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Kolumbien |

"Drei Millionen Hektar Land reichen nicht für die Agrarreform"

Die Landfrage ist die zentrale Ursache des seit mehr als sechzig Jahren währenden kolumbianischen Konflikts. Deren Lösung steht ganz oben auf der politischen Agenda von Präsident Gustavo Petro. Den Verband der Viehzüchter hat er ins Boot geholt: eine intelligente, aber auch riskante Strategie, sagt der indigene Senator Feliciano Valencia. 

Feliciano Valencia hofft auf die Agrarreform. Foto: Knut Henkel

Valencia stammt aus dem Cauca, wo die indigene Minderheit seit Jahrzehnten mit Landbesetzungen, pazifistischen Widerstand für die Rückgabe von Territorien kämpft und hofft, dass sich unter derr Regierung von Petro Erfolge einstellen werden.

Seit 2018 sitzt Feliciano Valencia als Senator für die „Alternative indigene und soziale Bewegung“ (MAIS) in dem aus zwei Kammern bestehen Parlament Kolumbiens. Der 56-Jährige gehört der Ethnie der Nasa an, der zweitgrößten indigenen Gruppe Kolumbiens. Die lebt vor allem im extrem riskanten Verwaltungsbezirk Cauca, südlich der Millionenstadt Cali.

Herr Valencia, Gustavo Petro regiert seit einem halben Jahr Kolumbien und hat eine ganze Reihe von Reformen initiiert. Aus Perspektive der indigenen  Völker dürfte die Agrarreform die Wichtigste sein.

Ja, denn mit der Kolonialisierung wurden nicht nur wir Nasa von den Ebenen in die Berge vertrieben, sondern viele indigene Ethnien. Wir kämpfen seit Dekaden für die Rückgabe von Landflächen, denn die Felder in den Bergen sind oft klein, oft weniger fruchtbar und reichen nicht aus, um eine wachsende Bevölkerung zu ernähren.

Könnte sich das bald ändern? Die Regierung von Gustavo Petro hat am 6. Oktober letzten Jahres mit der Vereinigung der Viehzüchter Kolumbiens (FEDEGÁN) ein historisches Abkommen unterzeichnet, wonach die Regierung drei Millionen Hektar Land von den Viehzüchtern kauft. Dieses Land soll mit anderen Flächen an einen Landfonds fallen aus dem landlose Bauern Ackerland erhalten sollen. Ist das der Auftakt für die Agrarreform wie es Präsident Petro angekündigt hat?

Das wird sich zeigen. Die Regierung Petro hat Mitte Dezember letzten Jahres begonnen die ersten Flächen zu kaufen. Sie sollen, so die Ankündigungen, im Laufe diesen Jahres verteilt werden. Das ist positiv. Negativ ist jedoch, dass drei Millionen Hektar nicht ausreichen werden, um eine Agrarreform durchzuführen. Dazu braucht es mehr.

Die Wahrheitskommission hat die mit Waffengewalt im Laufe des Bürgerkriegs (1964-2016) enteigneten Flächen auf rund acht Millionen Hektar taxiert. Rund acht Millionen Menschen wurden dabei vertrieben. Sind acht Millionen Hektar realistischer?

Auch die acht Millionen Hektar werden kaum reichen, wenn man den Landkonflikt wirklich beenden möchte. Dazu ein paar Fakten: Die Vereinigung der Viehzüchter Kolumbiens (Ferdegán) verfügt über 35-36 Millionen Hektar Land, darunter die besten Böden Kolumbiens. In Kolumbien werden derzeit auf rund sieben bis acht Millionen Hektar Lebensmittel angebaut – das ist eine immense Diskrepanz angesichts der Tatsache, dass Kolumbien nicht als großer Fleischexporteur wie Argentinien oder Uruguay bekannt ist. Hier steht oft eine Kuh pro Kilometer auf der Weide. 

