Kolumbiens Bischöfe prangern humanitäre Krise in Chocó an
Eine Exkursion der Spitzenvertreter der kolumbianischen Kirche an die Pazifikküste lenkt den Blick auf die dramatische Situation in der Provinz Chocó. Der Zeitpunkt der Reise ist bewusst gewählt.
Die kolumbianischen Bischöfe haben sich bei einer Informationsreise in die Unruheprovinz Chocó an der Pazifikküste ein Bild von der dramatischen Lage vor Ort gemacht. "Die humanitäre Situation im Chocó ist sehr ernst", sagte Bogotás Erzbischof Luis José Rueda, der Vorsitzende der Kolumbianischen Bischofskonferenz der Tageszeitung "El Espectador" am Montag, 7. März 2022 (Ortszeit). Kolumbien und die internationale Gemeinschaft müssten darüber Bescheid wissen.
Kirche prangert humanitären Notstand an
Der Zeitpunkt der Reise ist offenbar bewusst gewählt: Am Wochenende finden in Kolumbien Parlamentswahlen statt, zwei Monate später wird bei den Präsidentschaftswahlen ein Nachfolger für den konservativen Präsidenten Iván Duque gesucht, der wegen einer in der Verfassung verankerten Amtszeitbegrenzung nicht erneut antreten darf. Trotz der dramatischen Lage in der überwiegend von einer armen afrobrasilianischen und indigenen Bevölkerung bewohnten Region spielt die Provinz Chocó im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle.
Die Botschaft an den Staat sei soziale Empathie, sagte Rueda. Der Staat müsse den Gemeinden und den lokalen Vertretern zuhören und die Realität vor Ort erleben. "Ein distanzierter defensiver Blick wird nicht helfen, die historischen Probleme des Chocó zu lösen", so Rueda weiter. Dazu zählten derzeit Kämpfe bewaffneter Gruppen um territoriale Vorherrschaft, um den Drogenexport zu garantieren.
Gewalt rivalisierender Drogenbanden eskaliert
Die Ortskirche im Chocó hatte den rechtsgerichteten Präsidenten Iván Duque erst jüngst zu einem Dringlichkeitstreffen aufgefordert. Thema der Unterredung müsse die wachsende Gewalt an der Pazifikküste sein, heißt es in einem Offenen Brief der Kirchenvertreter an das Staatsoberhaupt im Februar. Die Kirche wolle den Präsidenten über die Erfahrungen von sechs humanitären Missionen informieren, teilte Chocós Bischof Juan Carlos Barreto laut einem Bericht von "Caracol" mit. Laut der "Ombudsstelle zur Verteidigung des kolumbianischen Volkes" sind 77 Prozent der Bevölkerung der Region in Gefahr, Opfer von gewalttätigen Auseinandersetzungen zu werden. In der Provinzhauptstadt Quibdó hätten die Menschen Angst auf die Straße zu gehen, weil sie dort von illegalen Gruppen bedroht werden könnten.
Jüngst hatte die katholische Kirche ihre Besorgnis um das Leben von Bischof Rubén Dario Jaramillo Montoya aus der Pazifikdiözese Buenaventura ausgedrückt. Dieser habe ohne Furcht das Treiben bewaffneter Gruppen kritisiert, jetzt sei er in großer Gefahr, sagte der Generalsekretär der nationalen Versöhnungskommission, Padre Dario Echeverri.
Drohungen gegen mutigen Bischof
Buenaventuras Bischof appellierte zuletzt immer wieder an die Regierung in Bogotá, die Bevölkerung in seiner Diözese nicht im Stich zu lassen. Die bewaffneten Banden forderte er auf, ihre Gewalt gegenüber den dort lebenden afrokolumbianischen und indigenen Gemeinden zu beenden. Seit 2020 gebe es Drohungen "gegen mein Leben von mächtigen Gruppen, denen meine Positionen nicht passen", sagte der Geistliche dem Portal "El Tiempo" bereits vor einigen Wochen.
Mehrfach bezog der 55-Jährige offen Stellung gegen die mächtigen Drogenkartelle, gegen eine jüngste Gewaltwelle sowie Vertreibungen. "Irgendjemand muss sprechen. Es muss eine Stimme geben für jene, die keine Stimme inmitten all dieser Schwierigkeiten haben", sagte er. Solche Äußerungen sind in der Gegend lebensgefährlich.
Buenaventura am Pazifik gilt als Teil einer Kokain-Pipeline sowie als wichtige Drehscheibe für den Drogenhandel. In der Region kämpfen rechte paramilitärische Gruppen sowie linke Guerillaorganisationen mit der Drogenmafia um die Vormachtstellung auf dem Drogenmarkt.