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Guatemala: Indigene Maya-Frauen kämpfen für ihre Rechte

Weltweit engagieren sich indigene Frauen im Widerstand gegen Vertreibung, Ausbeutung und Diskriminierung. In Lateinamerika ist Guatemala das Land mit dem höchsten Anteil indigener Bevölkerung. Verschiedene Kirchen unterstützen engagierte Mayafrauen, die vom Staat als Unruhestifterinnen diffamiert werden. Einige landen im Gefängnis, andere werden ermordet oder verschwinden und tauchen nie wieder auf.

Die indigene Aktivistin Sofia Tot Ac vor einem der Grundstücke, um das sich die Maya-Gemeinde und guatemaltekische Großgrundbesitzer streiten. Foto: Andreas Boueke

Die indigene Aktivistin Sofia Tot Ac vor einem der Grundstücke, um das sich die Maya-Gemeinde und guatemaltekische Großgrundbesitzer streiten. Foto: Andreas Boueke

Die 53-jährige Witwe Sofia Tot Ac ist stolze Großmutter von zwölf Enkelkindern. Als ihr Mann vor 23 Jahren starb, war sie noch ausschließlich Mutter und Hausfrau. Damals kümmerte sie sich vor allem um ihre sechs Kinder. Doch mit der Zeit lernte sie, ihre neue Unabhängigkeit zu schätzen. Erst begann sie, öfter aus dem Haus zu gehen, dann übernahm sie Verantwortung in ihrer Kirchengemeinde. Als sie von den Kämpfen der Dorfgemeinde um die Anerkennung ihrer Landrechte erfuhr, schloss sie sich einem Gremium an. Seit nun schon 18 Jahren hat sie die Aufgabe, sich darum zu kümmern, den Zusammenhalt der verschiedenen Mayagruppen in Purulhá zu stärken. 

Maya-Frauen kämpfen für Selbstbestimmung

Sofia Tot Ac selbst stammt aus dem Mayavolk der Queqchí. Sie engagiert sich vor allem für die Verbesserung der Lebensbedingungen indigener Frauen. In Purulhá sind die Frauen daran gewohnt, von Nachkommen europäischer Kolonisatoren ausgebeutet und misshandelt zu werden. Eine Generation nach der anderen haben sie dieses Elend weitgehend widerstandslos ertragen. Auch innerhalb ihrer eigenen Dorfgemeinschaften hatten Frauen lang nicht die Möglichkeit, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Das ändert sich langsam. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben immer mehr Mayafrauen begonnen, sich gegen die Unterdrückung aufzulehnen. 

Doch in Purulhá gibt es mächtige Personen, die nicht wollen, dass die Mayabevölkerung ihre Rechte verteidigt, ihr Land, den Wald und die Wasserquellen. Einige Großgrundbesitzer haben die Autoritäten des Staates korrumpiert.

Großgrundbesitzer bedrohen Indigene

Sofia Tot Ac sagt, sie habe sich an die Bedrohung gewöhnt. In ihrem kleinen Wohnzimmer stehen ein paar Gegenstände und Apparate, die sie schützen sollen. „Hier bewahre ich meine Heiligenfigur auf, die Jungfrau von Guadalupe. Daneben steht der Bildschirm einer Kameraanlage, die mir eine Menschenrechtsorganisation eingerichtet hat, als ich mal wieder Morddrohungen bekommen habe.“

Auch mehrere kirchliche Organisationen unterstützen Sofias Engagement. Der baptistische Pastor Ricardo Mayol leitet das Büro des kontinentalen christlichen Netzwerks für den Frieden im alten Zentrum von Guatemala-Stadt. „Schwester Sofia Tot Ac hat viel Erfahrung im Kampf zur Verteidigung des Lebens“, sagt der puertoricanische Geistliche. „Sie beteiligt sich an mehreren Sozialkomitees der katholischen Kirche, engagiert sich aber auch als spirituelle Stimme der Mayareligion. Sie bringt viel Kraft auf, um indigene Frauen zu stärken. Dafür zahlt sie einen hohen Preis. In Guatemala werden Frauen wie sie brutal misshandelt und sabotiert. Sie werden korrumpiert oder mit Todesdrohungen eingeschüchtert, bis hin zu Mord und gewaltsamen Entführungen.“

