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Kolumbien: Hindernisse auf dem Weg zum Frieden

18 Monate währte der Frieden im Verwaltungsbezirk Nariño im Südwesten Kolumbiens. Doch spätestens seit Jahresbeginn 2019 machen wieder bewaffnete Banden die Region unsicher. "Jetzt haben die Wände wieder Ohren“, erklärt Luz Dary Landázury, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Diözese Tumaco, die Angst der Menschen vor den gewalttätigen Auseinandersetzungen der Drogenbanden.

Luz Dary Landázury informiert in einer Schule in der Nähe der kolumbianischen Hafenstadt Tumaco über die Gefahren von Landminen. Foto: Knut Henkel

Luz Dary Landázury informiert in einer Schule in der Nähe der kolumbianischen Hafenstadt Tumaco über die Gefahren von Landminen. Foto: Knut Henkel

La Merced heißt der weitläufige Kirchenbau im Zentrum von Tumaco, an den sich mehrere Funktionsgebäude anschmiegen. An einem prangt das Schild der Diözese, eine Tür weiter befindet sich der Aufgang zum Kirchensender Radio Mira und darüber hat die Pastoral Social, vergleichbar mit der Caritas, ihre Büros, die vom deutschen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird. Dort hält man wenig von den Berichten aus Bogotá, die ein positives Bild des Friedensprozesses mit der Farc-Guerilla zeichnen. „Wir registrieren eine Zunahme der Opfer von Antipersonen-Minen in der gesamten Region von Tumaco, aber auch in Richtung Pasto, der Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Nariño“, erklärt Jandro. Der Sozialarbeiter arbeitet für die Hilfsorganisation, die Anlaufpunkt für Opfer von Antipersonen-Minen und Flüchtlinge aus der Region Tumaco ist. 

Gefahr durch Antipersonenminen

Die Hafenstadt mit den neun umliegenden Gemeinden liegt im Verwaltungsbezirk Nariño - eine der Regionen mit den höchsten Opferzahlen von Antipersonen-Minen. Kein Zufall, denn Nariño, das Ecuador grenzt, zählt zu den wichtigen Anbauregionen der Kokapflanze, Grundlage für die Herstellung von Kokain. Derzeit nehmen die Anbauflächen wieder zu. Das hat vielfältige Gründer, so Jandro, der seinen Nachnamen lieber für sich behalten will. Allzu offene Kritik an der Bilanz des Friedensabkommens zwischen Regierung und der Farc-Guerilla kann in Kolumbien riskant sein – auch für einen Mitarbeiter der Kirche. Die gilt in vielen Konfliktregionen des Landes wie dem Chocó, Arauca, Cauca oder eben Nariño als Bastion der Verteidigung von Menschenrechten, warnt vor der neuerlichen Rekrutierung von Kindern durch Konfliktparteien und hilft Opfern von Minen landesweit auf allen Ebenen – auch psychologisch und juristisch.

Armut als Nährboden fürs Drogengeschäft

Auf die prekäre Situation haben die Bischöfe Kolumbiens zuletzt mit Reisen in den Chocó und nach Arauca aufmerksam gemacht. Auch in Nariño, wo bewaffnete Banden spätestens seit 2019 wieder aktiv sind, ist die Situation brisant. Ein wesentlicher Grund dafür ist laut Jandro die Nicht-Umsetzung des Friedensabkommens. „Weder in die marode Infrastruktur ist investiert worden, noch in die Bildung und die Schaffung von ökonomischen Alternativen zum Koka-Anbau“, kritisiert er offen. Das ist in der Region kaum zu übersehen. Tumaco, regionale Drehscheibe mit rund 250.000 mehrheitlich afrokolumbianischen Einwohnern, ist aus mehreren der umliegenden Gemeinden nur per Boot zu erreichen. Hohe Transportkosten machen den Arztbesuch, eine Visite bei staatlichen Stellen, die in den Gemeinden oft nicht vorhanden sind, für die meisten Menschen unmöglich. Sie leben von der Hand in den Mund - die Armut ist in der Region nicht zu übersehen. Umso wichtiger ist es, dass viele Ehrenamtliche der Kirche sich in den kleinen Städten und Dörfern sozial engagieren, so wie Luz Dary Landázury, die regelmäßig am Sitz der Diözese in Tumaco vorbeischaut und über die Situation in ihrem Heimatort Candelillas berichtet.

