Haiti: Präsident Moïse klammert sich an die Macht
Am Sonntag spitzte sich die Staatskrise in Haiti zu: Nachdem die oberste Justizbehörde die Amtszeit von Präsident Jovenel Moïse für abgelaufen erklärt hatte, sprach dieser von Staatsstreich und ließ Richter, Polizisten und Beamte verhaften.
Vier Jahre nach Abzug der UN-Blauhelme steht Haiti erneut am Abgrund. Am Sonntag spitzte sich die Staatskrise im Karibikstaat zu: Nachdem die oberste Justizbehörde das Mandat des Präsidenten Jovenel Moïse für abgelaufen erklärte, sprach dieser von einem Staatsstreich und einem Mordkomplott und liess Richter, Polizisten und andere Funktionäre verhaften. Der Schachzug dürfte die seit Tagen anhaltenden Streiks und Demonstrationen noch verschärfen. Die Katholische Kirche reihte sich inzwischen in die kritischen Stimmen ein und verlangte seinen Rücktritt ebenso wie der Senat und die aus Gewerkschaften, Menschenrechtlern und zahlreichen politischen Parteien bestehende Opposition.
Präsident Moïse regiert per Dekret
Der Unternehmer Moïse, der von der US-Regierung und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gestützt wird, ist unpopulär und regiert seit über einem Jahr nur noch per Dekret, weil das Mandat des Parlaments auslief und er keine Neuwahlen anberaumte. Ihm wird außerdem Korruption angelastet. Dem Rechnungshof zufolge sind mehrere Milliarden US-Dollar Wiederaufbauhilfe aus Venezuela nach dem schweren Erdbeben 2010 in dunklen Kanälen verschwunden. In den Taschen von Politikern und Unternehmern aus dem In- und Ausland, insbesondere Bau- und Importfirmen aus der benachbarten Dominikanischen Republik. Aber auch die Firmen Agritrans und Comphener des amtierenden Präsidenten tauchen in dem Bericht auf, unter anderem im Zusammenhang mit der Installation überteuerter Solarlaternen.
Betrugs- und Korruptionsvorwürfe
Schon die Wahl von Moïse war skandalumwittert. Völlig überraschend zog der als „Bananenkönig“ bekannte Unternehmer in einer von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl im Oktober 2015 in die Stichwahl ein. Nachdem die erste Runde wiederholt wurde, gewann er dann im Oktober 2016 die Stichwahl. Wegen des langen Nachwahlkonfliktes konnte er sein fünfjähriges Mandat aber nicht wie geplant 2016 sondern erst 2017 antreten – deshalb die Kontroverse, wann genau es endet. Er habe vom Volk ein Mandat über 60 Monate erhalten, twitterte Moise, der sich seit Monaten nur noch mit einer Hundertschaft schwerbewaffneter Bodyguards in die Öffentlichkeit traut.
Die USA setzen auf Moïse, weil dieser sich den US-Interessen beugt und in der zerstrittenen Opposition niemand in Sicht ist, der Stabilität und Regierungsfähigkeit garantieren könnte. Moïse stellte sich gegen Venezuela – früher ein enger Verbündeter und Geldgeber - und stützt Pläne von US-Unternehmern, das Land in einen billigen Sweatshop der US-Modelabels zu verwandeln. Aufgebrachte Demonstranten verbrannten deshalb am Wochenende US-Flaggen auf den Straßen.
Moïse strebt Verfassungsänderung an
Die Opposition wirft Moïse diktatorische Absichten vor – auch wenn er für September Parlaments- und Präsidentschaftswahlen anberaumt hat. Auf Misstrauen stößt aber, dass er vorher noch die Verfassung reformieren und die Rolle des Präsidenten stärken und die Wehrpflicht einführen will. Haiti hat ein semipräsidiales System wie Frankreich, das regelmäßig für institutionelle Krisen und Blockaden zwischen Premierminister, Parlament und Präsident führt.
Auf den Straßen herrscht derweil Anarchie und Gewalt. Morde und Entführungen haben sprunghaft zugenommen; Kritiker werfen Moïse vor, Kontakte zu Kriminellen zu hegen, um politische Gegner auszuschalten. Dies ist ein in Haiti übliches Vorgehen: schon die Diktatur der Duvaliers und danach der linke Präsident Jean-Bertrand Aristide setzten mit paramilitärischen Schlägertrupps ihre Interessen durch.