Bergbau zerstört natürliche Ressourcen

Der erste Landkampf, an dem sich Sofia beteiligt hat, war ein Konflikt mit einem Minenunternehmen. Nordamerikanische Ingenieure wollten untersuchen, ob im Boden der Umgebung von Sofias Heimatdorf Purulhá wertvolle Metalle existieren. Doch ein großer Teil der indigenen Bevölkerung des guatemaltekischen Hochlands ist gegen die Ansiedlung solcher Bergbauprojekte. Pastor Ricardo Mayol weiß, dass viele Menschen eine Verschmutzung des Grundwassers und die Zerstörung der Wälder fürchten. „Diese Gemeinden verstehen sich als Schutzbefohlene der Schöpfung. Mit ihrem friedvollen Widerstand gegen die Bergbauprojekte machen sie sich multinationale Konzerne zum Feind, die die Unterstützung des Staates kaufen können. Zudem stellen sie sich gegen die Interessen mächtiger guatemaltekischer Familien, Nachkommen europäischer Kolonisatoren.“ 

Todesdrohungen gegen Aktivisten

Unterstützung bekommt Sofia Tot Ac vor allem von ihren Kindern. Die Augen der ältesten Tochter Victoria werden feucht, als sie die Worte ihrer Mutter hört. „Ich sage ihr immer wieder: 'Jetzt reicht's Mama. Das ist zu gefährlich.' Aber sie antwortet mir: 'Wenn sie mich töten, geht der Kampf trotzdem weiter. Wir sind viele. Ich bin nicht allein.'“

Victoria selbst musste schon als Jugendliche Leichen mit Folterspuren identifizieren. Andere Personen sind nie wieder aufgetaucht. „Vor Kurzem ist ein Mann verschwunden, der oft mit meiner Mutter zusammen gearbeitet hat“, seufzt die junge Frau. „Wenn sich ein reicher Landbesitzer über eine Person ärgert, die ihre Stimme gegen ihn erhebt, dann kann er jemanden bezahlen, der die Person einschüchtert oder ganz aus dem Weg räumt.“

Verbundenheit mit Mutter Erde

Pastor Ricardo Mayol hat oft erlebt, wie sich die Frauen gegenseitig stärken: „Es gibt da eine Reflexion, die unter den Mayafrauen sehr verbreitet ist. Sie sehen eine Verbindung zwischen dem Schmerz der Mutter Erde und der Gewalt, die sie als Frauen erleiden. Der Machismus und Paternalismus der Männer vergewaltigt nicht nur die Körper der Frauen, sondern auch die Natur. So ist der Körper einer Frau wie das erste Stück Land, das es zu verteidigen gilt. Dieser Gedanke gibt ihnen Kraft, trotz der Gefahr für Mutter Erde zu kämpfen, denn sie schenkt das Leben.“

Wenn Sofia Tot Ac zweimal in der Woche auf den Markt in Purulhá geht, ist sie nie ohne Begleitung. Keine zweihundert Meter von ihrem Haus entfernt führt eine große, asphaltierte Straße an dem Dorf entlang. Sie steigt in ein Tuctuc, ein Kleintaxi mit drei Rädern. Während der Fahrt blickt sie auf den Waldhang hinter den Dächern des Dorfes. „Dort drüben lag mal die Siedlung Rincón de Valentin, in der die Kameradin Cristina gelebt hat. Ihre Eltern waren ihr Leben lang Colonos. Das sind Feldarbeiter, die in einer Hütte auf dem Land des Gutsherrn leben. Schon ihre Großeltern haben dort gewohnt.“

Indigene werden vertrieben

Cristina ist vor kurzem Mutter geworden. Das Baby trägt sie mit einem Tuch an ihren Oberkörper gebunden. „Ich bin in der Siedlung Rincón de Valentin zur Welt gekommen, genauso wie mein Vater“, erzählt sie. „Er hat schon als Kind auf den Feldern gearbeitet, ohne ein Gehalt zu bekommen. Der Gutsherr hat die Lebensleistung meines Vaters nie anerkannt. Am 19. Oktober 2021 hat er uns alle von unseren Grundstücken vertrieben. Als wir uns gewehrt haben, hat er Haftbefehle gegen viele Leute erwirkt, auch gegen mich. Er sagt, wir hätten sein Land Jahre lang illegal besetzt. Aber das stimmt nicht. Wir haben immer dort gelebt und für ihn gearbeitet. Wir sind dort zur Welt gekommen.“

