Brasilien: Indigenen droht Verlust ihrer Landrechte
Den indigenen Völkern Brasiliens droht ein schwerer Rückschlag im Kampf um ihre traditionellen Siedlungsgebiete. Tausende Indigene haben in der Hauptstadt Brasilia gegen die Beschränkung der Kennzeichnung und Anerkennung ihrer Territorien demonstriert. Das erwartete Urteil des Obersten Gerichts wurde verschoben.
Den indigenen Völkern Brasiliens droht ein schwerer Rückschlag im Kampf um ihre traditionellen Siedlungsgebiete. Während das Oberste Gericht des Landes am Mittwoch (Ortszeit) die Beratungen über Einschränkungen bei Landzuteilungen an indigene Völker verschoben hat, liegt dem Kongress bereits ein entsprechender Gesetzentwurf vor, wie brasilianische Medien berichten. In diesen Tagen haben rund 6.000 Indigene in der Hauptstadt Brasilia für ihre Landrechte protestiert. Unterstützung erhielten sie auch von Nichtregierungsorganisationen.
Anerkennung von Gebieten wird blockiert
Das Oberste Gericht berät über die Gültigkeit des "Marco Temporal 1988", der "Zeitmarke 1988". Die Verfassung von 1988 garantiert den Indigenen einen Anspruch auf traditionelle Siedlungsgebiete. In den vergangenen Jahren wurden aber immer mehr Gebietszuteilungen geblockt. Argumentiert wurde, dass nur Gebiete an die Indigenen zugeteilt werden dürfen, die am 5. Oktober 1988, also dem Tag des Inkrafttretens der Verfassung, tatsächlich besiedelt waren.
Damit würden die Indigenen Ansprüche auf Gebiete verlieren, in denen sie in den Jahrzehnten vor 1988 vertrieben wurden. Besonders während der Militärdiktatur (1964-1988) waren ganze Völker gewaltsam zwangsumgesiedelt worden.
Präzedenzfall für künftige Rechtsprechung
Konkret beschäftigt sich das Oberste Gericht mit dem Fall des Volkes der Xokleng aus Südbrasilien. Die Teilstaatsregierung von Santa Catarina hat eine Räumungsklage für das indigene Gebiet Ibirama-La Klano eingereicht, auf dem neben den Xokleng auch Indigene der Völker Guarani und Kaingang leben. Der Spruch des Obersten Gerichts dürfte richtungsweisend für die künftige Rechtsprechung sein.
Zuletzt hatte das Gericht zwar mehrfach Aufsehen erregende Urteile gegen die Regierung ausgesprochen. In früheren Jahren gab es jedoch auch Urteile zugunsten der "Zeitmarke 1988". Auch eine Verzögerung des Urteilsspruchs um mehrere Monate ist denkbar.
Bestätigt das Oberste Gericht die "Zeitmarke 1988", wäre dies auch ein Sieg der Agrarlobby und des rechtspopulistischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro, die gegen Landzuteilung an Indigene kämpfen. Das Land solle vielmehr für die landwirtschaftliche Produktion und Förderung von Bodenschätzen geöffnet werden. Die Bolsonaro-Regierung hat bereits die Zuteilung von 27 Indigenengebieten geblockt, wie die katholische Fachstelle für Indigenenfragen Cimi, Projektpartner des deutschen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, berichtet.
Agrarlobby gegen Landzuteilung an Indigene
Ursprünglich sollten die Indigenengebiete bis spätestens 1993 an die Indigenen abgegeben werden. Doch laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) liegen derzeit 237 Zuteilungen auf Eis. Neben den Gerichten beschäftigt die Zeitmarke auch das Parlament. HRW forderte am Dienstag die Kongressmitglieder auf, ein Gesetz zur Einführung der "Zeitmarke 1988" abzulehnen. Derzeit wartet es im Abgeordnetenhaus auf die entscheidende Abstimmung, bevor es in den Senat weitergereicht wird.
Am Dienstag protestierten rund 6.000 Indigene aus ganz Brasilien im Regierungsviertel der Hauptstadt Brasilia für ihre Landrechte. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte erklärte derweil, die Einführung der Zeitmarke verstoße gegen internationales Recht. Der UN-Sonderberichterstatter für Indigenenrechte, Jose Francisco Cali Tzay, appellierte an das Oberste Gericht, die Zeitmarke abzulehnen.