Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Honduras |

"Die autoritäre Regierung hat ihre Kontrolle ausgebaut"

Joaquin A. Mejia (44) ist Jurist, Aktivist für Menschenrechte und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungszentrums ERIC sowie des Radiosenders Radio Progreso, die vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt werden. Mejía gehört zu den international bekannten Aktivisten für die Rückkehr zur Demokratie in Honduras. Das hat ihm immer wieder Morddrohungen  eingebracht, weshalb die  Menschenrechtskommission der Organisation amerikanischer Staaten die Regierung des Landes aufgefordert hat, Mejía zu schützen. 

Joaquin A. Mejia (44) engagiert sich für die Rückkehr zur Demokratie in Honduras, hat Morddrohungen erhalten und wird daher vorübergehend in Spanien leben. Foto: Markus Dorfmüller

In Honduras hat die Ausbreitung des Corona-Virus dramatische Auswirkungen für die Menschen. Hunger, Gewalt und Perspektivlosigkeit dominieren den Alltag. Hinzu kommen Korruption, Einschnitte in die Menschenrechte und ein marodes Gesundheitssystem.

In Honduras steigen die Infektionszahlen deutlich stärker als in den Nachbarländern El Salvador und Guatemala. Rund 84.000 Infizierte und mehr als 2.500 Tote hat das mittelamerikanische Land Anfang der Woche registriert. Worauf führen Sie das zurück?
 
Honduras ist das Land in Zentralamerika mit der höchsten Todesrate im Verhältnis zur Bevölkerung und das ist vor allem auf ein ineffizientes, weitgehend zerstörtes Gesundheitssystem zurückzuführen. Die niedrigen Testkapazitäten sind nur ein Indiz dafür, denn das öffentliche Gesundheitssystem leidet unter permanenten Ressourcenmangel. Es fehlt an Ausrüstung, Medikamenten, Personal – kurz: an allem. Dem gegenüber steht ein privates Gesundheitssystem, das durch Privatisierungen weiter ausgebaut wurde, dass sich aber viele Menschen nicht leisten können. Neun von zehn Honduraner*innen haben keine Krankenversicherung. So hat das Virus in Honduras leichtes Spiel.
 
Welche Relevanz haben die Privatisierungen in diesem Kontext?
 
Privatisierungen sind Teil der Strategie der Regierung von Juan Orlando Hernández, dessen engster Machtzirkel davon profitiert. Teile der öffentlichen Infrastruktur wurden und werden privatisiert, darunter auch das Stromsystem. Ich saß gestern wie viele andere in meiner Wohnung nahe San Pedro Sula im Dunkeln. Das private Stromunternehmen war nicht in der Lange die Stromversorgung aufrechtzuerhalten – nicht zum ersten Mal. 
 
Menschenrechtsorganisationen haben über Tausende von Übergriffen der Militärpolizei berichtet. Hat die Regierung ihre Macht während der Pandemie ausgebaut?
 
Ja, die Militarisierung ist weiter vorangeschritten. Die autoritäre Regierung von Juan Orlando Hernández hat ihre Kontrolle über das Land ausgebaut und das sage nicht nur ich, sondern internationalen Organisationen, die sich mit der Demokratisierung und deren Defiziten beschäftigen, wie die Bertelsmann Stiftung. Demnach ist Honduras eine Autokratie, ein Land, in dem ein Mann alles entscheidet. Das ist im öffentlichen Leben kaum zu übersehen: die schwarzen Uniformen der Militärpolizei sind quasi omnipräsent. 
 
Wird gesellschaftlicher Widerstand unterdrückt?
 

Ja, das ist unstrittig und dabei greift die Militärpolizei immer wieder zu Gewalt und auch zur Waffe. 
 
Welche Rolle spielt dabei das neue Strafgesetzbuch, welches Mitte des Jahres verabschiedet wurde?
 