Blutiger Kampf um Schmuggelrouten

Die Kleinstadt, rund 40 Kilometer von Tumaco entfernt, liegt in der roten Zone. Mit rot werden landesweit die Hochrisiko-Zonen markiert, in denen gewalttätige Konflikte den Frieden und das Zusammenleben bedrohen. Rund um Candelillas wird angebaut, was den Kleinbauern der Region ein Auskommen gewährlistet: Koka. In kleinen Laboren werden die Blätter des Kokastrauchs verarbeitet und das abgepackte Kokain dann entweder nach Ecuador und von dort weiter gen Norden geschmuggelt oder über den kolumbianischen Pazifikhafen Buenaventura sowohl nach Europa als auch in die USA geschafft. Routen gibt es etliche. Nicht nur um Candelillas ist der Kampf um deren Kontrolle längst wieder aufgeflackert.

„Die Nähe zur Grenze ist das größte Problem. Wer sie kontrolliert, kann die Drogen leichter absetzen“, meint Luz Dary Landázury, die sich noch gut an die Monate nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der Farc-Guerilla erinnert. „Rund 18 Monate wurde in Candelillas diskutiert, gescherzt, die Abende gemeinsam mit den Nachbarn verbracht. Jetzt haben die Wände wieder Ohren“, erklärt Landázury. Das heißt, dass die Nachbarn sich gegenseitig ausspionieren und die Informationen an eine der beiden Banden weitergeben, die um die Kontrolle in der Region kämpfen. „Expediente 30“, Akte 30, und „Los Contadores“, die Buchhalter, nennen sie sich. Es geht das Gerücht um, dass mehrere Ex-Guerilleros der Farc dabei sind. Genau weiß es niemand, aber sicher ist, dass die Banden ihre Gebiete und die Koka-Anbauzonen mit Sprengfallen und Landminen schützen.

Landminen - Aufklärung in Schulen

Für Luz Dary Landázury sind die Minen ein Verbrechen, wovor die Aktivistin auch in der Schule von Candelillas in kurzen Seminaren die Schülerinnen und Schüler warnt. Landázurys ist selbst Opfer einer Landmine geworden. Am 10. Oktober 2012 explodierte am Ortseingang von Candelillas eine Mine unter dem Sammeltaxi, in dem Landázury mit ihrer jüngsten Tochter saß. Die Splitter des Sprengsatzes zerfetzten ihre linke Wade und verletzten ihren linken Arm. Mehr als zwei Jahre und ein halbes Dutzend Operationen dauerte es, bis sie gesundheitlich einigermaßen wiederhergestellt war. Dank der psychologischen Hilfe der Experten von der "Pastoral Social" im Bistum Pasto und der Unterstützung ihrer Familie kann sie wieder optimistisch in die Zukunft schauen. Das linke Bein zieht sie etwas nach, um den Längenunterschied auszugleichen. Der Unfall markiert einen Wendepunkt in ihrem Leben. Seitdem engagiert sie sich für die kolumbianische Kampagne gegen Minen (CCCM), ist aber auch für die Caritas aktiv und vertritt die Opfer von Antipersonen-Minen in der Region. 

Menschen fühlen sich im Stich gelassen

Wer sich engagiert, lebt gefährlich. Trotz hoher Präsenz von Militär und Polizei gibt es keine Sicherheit in der Region. Ein Widerspruch, auf den auch Vertreter der Justiz, wie die Richterin Lorena Pérez, hinweisen. Sie wurde nach Morddrohungen mit einer schusssicheren Weste und einem Notruf-Telefon ausgestattet – mehr nicht. 

Diese Verhältnisse kritisiert auch Jandro von der Pastoral Social in Tumaco. „Der Staat taucht nur auf, wenn die Gewalt eskaliert. Und es gibt immer wieder Indizien für eine Kooperation zwischen Armee und Drogenbanden. Das ist Teil der Realität“, kritisiert der 31-jährige Sozialarbeiter. Er weiß von fünf Opfern von Antipersonen-Minen in der Region von Tumaco seit Jahresbeginn. Auch das ist ein Beleg für die Rückkehr der Gewalt rund um Tumaco. 

 

Adveniat-Projekt für den Frieden
Jeden Tag gibt es ein bis zwei Tote in Tumaco, meistens sind es Jugendliche. Ulrike Purrer, Projektpartnerin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, engagiert sich für die Jugendlichen und schenkt ihnen Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.

Autor: Knut Henkel

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