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Peru nach der Wahl: Kein Ende der politischen Krise in Sicht

Im dritten Anlauf könnte es Keiko Fujimori, die Tochter von Ex-Diktator Alberto Fujimori, schaffen und wirklich in den Präsidentenpalast einziehen. Für die peruanische Demokratie wäre das ein Tiefschlag. Doch auch ihr Kontrahent Pedro Castillo vertritt extreme Positionen. Für den 51-jährigen Dorflehrer ist die Gewaltenteilung nicht unbedingt nötig und das Verfassungsgericht obsolet. Für Salomón Lerner, ehemaliger Vorsitzender der Wahrheitskommission, steht Perus Demokratie vor der Zerreißprobe. 

Eine Atomisierung des Parteienspektrums und Demokratiemüdigkeit bescheinigt Salomón Lerner, ehemaliger Leiter der Wahrheitskommission in Peru, seinem Land. Die politische Krise werde sich fortsetzen, so der Professor. Foto (Archiv): Adveniat/Achim Pohl

Eine Atomisierung des Parteienspektrums und Demokratiemüdigkeit bescheinigt Salomón Lerner, ehemaliger Leiter der Wahrheitskommission in Peru, seinem Land. Die politische Krise werde sich fortsetzen, so der Professor. Foto (2007): Adveniat/Achim Pohl

Mit 19,12 Prozent der Stimmen liegt Pedro Castillo nach Auszählung von 99,88 Prozent der Stimmen durch die Nationale Wahlbehörde (ONPE) unangefochten an der Spitze der Präsidentschaftskandidaten in Peru. Der linke Grundschullehrer mit plakativen Parolen ist die absolute Überraschung des ersten Wahlgangs. Niemand hatte den Mann aus der im Norden Perus liegenden Provinz Chota auf dem Zettel, der für die marxistisch-leninistische Kleinstpartei "Perú Libre" kandidiert.

Erstmals trat Castillo als Anführer des Lehrerstreiks im Jahr 2017 in Erscheinung und galt lange in den Umfragen als Außenseiter unter den 18 Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Staatsamt. Beim Urnengang am Sonntag konnte Castillo die mobilisieren, die sich schon lange nicht mehr gehört fühlen. „Die mies bezahlten Lehrer in den ländlichen Regionen, aber auch viele einfache Bauern, die von der Politik lange nicht beachtet wurden“, meint Salomón Lerner. 

Ein zersplittertes Parteienspektrum

Der 76-jährige ehemalige Leiter der Wahrheitskommission hatte schon vor dem 11. April kein gutes Gefühl, weil das Parteienspektrum sich schlicht „atomisiert“ hat. „Die einst sozialdemokratische Apra hat durch diverse Korruptionsprozesse jeglichen Rückhalt der Wähler verloren. Darüber hinaus ist die einzige Partei mit Tradition die Acción Popular – alle anderen sind Wahlplattformen im Dienste einer Kandidatin oder eines Kandidaten“, analysiert Lerner. Oft verfolgen die Gesichter dieser Wahlplattformen eigennützige Motive, wie die der Korruption und des Paternalismus verdächtige Keiko Fujimori oder der Universitäts-Betreiber César Acuña mit seiner „Allianz für den Fortschritt“. Die ist, laut Lerner, Instrument, um Einfluss auf die Bildungspolitik der Regierung zu nehmen, aber keine Partei mit Profil. 

Doch mit 6,03 Prozent der Stimmen verfügt sie über eine Handvoll Mandate im neu gewählten 130-köpfigen Kongress und das sorgt für Einfluss. Das gilt auch für Fuerza Popular, die Partei des Fujimori-Clans. Trotz unzähliger Korruptionsskandale zieht die Partei von Keiko Fujimori als eine der stärkeren Fraktionen ins Parlament, wo sich insgesamt zehn kleine Fraktionen tummeln werden. „Die Fragmentierung der politischen Landschaft ist weit fortgeschritten, die Glaubwürdigkeit von Parteien und Politikern beiderlei Geschlechts erschüttert“, so Carlos Herz. Der 62-jährige Experte für nachhaltige Entwicklung leitet ein kirchliches Bildungszentrum in Cusco, lebt aber in Lima und beobachtet das politische System.

