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Brasilien |

Buchrezension: "Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen"

Der indigene Aktivist Ailton Krenak liest der modernen Welt die Leviten. Was er schreibt, klingt bekannt, wir haben die Mahnungen zu einem Umdenken wohl schon oft gehört. Doch er warnt noch einmal: Es werden die Weißen sein, die untergehen, und nicht die indigenen Völker. Diese haben während 500 Jahren Verfolgung bewiesen, dass sie überleben können. Eine Buchrezension zum "Welttag der Indigenen".

Ailton Krenak, Aktivist für die Rechte Indigener, im Juni 2015 bei einer Konferenz in Rio de Janeiro, Brasilien. Foto: Ailton Krenak, Lançamento da Política Nacional das Artes; LiadePaula/MinC, CC BY 4.0

Ailton Krenak, Aktivist für die Rechte Indigener, im Juni 2015 bei einer Konferenz in Rio de Janeiro, Brasilien. Foto: Ailton Krenak, Lançamento da Política Nacional das ArtesLiadePaula/MinCCC BY 4.0

Worte, gepaart mit großen Gesten, können Berge versetzen. Viele ältere Brasilianer haben jene Szenen des 4. September 1987 noch in Erinnerung: Der indigene Aktivist Ailton Krenak, damals gerade 33 Jahre jung, schritt ans Rednerpult der verfassungsgebenden Versammlung, ganz in Weiß gekleidet. Während seiner Rede begann er, sich das Gesicht nach und nach mit schwarzer Farbe einzuschmieren, die aus der Jenipapo-Pflanze gewonnen war.

Historische Rede für die Rechte Indigener

Sich mit dieser Farbe einzuschmieren, ist bei Brasiliens Indigenen ein Zeichen für einen wichtigen Anlass, und meist ist es ein bevorstehender Kampf oder Krieg. Als Krenak damals ans Rednerpult ging, fürchtete er um das Schicksal der indigenen Völker Brasiliens. Ihre Rechte drohten von den Verfassungsvätern, die nach dem Ende der Militärdiktatur die Zeitenwende in Brasilien mit einem neuen Grundgesetz feiern wollten, links liegen gelassen zu werden. 

Doch dann kam Krenak. Mit seiner Rede rüttelte er die Verfassungsväter wach und redete ihnen ins Gewissen. Mit Erfolg: Die Artikel 231 und 232 garantieren seit der Verabschiedung der neuen Verfassung Ende 1988 die Rechte der indigenen Völker Brasiliens. Zumindest in der Theorie.

In den letzten Jahren ist Krenak wieder präsent geworden in den Medien und mit Vorträgen. Es gibt sogar einen dieser modernen TEDTalks mit ihm, dazu Dokumentarfilme und Bücher. Der mittlerweile 67-Jährige ist plötzlich allgegenwärtig. Das mag mit der zunehmenden Bedrohung zusammenhängen, die Brasiliens Natur und Indigene in den vergangenen Jahren durch die Regierung des Rechtspopulisten Jair Messias Bolsonaro erfahren mussten.

"Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen"

Gleichzeitig sind die Warnungen des Umweltaktivisten und Philosophen vor einem globalen Desaster heute äußerst aktuell. Man denke an die Bedrohung durch Klimakatastrophen und der Zerstörung indigenen Lebensraums. Wälder brennen mittlerweile rund um den Globus. Viele ahnen oder wissen bereits, dass etwas Grundsätzliches schiefläuft. Krenak wusste das schon lange.

Nun liegt also auch in Deutschland das 2019 in Brasilien publizierte Werk "Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen" vor. Das Buch basiert auf Krenaks Vorträgen und Gesprächen aus den letzten Jahren, die um die grundsätzliche Frage unserer Zeit kreisen: Wie wir das Ende der Welt vertagen können.  

Der Titel sei eine Provokation, so Krenak. Er sei gerade im Garten tätig gewesen, als ihn jemand anrief, um ihn zu einer Tagung über nachhaltige Entwicklung einzuladen. Als Titel für seinen Vortrag dort wählte Krenak "Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen". Viele Zuhörer hatte er nicht erwartet, doch der Hörsaal sei überraschend voll gewesen. Sie alle wollten wissen, wie das Ende der Welt hinauszuschieben sei. „Ich auch“, antwortete Krenak ihnen.

