Armut und Bandenterror: Haitis Präsident ruft um Hilfe
Staatspräsident Jovenel Moise fordert die internationale Gemeinschaft auf, Haiti im Kampf gegen bewaffnete Banden zu helfen. Das Land versinkt in Chaos und Dauerkrise - und Moise ist selbst Teil des Problems.
Seit Monaten erlebt Haiti eine Welle von Gewalt, Sozialprotesten und Kriminalität. Nun hat sich der Staatspräsident des ärmsten Karibikstaates an den Rest der Welt gewandt. In einer halbstündigen Rede rief Jovenel Moise am Sonntag zu mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft sowie aller Sektoren der Gesellschaft im Kampf gegen die Unsicherheit auf. Ein Eingreifen einer UN-Truppe wünschte Moise allerdings ausdrücklich nicht.
Gewalt zwingt Menschen zur Flucht
"Das Land befindet sich seit 18 Jahren in einem Inferno der Gewalt - ein höllischer Kreislauf der Unsicherheit. Und der zwingt uns in eine Lage, in der wir ständig gezwungen sind, Feuer zu löschen", so der Präsident. Er habe die Armee angewiesen, die Polizei im Kampf gegen die Kriminalität zu unterstützen. Allein aus Martissant im Süden der Hauptstadt Port-au-Prince seien in den ersten Juni-Wochen etwa 3.000 Menschen vor Gewalt zwischen bewaffneten Banden geflohen. "Den Vertriebenen sage ich: Der Staat sieht nicht tatenlos zu. Die Polizei arbeitet hart dafür, dass Sie in Ihre Häuser zurückkehren können. Niemand kann Sie vertreiben", so Moise. Das Leben eines Banditen sei "sehr kurz".
Laut örtlichen Medienberichten hat sich das Klima der Unsicherheit in den vergangenen Wochen noch einmal verschärft; die Gangs kennten im Kampf um Einflussgebiete untereinander und gegen die Polizei keine Hemmschwelle mehr. Zuletzt sorgten die Entführung von katholischen Geistlichen, die Ermordung eines Professors sowie eine brutale Vergewaltigung für Entsetzen.
Corona-Krise trifft auf politische Krise
Haiti scheint ein Synonym für "multiple Dauerkrise". Neben einem innenpolitischen Streit über die Dauer der Amtszeit von Moise und einer von ihm vorgeschlagenen Verfassungsreform leidet das Land unter einer neuen Corona-Welle. Dazu kommt eine notorische politische Instabilität: In den vergangenen 35 Jahren hatte Haiti 20 Regierungen. Bittere Armut liegt ohnehin immer über allem, nun auch noch eskalierende Kriminalität.
Die Kirche in Haiti hatte angesichts der jüngsten Proteste und der Lage im Land zuletzt vor einer "sozialen Explosion" gewarnt. Die dortige Bischofskonferenz schrieb, die Gesellschaft lebe in extremer Not. Inmitten einer anhaltenden politischen Krise sei die Bevölkerung Mord, Straflosigkeit und Unsicherheit ausgesetzt. Es brauche mehr denn je Solidarität der Haitianer besonders mit den Leidenden - und einen sozialen und institutionellen Dialog.
Die Opposition fordert Präsident Moise seit Wochen zum Rücktritt auf. Während er auf einer fünfjährigen Amtszeit besteht, gehen seine Gegner davon aus, dass die Präsidentschaft nach vier Jahren seit 7. Februar beendet sei. Moise hat eine baldige Verfassungsreform angekündigt und für 2022 Neuwahlen ausgerufen. Auch die Kirchenführung hatte den Präsidenten inmitten der Proteste indirekt zum Rücktritt aufgefordert. In einer Erklärung der Bischofskonferenz hieß es, "niemand stehe über Gesetz und Verfassung". Moise habe das Wahlgesetz in der Vergangenheit mehrmals angewandt und damit auch für sich akzeptiert, so die Bischöfe. Die ganze Welt gehe davon aus, dass Haiti ein Rechtsstaat sei.
Fehlende Ernährungssicherheit
Das Kinderhilfswerk Unicef ruft immer wieder zu verstärkter Hilfe für Haiti auf. Corona, Wirtschaftskrise und die bevorstehende Hurrikan-Saison seien riesige Herausforderungen. Um die Probleme zu lösen, brauche es neben kurzfristiger Hilfe auch eine langfristige Strategie. Rund 46 Prozent der Bevölkerung Haitis gelten als so arm, dass nicht mal die tägliche Ernährung sichergestellt ist.