Die Strukturen will die Regierung mit einer Förderstrategie für kleinbäuerliche Landwirtschaft ändern. Laut den offiziellen Stellen verfügt Kolumbien über rund 20 Millionen Hektar guter bis sehr guter Ackerböden. Von denen werden jedoch weniger als zwanzig Prozent für die Lebensmittelproduktion genutzt – ein Widerspruch in einem Land, das im Jahr 13,9 Millionen Tonnen Agrarprodukte importiert, die es größtenteils auch selbst produzieren könnte. 

Im Norden des Cauca, wo Sie herkommen wird vor allem Zuckerrohr angebaut.

Hier bebauen sechs große Zuckerrohranbau- und -verarbeitungszentren die besten Flächen. Früher wurden darauf Mais, Bohnen, Sorghum und andere Grundnahrungsmittel angebaut – von meinem Volk den Nasa. Seit Jahrzehnten kämpfen wir für die Rückgabe zumindest eines Teils dieses Landes. Fakt ist, dass nicht nur wir Nasa, sondern auch andere indigene Ethnien wie die Arhuacos heute in den Bergen leben, weil sie aus den Tälern vertrieben wurden. 

Tatsache ist auch, dass die FEDOGÁN beziehungsweise ihre Mitglieder im Cauca keine Flächen mehr haben. Das bedeutet, dass von den drei Millionen Hektar, die die Regierung derzeit kauft, sich kein Land im Cauca befindet. An der extreme Landkonzentration hier, wo viele indigene Bauern auf weniger als einem Hektar Lebensmittel, Kaffee und andere Produkte anbauen, wird sich nichts ändern. 

Haben Sie denn Hoffnung, dass es im Cauca eine Agrarreform geben wird?

Ja, weil die Regierung sich mit Kleinbauern-, indigenen und afrokolumbianischen Organisationen getroffen hat, um über den Bedarf an Land zu sprechen. Das, aber auch die Verbesserung der Infrastruktur, der potentielle Ankauf von Lebensmitteln durch den Staat und deren Verteilung waren Themen und natürlich auch die Sicherheitslage.

Ist die territoriale Kontrolle der Region durch Armee und Polizei Voraussetzung für das Funktionieren der Agrarreform?

Ja, hier im Cauca hat sich schon etwas an der Präsenz und am Auftreten der Armee und Polizeieinheiten geändert. Allerdings ist die Situation komplex. Im November 2016 als das Friedensabkommen zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung ausgehandelt  wurde, gab es sechs bewaffnete Akteure, heute sind es 19. Allen diesen Akteuren sind Verhandlungen angeboten worden und sollten die Verhandlungen zu keinem Kompromiss und keiner Demobilisierung führen, bin ich sicher, dass Gustavo Petro die Armee anweisen wird eine militärische Lösung herbeizuführen. Da vertraue ich ihm.

Gustavo  Petro hat bewiesen, dass er keine Berührungsängste kennt. Er verhandelt mit dem erzkonservativen Dachverband der Viehzüchter (FEDEGÁN), der Experten zufolge direkte Kontakte zu Paramilitärs haben und dessen Mitglieder auch gewaltsam enteignetes Ländereien besitzen sollen. Das haben Opferorganisationen kritisiert...

Gustavo Petro spielt ein riskantes Vabanquespiel, um die Agrarreform auf den Weg zu bringen und den Friedensprozess voranzutreiben. Er versucht die Viehzüchter ins Boot zu holen – bei der Agrarreform, aber auch bei den Verhandlungen mit der ELN, der derzeit größten Guerilla-Organisation Kolumbiens. Das ist intelligent, weil er so schneller zu wichtigen Reformen kommen kann, aber es birgt auch das Risiko einer Amnestie durch die Hintertür. Falls die Regierung Landflächen kaufen sollte, die gewaltsam besetzt und zwangsenteignet wurden. Deshalb müssen die staatlichen Stellen genau analysieren, was Ihnen da für Flächen zum Kauf angeboten werden. Ob es legale Landtitel gibt oder eben nicht, wie so oft. Parallel dazu
muss ein aussagekräftiges Landkataster aufgebaut werden, um illegalen Handel mit Landtiteln zu unterbinden.

Das Interview führte Knut Henkel für Blickpunkt Lateinamerika.

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