Regierung unter Lula. Bundespräsident Steinmeier verspricht Hilfe.
Wie ein unendlicher grüner Teppich sieht der Amazonas von oben aus. Der Bundespräsident ist bei strahlendem Sonnenschein auf die Plattform des Atto-Forschungsturms hochgestiegen, ausgestattet mit Sicherungsgurten und Helm. Mitten im größten Regenwald der Welt, weit ab von jeder Zivilisation. "Die Luft ganz oben ist gut", sagt Frank-Walter Steinmeier, als er wieder festen Boden unter den Füßen hat.
Der Atto-Turm ist das Herzstück der Forschungsstation "Amazon Tall Tower Observatory". 325 Meter ragt er in die Höhe, fast so hoch wie der Eiffelturm in Paris. Mitten im Urwald steht der Atto-Turm und ist voller hochsensibler Messgeräte. Hier arbeiten Wissenschaftler aus Deutschland und Brasilien. Sie analysieren die komplexen Prozesse, wie der Amazonasregenwald das globale Klima beeinflusst.
Der Bundespräsident ist mit einer großen Delegation aus Deutschland nach Brasilien gekommen. Die Umweltministerin ist dabei, ein Staatsminister aus dem Auswärtigen Amt und ein Staatssekretär vom Entwicklungsministerium. Sie alle wollen die Aufmerksamkeit auf das bedrohte Weltklima lenken. Sie wollen zeigen, wie wichtig der Schutz des Amazonasregenwaldes ist. Nicht nur für Brasilien, sondern für den ganzen Planeten. Und sie wollen Lula da Silva von Tag eins seiner Präsidentschaft unterstützen - beim Kampf gegen die Vernichtung des Regenwaldes.
Lula hat versprochen, den Klimaschutz zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit machen. Er will die Abholzung des Amazonas bis zum Jahr 2030 auf Null senken. Dafür, sagt Steinmeier, brauche Lula die Unterstützung aus aller Welt. Und natürlich auch aus Deutschland. "Auch wenn die Region weit weg ist von Deutschland, sie ist die Lebensgrundlage für viele Menschen auf der Erde“, sagt Steinmeier. "Und diese Lebensgrundlage ist in Gefahr."
Dem Amazonasregenwald droht Gefahr von zwei Seiten
Schon jetzt emittiert der Amazonasregenwald in Teilen mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, als er an diesen Stellen aufnimmt. Erreicht das Waldsystem in seiner Gesamtheit seinen Kipppunkt, wird der größte Regenwald der Welt unwiederbringlich zerstört sein - mit unabsehbaren Folgen. "Wir kennen noch nicht alle Prozesse, die freigesetzt würden, wenn das System kippt. Aber es wird wahrscheinlich dramatische Folgen haben", sagt Christopher Pöhlker. Der Forscher vom Max-Planck-Institut in Mainz arbeitet seit Jahren mit in dem deutsch-brasilianischen Forschungsprojekt im Amazonas. Der Regenwald, so sagt er, werde von zwei Seiten in die Zange genommen: vom Klimawandel und von der Entwaldung. Beides führe zur Austrocknung des Ökosystems. Rund 20 Prozent des Amazonas seien schon zerstört. "Und das ist richtig kritisch."
Deshalb gilt nun: bloß keine Zeit verlieren und schnell handeln. Man merkt der mitgereisten Umweltministerin Steffi Lemke die Sorge an: "Wir müssen den Amazonas retten, wenn wir die Klimakrise stoppen wollen." Entscheidend seien die nächsten zehn Jahre. Danach wäre die Chance tatsächlich verstrichen. "Wir wollen das Signal setzen, dass der Schutz des Amazonas, der Schutz des Klimas und der Kampf gegen das Artenaussterben für diese Bundesregierung eine wirklich essentielle Aufgabe ist und wir dafür alle Mittel mobilisieren."