Entfremdung von der Natur

Es hat jedenfalls etwas mit der Entfremdung von der Natur zu tun, vermutet er spontan, mit den Raubzügen, die man der Erde antut, während wir sie uns Untertan machen. Dem stehen einige Völker entgegen, die noch in Harmonie mit der Natur leben, wie Brasiliens Yanomami. Die so leben, dass es Sinn macht. Und so seltsam es klingen mag: Sie sind die am besten Vorbereiteten, um Widerstand zu leisten und zu überleben, so Krenak. „Die Indigenen sind seit 500 Jahren im Widerstand, Sorgen mache ich mir um die Weißen, was können sie diesmal tun, um davonzukommen?“

Es sind genau diese Weißen, die Krenak verantwortlich macht für all die Dinge, die uns dem Ende der Welt näher bringen. Da ist die Annahme weißer Europäer, es gebe ein Mandat für ihr Drängen, die andere Hälfte der Menschheit aus ihrer mutmaßlichen Dunkelheit zu befreien und zu kolonisieren. Die Annahme, alles besser zu wissen und den Sinn hinter allem zu verstehen. Da ist aber auch die Technik, die zu nichts weiterem als einem Spielzeug verkommt, angefangen bei den sündhaft teuren Raumschiffen, die dazu dienen, dass einige Milliardäre mit ihnen herumspielen dürfen.

Gleichzeitig verschläft die Menschheit die wirklich wichtigen Momente. So hätte man bereits in den 1990er Jahren aus den fossilen Brennstoffen aussteigen müssen, so Krenak. Doch unsere Süchte nach neuem - allem voran ein neues Auto - macht uns blind für die Gefahr.

Klimawandel ist unausweichlich

Auch auf die aktuelle Pandemie kommt Krenak zu sprechen. Und attestiert der Menschheit, schlimmer als Covid-19 zu sein. „Dieses Paket namens Menschheit hat sich vollkommen vom Organismus der Erde gelöst und befindet sich in einer zivilisatorischen Abstraktion, die jede Diversität unterdrückt und die Pluralität der Lebensformen, Existenzen und Lebensweisen verleugnet.“ Dass der Klimawandel niemanden auf der Erde verschonen wird, steht für Krenak so gut wie fest. Nun bleibe der Menschheit nur, die Erfahrung der Katastrophe zu machen. Durch diese Wüste zu schreiten. Denn wenn sich eine Wüste vor einem auftut, müsse man sie durchqueren, so Ailton Krenak.

Ist es dieses Schreckensszenario, das die Menschheit doch noch dazu bringen könnte, das Ende der Welt hinauszuschieben? Vielleicht, wenn die gesamte Menschheit gemeinsam gegen die drohende Gefahr aufsteht. Sich die Farbe aus Jenipapo ins Gesicht schmiert und zu kämpfen beginnt. 

In einem Interview an sein deutsches Publikum anlässlich der Buchveröffentlichung sprach Krenak seine Überraschung aus, wie sehr seine Ideen mittlerweile auch im Ausland angenommen werden. “Ich staune darüber, dass Gedanken, die mich dazu gebracht haben, über die Wirklichkeit des Planeten hier in Südamerika nachzudenken, auch Leserinnen und Leser interessieren könnten, die irgendwo in den Straßen einer Stadt in Deutschland unterwegs sind.“ Die Klimakatastrophe ist universeller Natur, vielleicht sind es die Gefühle darüber auch; genau wie die möglichen Auswege.

Ailton Krenak: Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen, 144 Seiten, btb Verlag, 10 Euro

Adveniat zum "Welttag der Indigenen"
„Ob Wasserknappheit in Chile, illegaler Bergbau in Kolumbien und Venezuela, absurde Großprojekte in Mittelamerika – die indigene Bevölkerung bezahlt immer noch den Preis für diese Art von Wirtschaftspolitik“, kritisiert Adveniat-Chef Pater Michael Heinz.

Autor: Thomas Milz, Rio de Janeiro

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