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Brasilien |

Politische Aufräumarbeiten nach dem Angriff auf die Demokratie

Nachdem Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro das Regierungsviertel in Brasília verwüstet haben, sammelt sich das politische Brasilien nahezu geschlossen hinter dem neuen Präsidenten Lula da Silva.

Brasiliens Hauptstadt Brasília von oben. Foto (Symbolbild): Escher/Adveniat

Es wird sicher noch einige Zeit dauern, um das Chaos und die Zerstörung zu beseitigen, die Anhänger des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro (2019 bis 2022) am Sonntag in Brasília angerichtet haben. Einige der Schäden am Weltkulturerbe der brasilianischen Hauptstadt könnten sich sogar als irreparabel erweisen. Ende der 50er Jahre hatte Präsident Juscelino Kubitschek die Planstadt voller Baudenkmäler unter der Leitung des Jahrhundertarchitekten Oscar Niemeyer als Symbol der föderalen Republik erschaffen lassen.

Demokratische Institutionen zeigen sich wehrhaft

Dass nicht auch noch die brasilianische Demokratie einen dauerhaften Schaden davonträgt, liegt nun an ihren Institutionen und deren Repräsentanten. Und die geben sich entschlossen, den Rechtsstaat mit all seinen Mitteln zu verteidigen.

Noch während des Angriffs auf die Gebäude rund um den "Platz der drei Gewalten" erließ Präsident Lula da Silva zunächst eine "Bundesintervention" bis Ende Januar. Mit diesem Dekret kann die Bundesregierung - ausnahmsweise und befristet - die Autonomie einzelner Bundesstaaten und des Hauptstadtdistrikts einschränken, wenn dort etwa durch Unruhen die Ausübung der Justiz bedroht ist. Mittlerweile haben das Repräsentantenhaus und der Senat die Bundesintervention in symbolischen Abstimmungen bestätigt. Gegenstimmen gab es nur im Senat, unter anderem von Bolsonaros Sohn Flávio.

Ebenfalls am Sonntag suspendierte Bundesrichter Alexandre de Moraes den Gouverneur von Brasília, Ibaneis Rocha, der für die Sicherheit im Bundesdistrikt verantwortlich ist. In seiner Begründung sagte de Moraes, die Ausschreitungen hätten in dieser Form nur "mit dem Einverständnis und sogar der effektiven Unterstützung von Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten" stattfinden können. Den Berichten zufolge hatte die Polizei über geraume Zeit nahezu keinen Widerstand gegen die Randalierenden geleistet. Die Arbeitsweise der Sicherheitskräfte in der Hauptstadt müsse unbedingt auf den Prüfstand, sagte die Politologin Carolina Botelho der Deutschen Welle. Wenn in dieser Hinsicht nichts geschehe, würden die unterschiedlichen staatlichen Sicherheitskräfte an Legitimität einbüßen.

Brasiliens Institutionen geschlossen hinter Präsident Lula

Die Spitzen der Verfassungsinstitutionen - Regierungspräsident, Kongress und Oberstes Gericht - unterschrieben eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Taten als "terroristisch, kriminell und umstürzlerisch" einstufen und zur "Verteidigung von Frieden und Demokratie" aufrufen.

Analysten sehen darin ein starkes Signal, zumal der Vorsitzende des Repräsentantenhauses Arthur Lira, zumindest bisher, zu den Unterstützern Bolsonaros zählte. Wie groß oder justiziabel dessen Rolle bei den Vandalismus-Exzessen auch immer war: "Niemand hat gewagt, Bolsonaro zu verteidigen", beobachtete der brasilianische Journalist und Politikberater Thomas Traumann im US-Politmagazin "America's Quarterly". "Heute ist es zu einem Risiko geworden, an Bolsonaros Seite zu stehen."

Kommt nach dem Aufstand Lulas große Chance?

Die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2022 hatte Bolsonaro in der Stichwahl nur knapp verloren. Viele seiner Wähler hatten jedoch weniger für Bolsonaro als gegen den späteren Wahlsieger Lula da Silva gestimmt, der wegen diverser Korruptionsskandale seiner Arbeiterpartei PT von vielen Menschen in Brasilien äußerst kritisch gesehen wird.

Für diese Wählergruppe, vermuten viele Beobachter, wäre Bolsonaro künftig unwählbar. Ein erster Hinweis darauf: Im "Index der digitalen Beliebtheit" des Beratungsunternehmens Quaest haben sich die Punkte des Ex-Präsidenten seit Sonntag auf 21 von 100 Punkten halbiert. Der aktuelle Präsident, meint Traumann, könnte dies für sich nutzen und breite Allianzen bis ins konservative Lager hinein schmieden, das nun darauf bedacht sein dürfte, sich deutlich von den "Betrügern" abzugrenzen: "Lula hat nun die einmalige Gelegenheit, die radikale Opposition zu zerschlagen und genau die landesweite Legitimation zu erlangen, die ihm die Bolsonaristen absprechen wollten."

Regierung und Justiz kündigen gründliche Aufarbeitung an

Am Tag nach den Ausschreitungen wurden Protest-Camps im ganzen Land auf Geheiß des Obersten Gerichts aufgelöst. Im Lager nahe dem Hauptquartier der brasilianischen Streitkräfte in Brasília wurden nach Angaben der Bundespolizei dabei mehr als 1000 mutmaßliche Bolsonaro-Anhänger festgenommen und identifiziert. Ihnen drohen Anklagen wegen verschiedener Delikte.

Ebenso sollen die Hintermänner und Finanziers der Aktion vor Gericht gestellt werden, wie Bundesrichter Moraes in einem Tweet ankündigte. Nach Angaben der "Folha de S. Paulo" sind im Justizministerium bereits 30.000 Hinweise auf mögliche Teilnehmer und Organisatoren eingegangen.

Die delikate Rolle der Sicherheitskräfte

Die Staatsanwaltschaft des Bundesdistrikt hat zudem eine Untersuchung des zweifelhaften Verhaltens der verschiedenen Polizeieinheiten eingeleitet. In den brasilianischen Sicherheitskräften, das Militär eingeschlossen, gab es viele Sympathisanten des abgewählten Präsidenten Bolsonaro. Der entlassene Gouverneur von Brasília, Rocha, gehörte ebenso dazu, genauso wie sein Sicherheitsbeauftragter Anderson Torres, der unter Bolsonaro Minister für Justiz und Innere Sicherheit war. Der Leiter der Bundesintervention wirft Torres vor, die Sicherheit in der Hauptstadt sabotiert zu haben.

So wichtig es nun sei, die demokratischen Institutionen entschlossen zu verteidigen, kommentiert Brian Winter, Chefredakteur von "America's Quarterly", so kritisch sei es für Lula, die politische Balance zu wahren: "Die Möglichkeit einer Säuberung, insbesondere wenn herauskommt, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte den Randalierern hinter den Kulissen geholfen haben, könnte die brasilianische Politik in den kommenden Monaten destabilisieren."

Autor: Jan D. Walter (Deutsche Welle)
Mitarbeit: Fábio Corrêa und Fernando Caulyt

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