Eine Hundertschaft Polizisten hat die fünfzehn Familien der Siedlung vertrieben und ihre Hütten angezündet. Viele besaßen nur noch die Kleider, die sie am Körper trugen. Auch Cristina hat ihr Zuhause verloren: „Unsere Hütte ist verbrannt, unsere Aussaat zerstört, der Kopfsalat, die Maispflanzen, die Bohnen. Wir sind zur Staatsanwaltschaft gegangen, um die Vertreibung anzuzeigen. Aber dort wollte niemand mit uns sprechen. Jetzt sind wir auf der Straße, ohne einen Ort zum Leben, ohne einen Acker zum Ernten. Wir haben gerade mal genug für ein wenig Brot.“

Sofia bestätigt, dass der Gutsherr weiterhin jede Person bedroht und verfolgt, die versucht, sich dem Land zu nähern: „Cristina war eine der wenigen, die den Mut aufbrachten, sich zu wehren, Unterstützung zu suchen, eine starke Frau zu sein. Aber der Weg ist hart. Einer der Söhne des Gutsherrn hat ein Mädchen der Siedlung vergewaltigt. Wenig später wurde nicht er festgenommen, sondern Cristina.“

Justiz ist korrumpiert

Erst am Tag des Verfahrens erfuhr die damals schwangere Frau, was ihr vorgeworfen wurde. Es gab fünf Anklagepunkte, die der Richter alle abgewiesen hat, aus Mangel an Beweisen. „Aber da hatte ich schon 48 Tage in Haft verbracht“, erzählt Cristina. „Viele der Frauen im Gefängnis sind sehr brutal. Sie haben Geld von mir verlangt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich arm bin und schwanger, dass sie mich bitte entschuldigen, dass sie mich bitte nicht schlagen. Meine Eltern mussten sich Geld leihen, um einen Anwalt zu bezahlen. Den Kredit zahle ich noch immer ab.“

Im guatemaltekischen Hochland wird auch deshalb so häufig um Land gestritten, weil viele Mayagemeinden den Grund und Boden, auf dem sie leben, nicht als Privatbesitz registrieren lassen. Sie vermessen ihn nicht. Sie dokumentieren ihn nicht. Sie verkaufen ihn nicht. Die Bräuche der indigenen Völker im Umgang mit Land sind andere. Genau das nutzen viele Großgrundbesitzer aus, meint Sofia Toc Ac. „Wenn ein Stück Land noch nicht registriert ist, forschen korrupte Bürokraten gar nicht erst nach, ob dort Menschen leben. Niemand sucht nach historischen Urkunden aus vergangenen Jahrhunderten. Jemand lässt ein wenig Geld springen, um den Prozess zu beschleunigen. So bekommt er schon bald ein Dokument ausgehändigt, auf dem steht, dass er von nun an der legale Besitzer des Landes ist.“

Indigenen fehlen Besitzurkunden

Viele indigene Völker der Welt glauben nicht, dass ein Mensch Land besitzen kann. Ihrer Vorstellung nach erlaubt die Mutter Erde den Menschen eine Weile lang, sie zu nutzen. Doch wenn eine Person stirbt, wird sie im Boden begraben und wird so selbst wieder zu Erde, die weiter lebt. So sieht es auch Sofia Tot Ac. Trotzdem bemüht sie sich, die Idee des Privatbesitzes zu verstehen. Im Laufe der Jahre hat sie viele Erfahrungen gesammelt, Kurse besucht und mit zahlreichen Leuten darüber gesprochen, wie es möglich sein kann, dass ein einziger Mensch riesige Flächen Land besitzt.

Heute ist sie überzeugt, dass sich die Mayas auf dieses Konzept einlassen müssen, denn nur so können sie ihre Rechte verteidigen. Deshalb erklärt sie ihren Kameradinnen und Kameraden immer wieder, wie wichtig es ist, dass sie ihr Land registrieren lassen. Sie hat Kontakte zu Notaren und Geografinnen aufgebaut, zu Landvermessern und Journalistinnen, sogar zu Historikern, die in alten Archiven vergilbte Dokumente aufstöbern. Kirchliche Organisationen und Menschenrechtsgruppen helfen mit Spendengeldern und Sicherheitsmaßnahmen. Dieses Netzwerk hat schon einige Male dazu beigetragen, komplizierte Landkonflikte zu lösen. „Wir indigenen Völker haben eine Verantwortung gegenüber der Mutter Erde“, sagt Sofia Tot Ac. „Wir müssen sie schützen. Gott hat sie uns als Heimat gegeben. Anstatt über sie zu streiten und sie zu zerstören, sollen wir sie pflegen.“

Autor: Andreas Boueke, Guatemala

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