Chile: Die Ureinwohner der Osterinsel fordern Autonomie
Die Rapa Nui kämpfen für ihre Autonomie. Sie wollen Entscheidungen über ihre Angelegenheiten selbst treffen und für ihre Insel entsprechend ihren Traditionen und ihrer Kosmovision die Verantwortung tragen.
3.700 Kilometer vom chilenischen Festland entfernt, im Pazifik gelegen, verfügt die Osterinsel über ein einzigartiges kulturelles Erbe. Weltberühmt sind die Moai, riesige Steinskulpturen. Das Kunsthandwerk spielt auch heute noch eine wichtige Rolle auf der Insel, die über tausend Jahre lang von äußeren kulturellen Einflüssen isoliert blieb. 1888 annektierte Chile die Insel und schloss mit den Rapa Nui, den Ureinwohnern, einen Vertrag. In diesem Vertrag traten die Rapa Nui ihre Souveränität an Chile ab, das die indigenen Anführer anerkannte - allerdings bis heute nur auf dem Papier. Chile gewährte nach seiner Auffassung den Schutz der Insel und sorgte für deren Entwicklung. Die Rapa Nui aber prangerten immer wieder Menschenrechtsverletzungen an.
Anwalt Benjamin Ilabaca De La Puente, der dem Ältestenrat der Rapa Nui auf der Osterinsel vorsteht, erklärt und begründet den Standpunkt der Ureinwohner in nachfolgendem Text, erschienen auf debatesindigenas.org, den Blickpunkt Lateinamerika zusammengefasst und übersetzt hat.
Die Rapa Nui fordern Autonomie, denn bis heute werden alle Entscheidungen bezüglich politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklung auf dem Tausende Kilometer entfernten Festland von einem Zentralstaat getroffen, der die Realität der Osterinsel und deren wirkliche Bedürfnisse nicht kennt. Gemäß dem Gesetz „Ley Indígena“ gibt es zwar eine Kommission, der auch wenige Repräsentanten der Rapa Nui angehören. Was für Chiles Regierung eine Beteiligung an Entscheidungen ist, halten die Rapa Nui aber eher für eine Farce. Für die Entwicklung ihres Volkes sorgen der Honui (Rat der Ältesten) und die Municipalidad Indígena Rapa Nui als lokale Selbstverwaltung. Hier werden die Forderungen an den chilenischen Staat formuliert. Von einem Sonderstatut erhoffen sich die Indigenen die Lösung der zahlreichen Konflikte mit dem chilenischen Staat. Solch ein Sonderstatut muss von den Rapa Nui selbst entworfen und ausgearbeitet werden, der Kosmovision der Indigenen und ihrer Kultur sowie den Traditionen der Vorfahren Rechnung tragend. Der Kampf mit dem chilenischen Staat sei sehr mühsam, dieser leugne den Vielvölkercharakter Chiles und verhindere, dass die indigenen Völker ihre Entwicklung in die eigene Hand nehmen.
Klage für Kollektiveigentum und Entschädigungszahlungen
Derzeit befinden sich über 70 Prozent der Fläche der Osterinsel im Besitz des chilenischen Staates. Dieser erkennt die Eigentumsrechte der Rapa Nui ebenso wenig an wie generell das Recht auf kollektives Eigentum. Die Indigenen fühlen sich nicht ernst genommen, wenn sie zum Beispiel, wie kürzlich geschehen, eine Konzession für die Verwaltung des Parque Nacional Rapa Nui erhalten, in dem sich die heiligen Stätten der Vorfahren befinden. Juristisch handele es sich nicht um Besitz, eher würden die Rapa Nui zu Besetzern erklärt, so ihre Kritik. Derzeit strengen die Ureinwohner der Osterinsel einen Prozess gegen den chilenischen Staat über die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) an. Ziele sind die Anerkennung des kollektiven Eigentums und Entschädigungszahlungen für erlittene Menschenrechtsverletzungen.
Chiles Verfassung kennt keine indigenen Völker
Kritisiert wird außerdem, dass Chiles Verfassung den Vielvölkercharakter des Landes ebenso wenig anerkenne wie die Existenz indigener Völker. Lediglich Gesetze von niederem Rang erkennen die Existenz neun indigener Völker an, unter diesen ein polynesisches Volk: die Rapa Nui. Ständig kommt es zu Konflikten wegen der Anwendung chilenischer Gesetze auf der Osterinsel, die deren Besonderheiten nicht berücksichtigen. Zudem haben die Rapa Nui aufgrund des chilenischen Wahlsystems keine Möglichkeit, einen Vertreter in eine der beiden Kammern des Kongresses zu entsenden. Daher sei man immer gezwungen gewesen, bei den Parlamentariern vom Festland zu „betteln“, damit diese die Anliegen der Rapa Nui vertreten. Diese fordern reservierte Sitze für die indigenen Völker, auch damit diese die Ausarbeitung einer neuen Verfassung Chiles mitgestalten können.
Mangelhafte Infrastruktur und Umweltverschmutzung
Erst 1966 schuf ein Gesetz das Departamento de Isla de Pascua. Somit wurden die Rapa Nui erst vor 53 Jahren Bürger Chiles, bis dahin seien sie vom Staat wie Menschen niederen Ranges behandelt worden, ohne jede Rechte. Die Rapa Nui prangern außerdem Sklaverei und die Vergewaltigung von Frauen an.
In Nichterfüllung des Vertrages aus dem Jahr 1888 sei Chile seinen sozialen Verpflichtungen gegenüber der Osterinsel nicht nachgekommen. Dies betreffe zum Beispiel Transport und Kommunikation. Dienstleistungen würden an transnationale Unternehmen und solche vom Festland übergeben. Müsse eine Person im Notfall von der Insel gebracht werden, sorge es für große Probleme, dass der Transport sich in privater Hand befinde. Hinzu kommen die zunehmende Schädigung der Umwelt und die Meeresverschmutzung. Im Mai 2019 wurde daher auf der Osterinsel ein Umweltnotstand ausgerufen.
Auf Grundlage eines Textes von Benjamin Ilabaca De La Puente. Der Rapa Nui-Anwalt ist Menschenrechtsaktivist und steht auf der Osterinsel unter anderem dem Consejo de Ancianos de Rapa Nui (Rat der Ältesten der Rapa Nui) vor. Benjamin Ilabaca De La Puente vertritt die Rapa Nui außerdem beim Programa de Derechos Indígenas der Vereinten Nationen.