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Kolumbien |

"Die Justiz in Kolumbien wird instrumentalisiert"

Die Unterwanderung der Justiz und anderer Institutionen durch Anhänger und enge Freunde des Präsidenten Iván Duque ist in Kolumbien weit vorangeschritten, wie Luis Fernando Otalvaro (62) von der Gewerkschaft Asonal Judicial im Interview mit Blickpunkt Lateinamerika berichtet. Soziale Proteste würden zunehmend kriminalisiert, kritisiert der Staatsanwalt. Otalvaro lebt in Medellín, ermittelt bei Kapitaldelikten, darunter Menschenrechtsverbrechen, und engagiert sich für die Unabhängigkeit der Justiz. 

Staatsanwalt Luis Fernando Otalvaro von der Gewerkschaft Asonal Judicial kritisiert, dass soziale Proteste in Kolumbien würden zunehmend kriminalisiert würden. Foto: Knut Henkel

Staatsanwalt Luis Fernando Otalvaro von der Gewerkschaft Asonal Judicial kritisiert, dass soziale Proteste in Kolumbien würden zunehmend kriminalisiert würden. Foto: Knut Henkel

145 Morde an sozialen Aktivistinnen und Aktivisten bis Ende Oktober diesen Jahres. 82 Massaker im gleichen Zeitraum. Die Gewalt lässt auch fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages nicht nach. Ist es das, was die Menschen auf den Straßen protestieren lässt? 
 
Kolumbien befindet sich auf der einen Seite im Vorwahlkampf. Das heizt das Klima an und auf der anderen Seite reißen die Proteste gegen die Regierung, ihre Wirtschaftspolitik und ihre Menschenrechtsbilanz nicht ab. Die Proteste wurden in der Vergangenheit und werden auch derzeit immer wieder unterdrückt – von Sondereinsatzkommandos der Polizei (ESMAD), die sehr brutal vorgehen. Dabei ist es immer wieder zum Einsatz von Schusswaffen gekommen. 
 
Beziehen Sie sich auf die Proteste vom Frühjahr als der Nationalstreik Kolumbien nahezu lahm legte oder auf neue Proteste in diesen Tagen?
 
Am 25. November wurde gegen die Gewalt gegen Frauen demonstriert. Aber in den letzten Tagen hat es mehrere Demonstrationen gegeben und auch Einrichtungen der Staatsanwaltschaft wurden attackiert.
 
Stehen diese Angriffe auf Einrichtungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den jüngsten Übergriffen durch die Polizei oder haben sie mit den Ermittlungen zur Gewalteskalation während des nationalen Streiks zu tun, der Kolumbien ab dem 28. April diesen Jahres mehr als zehn Wochen lahmlegte?
 
Beides. Mehrere hochrangige Polizeioffiziere müssen sich in Cali, aber auch in Popayán wegen des Vorgehens der Polizei verantworten, aber da sehen wir bisher nur die Spitze des Eisberges. Das hat auch damit zu tun, dass das Hauptaugenmerk der Ermittlungen bislang auf der "primera linea" liegt - den anführenden Aktivistinnen und Aktivisten, oft Studenten und Hausfrauen. Bisher wurden 140 Aktivisten verurteilt und die Gesetze wurden und werden modifiziert, um gegen soziale Proteste besser vorgehen zu können. Wer mit einem Stock oder einem Stein auf der Straße angetroffen wird, kann als Terrorist oder Terroristin verurteilt werden – hier findet eine Kampagne der Kriminalisierung statt.
 
Klingt nicht ausgewogen – es gibt doch deutlich mehr Bilder, Videos und Aussagen überPolizeigewalt.
 
Ja, aber wir entfernen uns von einer Justiz, die unabhängig und nach demokratisch legitimierten Rechtsnormen agiert. Die Justiz wird instrumentalisiert. Gesetze werden mit dem Ziel modifiziert, verschärft soziale Proteste einzuschränken. Dabei wird in die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht eingegriffen, aber auch der Zugang zu Informationen erschwert. Diese Normen, beziehungsweise die Anpassung der Normen im Interesse der Regierung schränkt auch das Grundrecht der Mobilität ein. 
Parallel dazu läuft eine Kampagne der Regierung gegen die Proteste und gegen die Justiz, die Grundrechte verteidigt hat. Da äußern sich Polizeigeneräle, aber auch der Generalstaatsanwalt des Landes. Sie kritisieren Richter, weil sie sich nicht vereinnahmen lassen. Das ist ein Angriff auf die Legitimität der Justiz, auf deren Unabhängigkeit. 
 
Und welche Rolle spielt Generalstaatsanwalt Francisco Barbosa dabei?
 
Francisco Barbosa hat bereits während der Proteste im Mai, die mit Straßenblockaden einhergingen, an die Polizei appelliert, Fahrzeuge, Traktoren und LKW zu beschlagnahmen. Das war nicht nur eine Missfallenskundgebung gegen die sozialen Proteste, sondern auch eine Aufforderung zum Rechtsbruch, denn die Beschlagnahme ist rechtlich nicht gedeckt. Zudem erging die Weisung an alle Staatsanwälte, potentielle Straftaten der Demonstranten zu untersuchen. Das ist ein Akt der politischen Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaft und der Unabhängigkeit einer juristischen Institution nicht dienlich. 
Hinzu kommt, dass Ermittlungen aufgenommen, Prozesse auf einer dünnen Beweisgrundlage angestrengt wurden. Beides auf den politischen Druck vom Generalstaatsanwalt hin.
 
Verliert Kolumbiens Justiz an Unabhängigkeit?
 
Ja, leider. Die Indizien - oder besser Vorfälle - häufen sich. 
 
In Kolumbien geht auch der Vorwurf der Übernahme zentraler Institutionen durch die Partei Centro Democrático des Präsidenten sowie durch Freunde des Präsidenten um. Ist da was dran? 
 

Das lässt sich nicht bestreiten. Die wichtigsten Kontrollinstitutionen haben die Aufgabe, die Exekutive zu regulieren. Doch die oberste Rechnungsprüfungsstelle ist in den Händen der Regierung. Der Kontrollstelle des öffentlichen Dienstes steht eine ehemalige mit Iván Duque befreundete Ministerin vor. Ähnlich sieht es in der Ombudsstelle für Grundrechte und in der zentralen Einwohnermeldestelle aus. Und es ist in Kolumbien kein Geheimnis, dass die wichtigste Qualifikation des Generalstaatsanwalts Francisco Barbosa die Freundschaft zu Duque seit der gemeinsamen Schulzeit ist. 

Interview: Knut Henkel

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