35 Millionen Euro hat die Bundesregierung zum Amtsantritt von Lula für den Amazonas-Fonds freigegeben. Geld, das unter Lulas Vorgänger, dem rechtsextremen Jair Bolsonaro, eingefroren war. Bolsonaro hatte die Abholzung und Brandrodung des Regenwaldes offen zugelassen. Jetzt sollen schnell erste Projekte angestoßen werden, die genau das verhindern. "Das ist kein Geld an Brasilien. Sondern das ist Geld an die Kinder und Kindeskinder in unseren Regionen, weil auch ihre Lebensgrundlage hier berührt ist", sagt Steinmeier.
Noch zu wenig finanzielle Unterstützung für den Regenwald
Aber es gibt auch Kritik. "Die 35 Millionen Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein", bemängelt etwa Christof Schenk, der Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, einer renommierten, international tätigen Naturschutzorganisation. Allein für die Folgen der Flutkatastrophe im deutschen Ahrtal sollen 30 Milliarden Euro eingesetzt werden. "Wir müssen in ganz anderen Dimensionen denken", so Schenk. "Niemand darf sich der Illusion hingeben, dass es egal ist, was in Brasilien passiert. Das geht uns alle an." Auch Schenk ist Teil der Reisegruppe des Bundespräsidenten, die jetzt im kargen Camp im Schatten sitzt und sich von den Forschern vor Ort die Lage erklären lässt.
Alle hier betonen, wie wichtig jetzt die angekündigte Kehrtwende in Brasiliens Klimapolitik ist. Klar ist aber auch, wie schwierig das für den neuen Präsidenten wird. In Brasiliens Nationalkongress haben die rechten Parteien die Mehrheit und Lula muss auf sie zugehen, wenn er etwas erreichen will.
Drei Tage hat sich der Bundespräsident Zeit genommen, um in Brasilien für einen Neuanfang der Beziehungen zu werben. Während der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro waren die erheblich gestört. Brasilien ist mit seinen 215 Millionen Einwohnern eine der größten Volkswirtschaften der Welt und reich an Rohstoffvorkommen. Das Land versorgt mit seinen Agrarexporten weite Teile der Weltbevölkerung. Und das passt zum deutschen Kurs: Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der Erkenntnis, wie abhängig Deutschland von russischem Öl und Gas ist, preisen etliche Politiker und Politikerinnen die Losung: diversifizieren, nicht mehr abhängig sein von einem Land.
Marina Silva: Brasiliens neue, alte Umweltministerin
Für die Umwelt- und Klimapolitik hat Lula eine international anerkannte Kämpferin an seiner Seite: Marina Silva ist die neue Umweltministerin Brasiliens. Sie war schon in Lulas erstem Kabinett Ministerin und maßgeblich dafür verantwortlich, dass in der ersten Amtszeit Lulas die Abholzung im Amazonas drastisch reduziert wurde. Im Streit mit Lula schmiss Silva ihr Amt 2008 allerdings hin. Jetzt also der nächste Anlauf.
In Brasilia hat Umweltministerin Steffi Lemke mit ihrer Amtskollegin Marina Silva eine enge Zusammenarbeit verabredet. "Ich bin sicher, wenn es an der Frage weiterer Gelder haken würde, wir auch Möglichkeiten finden als internationale Staatengemeinschaft, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen." Geld, das auch für Forschungseinrichtungen wie das Atto-Projekt gebraucht wird.
"Immer wenn ich zur Forschungsstation komme, habe ich ein Gefühl von Demut." sagt der Forscher Christopher Pöhlker, als sich die Delegation auf den Rückweg macht. "Demut vor der überwältigenden Natur. Aber auch Demut vor der Verantwortung, als Wissenschaftler die komplexen Zusammenhänge richtig zu erklären."
Jeeps transportieren die Gäste aus Deutschland zu den Wasserflugzeugen, die sie zurück bringen in die Zivilisation. Und wieder gibt es einen fantastischen Blick von oben auf die unendlichen Weiten des Amazonas. Noch ist seine Fläche größer als die aller Staaten der Europäischen Union zusammen.