Korruptionsskandale erschüttern Vertrauen in die Demokratie

Das hat in den letzten Jahren vor allem durch Skandale auf sich aufmerksam gemacht. Gegen alle Präsidenten seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 2000 wurde wegen Korruption ermittelt. Der letzte demokratisch gewählte Präsident, Pedro Pablo Kuczynski, trat im März 2018 wegen Korruptionsvorwürfen zurück. Ihm folgte sein Stellvertreter Martín Vizcarra, der im September 2020 nach einem Misstrauensvotum wegen angeblicher Korruption den Präsidentenpalast verlassen und letztlich dem Interimspräsidenten Francisco Sagasti Platz machen musste.

Noch gravierender aus Perspektive der Wähler ist jedoch, dass gegen sechs der achtzehn Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Staatsamt bereits wegen Korruption ermittelt wurde und das gegen weitere 134 Kandidaten für einen Sitz im Parlament Verfahren laufen. Ernüchternde Realitäten. „Teil der politischen Krise, die bei uns bereits zum Alltag gehört“, erklärt Carlos Herz und zuckt hilflos die Achseln. 

Mehr als 40 Prozent der Stimmen für radikale Parteien

Für ihn ist Pedro Castillo ein Produkt genau dieser Krise, doch auch die anderen Kandidaten vom linken wie rechten Rand. „Deutlich über vierzig Prozent der Wähler haben radikal gewählt und damit auch für diese Konstellation für den zweiten Wahlgang gesorgt“, meint Carlos Monge, Lateinamerika-Koordinator des Natural Resource Governance Institute in Lima, das sich für einen transparenten und effektiven Umgang mit Ressourcen engagiert. Monge analysiert im Kontext seiner Arbeit auch die politische Entwicklung Perus, die seit Jahren nur in eine Richtung weist: Krise.

Dabei ist Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Diktators Alberto Fujimori, eine wichtige Protagonistin. Zweimal hat sie bereits für den Einzug in den Präsidentenpalast kandidiert, nun folgt das dritte Mal: mit 13,36 Prozent der Wählerstimmen im Rücken. So wenig wie nie und das hat Gründe: Denn die 45-jährige hat etliche Monate wegen Korruption und Vetternwirtschaft im Gefängnis gesessen. Doch es gilt die Unschuldsvermutung bis zum Urteil und so tritt die Tochter des Ex-Diktators, der im Gefängnis sitzt, zum dritten Mal an. Unstrittig ist, dass sie alle Hebel in Bewegung setzen wird, um ihren Vater zu amnestieren, wenn sie den linken Dorflehrer Pedro Castillo an der Urne besiegen sollte.

Protest gegen das Establishment und Demokratiemüdigkeit

Das gilt als eine Option. Aber Castillo sei auch das neue Gesicht, dass sich viele wünschen, so der Peru-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Michael Huhn. Castillo sei der Kandidat des Protests gegen das korrupte politische Establishment aber auch Symbol für eine gewisse Demokratiemüdigkeit. Eine Einschätzung, die Salomón Lerner teilt. Er befürchtet Verhältnisse wie in Honduras oder Guatemala – mit wechselnden, zusammengekauften Mehrheiten - oder, wie in Venezuela, eine latente politische Krise. Für letzteres spricht, dass Castillo im Wahlkampf auch die Karte der Verstaatlichung des Erdöl- und Erdgassektors spielte. In Peru wird wird die politische Krise andauern.

Interview mit Peru-Experte Michael Huhn: "Einer, der unverbraucht ist" - Adveniat zur Wahl in Peru

Autor: Knut Henkel

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