Das neue Strafgesetzbuch enthält positive Ansätze, aber der negative Effekt überwiegt. Es gibt mehrere Artikel, die den friedlichen sozialen Protest kriminalisieren. Das ist der erste negative Aspekt. Der zweite Punkt ist dass der Widerstand gegen Förderprojekte im Bergbau und bei der Energiegewinnung untersagt wird, selbst wenn die entsprechenden Gemeinden vorher nicht konsultiert wurden wie beim Staudammprojekt Agua Zarca – das widerspricht der ILO-Konvention 169. 
Zudem sieht das neue Strafgesetz mildere  Strafen für Korruption, für Drogenschmuggel  und sexuelle Gewalt vor – die drei Delikte, die unseren Alltag in Honduras prägen. Jeden Monat gehen im Schnitt 248 Anzeigen wegen Vergewaltigung ein, 90 Prozent der Opfer sind Frauen. 
 
Auch die Korruption ist omnipräsent laut internationalen Organisationen, richtig?
 
Ja, im August 2019 veröffentlichte die Interamerikanische Menschenrechtsorganisation einen Bericht, in dem sie die Korruption und die Straflosigkeit als strukturelle Probleme von Honduras bezeichnete. Derzeit werden wir Zeuge wie etliche wegen Korruption Verurteilte die Gefängnisse vorzeitig verlassen. Zudem ist der Bruder des Präsidenten in den USA wegen Drogenschmuggel inhaftiert. Weitere hochrangige Militärs wie General Tito Livio Moreno und Verteidigungsminister Diaz Zelaya werden sowohl von US-Gerichten beschuldigt als auch von nationalen Gerichten. 
 
Birgt das neue Strafgesetzbuch auch Risiken für Journalisten oder Analysten wie Sie?
 
Leider ja, denn die Straftat der Störung der öffentlichen Ordnung (Desorden Público) wurde in den Katalog aufgenommen und schon die Veröffentlichung dieses Interviews kann Folgen für mich haben – wenn es die öffentliche Ordnung gefährdet. Sie verstehen, hier ist ein Gummiparagraph entstanden, der der Justiz Möglichkeiten gibt gegen kritische Stimmen vorzugehen. 
 
Honduras ist nach Mexiko das gefährlichste Land für Journalisten in Lateinamerika. Nur ein Beispiel: Am 28. September wurde Luis Almendares, ein unabhängiger Journalist, auf offener Straße in Comayagua, rund sechzig Kilometer von Tegucigalpa entfernt, erschossen. Warum werden Journalisten nicht besser geschützt, warum kriminalisiert?
 
Gute Frage. Luis Almendares war ein Kritiker der Regierung, hat Korruption und Straflosigkeit kritisiert und war unbequem – er ist bedroht worden, aber nicht geschützt worden. Seit 2003 starben rund 70 Journalisten in Honduras, 90 Prozent dieser Morde wurden nicht aufgeklärt, es wurde kaum ermittelt. 
 
Allerdings gibt es seit 2015 ein nationales Schutzsystem – warum hat Luis Almendares, der 2017 die ersten Morddrohungen erhielt, keinen Schutz erhalten?
 
Dieser Mechanismus ist auf Druck des Interamerikanischen Menschrechts-Gerichtshofs nach dem Mord an Carlos Luna López, einem Menschenrechtsaktivisten, eingerichtet worden. Doch der Mechanismus greift nur partiell. Menschen wie ich, der als Anwalt den national bekannten Umweltaktivisten Carlos Luna López vertrat, werden vom honduranischen Staat geschützt, weil sie einigermaßen bekannt sind. Luis Almendares nicht, weil sie international keine Lobby haben. Er ist ein Opfer des fehlenden politischen Willens kritische Journalisten zu schützen. 
 
Sie reisen in den nächsten Tagen nach Spanien, warum?
 
Ich habe einen spanischen Pass und nutze die Möglichkeit, um ein paar Wochen oder Monate in Sicherheit zu leben. 

Das Interview führte Knut Henkel.

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