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Wenig vorzuweisen und trotzdem populär - Bolsonaros Kreuzzug

Brasiliens Präsident hat wenig vorzuweisen und verstößt gegen alle Regeln des guten Geschmacks und der Demokratie. Gerade deshalb ist er bei einem Teil der Bevölkerung so beliebt.

Jair Bolsonaro, Brasilien

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro erfreut sich großer Beliebtheit, obwohl seine Regierungsbilanz bislang wenig Erfolge vorweisen kann. Foto (Einweihung eines Wasserversorgungssystems in Campo Alegre): Jair Bolsonaro, Alan Santos/PR, Palácio do PlanaltoCC BY 4.0

Shopping Leblon ist eines der chicsten Einkaufszentren von Rio de Janeiro, und Rosa Chá eine der angesagten, brasilianischen Modemarken. Leder und Militärgrün seien jetzt „in“, wirbt der Laden im Internet. Das hat eine gewisse Logik in Zeiten, in denen der Neofaschist Jair Bolsonaro regiert. In die Schlagzeilen brachte es der Laden aber, weil die Geschäftsführerin eine schwarze Angestellte als „Sklavin“ bezeichnete. Die 27-Jährige erstattete Anzeige. 

Rassismus in Brasilien salonfähig

Rassismus ist nicht neu in Brasilien, alle Statistiken können davon ein Lied singen. Brasilien war das letzte Land der Hemisphäre, das 1888 die Sklaverei abschaffte. In Gesellschaft und Wirtschaft überdauerte dieses Muster, aber nicht umsonst unterhält das Land eine extra Ermittler-Einheit zur Bekämpfung der Sklavenarbeit. Rund die Hälfte der Bevölkerung sind Afro-Brasilianer, aber Schwarze werden dreimal häufiger Opfer von Polizeigewalt, sie stellen nur 17 Prozent der Universitätsstudenten. Wer schwarz und Analphabet ist, stirbt fast viermal häufiger an einer Covid-19-Erkrankung als andere Gruppen, wie eine Studie der Universitäten von Espiritu Santo und Cambridge ergab.

Neu ist, wie damit politisch umgegangen wird. Während unter der linken Vorgängerregierung Quotenregelungen und die Sozialversicherungspflicht für Hausangestellte eingeführt wurden, die zum überwiegenden Teil schwarz und weiblich sind, schlägt nun das Pendel in die andere Richtung aus. Schwarze seien nicht mal zur Fortpflanzung zu gebrauchen, sagte Bolsonaro, Arme nur als Stimmvieh nützlich, und den Indigenen bescheinigte er, sie seien auf dem Weg zum Menschsein vorangekommen. Rassismus, Klassismus, und auch Homophobie sind salonfähig geworden, die Gewalt gegen Minderheiten hat der evangelikale Staatschef institutionalisiert. 

Militärs stützen Bolsonaro

Als die Wirtschaftselite 2016 die Absetzung der linken Staatschefin Dilma Rousseff orchestrierte – über finanzierte Protestbewegungen bis zu politisch manipulierten Korruptionsverfahren, wie mittlerweile dank Whistleblowern publik wurde – stand der Hinterbänkler Jair Bolsonaro nicht im Skript. Doch dessen Diskurs vom Schlendrian, den es auszumerzen gelte, vom Pioniergeist, mit dem sich redliche, fleißige Bürger den Regenwald untertan machen sollten, notfalls mit Waffengewalt, fanden in einem Teil der Bevölkerung Anklang. Er reichte in einer zersplitterten Parteienlandschaft und einer diskreditierten Demokratie, um ihn an die Macht zu katapultieren.

Um nicht zur Marionette dieser Elite zu werden, erkor der wegen Disziplinlosigkeit einst entlassene Ex-Hauptmann das Militär zum wichtigsten Verbündeten im Krieg gegen die „verkommenen Institutionen“. Die Hälfte seines Kabinetts sind Offiziere, über 6.000 Militärs sitzen inzwischen in der öffentlichen Verwaltung. Vizepräsident Hamilton Mourao, ein ehemaliger General, gilt als heimlicher Kabinettschef. Als Umweltminister Ricardo Salles – ein Vertreter der Abholz-Lobby - unlängst die Operationen zur Bekämpfung der illegalen Abholzung in den neun Bundesstaaten Amazoniens sowie der Brände im weltgrößten Sumpfgebiet Pantanal aus Budgetgründen einstellte, pfiff der ums internationale Image besorgte Mourao ihn zurück.

Wirtschaftskrise und Corona

Befehlende Generäle mögen dem Bild zuwider laufen vom unbeschwerten und freizügigen Land des Karneval und der tropischen Üppigkeit, wo man sich höchstens über Fußball ereifere. Diesen Mythos vom liberalen Brasilien hat Bolsonaro gründlich demaskiert. Ungleichheit, Korruption und Gewaltkriminalität seien Zeichen eines liberalen Verfalls, den man mit harter Hand bekämpfen müsse, predigt er. Eine weit über Brasilien hinaus reichende ultrarechte Allianz weiss er dabei hinter sich.

Seit Januar 2019 regiert er, seine Bilanz ist mager: Das Land steckt schon seit 2015 in einer anhaltenden Rezession, zählt bislang 120.000 Coronatote, und die Justiz ermittelt gegen Bolsonaros Familienclan wegen der Bildung von Hass-Netzwerken, Geldwäsche und Verstrickungen in kriminelle paramilitärische Netzwerke. Im Kongress hat er keine eigene Mehrheit, sondern muss die für Gesetze nötigen Stimmen einkaufen oder gegen Pöstchen eintauschen – eine Strategie, mit der er sich auch gegen eine Amtsenthebung absichert. Dennoch ist seine Popularität gestiegen: 38 Prozent finden einer jüngsten Umfrage von Datafolha zufolge seine Arbeit gut oder hervorragend, 27 Prozent finden sie mittelmässig, 34 Prozent miserabel. 

Corona-Hilfe für Arme sichert Zustimmung

Die Soziologin Esther Solano von der Universität von Sao Paolo erklärt dies mit den Corona-Sonderhilfen von umgerechnet knapp 100 Euro monatlich, die 65 Millionen Brasilianer seit April erhalten. Bolsonaro war eigentlich gegen das vom Kongress verabschiedete Gesetz, hat aber nun offenbar dessen Nutzen entdeckt und sich darüber sogar mit seinem neoliberalen Wirtschaftsminister Paolo Guedes angelegt, der einen Sparhaushalt einbringen will. „Millionen sind wegen der Pandemie und Rezession auf diese Hilfe angewiesen“, so Solano, die festgestellt hat, dass sich das Spektrum der Bolsonaro-Unterstützer insbesondere in den Armenvierteln erweitert.  

Auch die Schwäche einer zerstrittenen Linken, die nicht in der Lage war, sich programmatisch oder personell zu erneuern, kommt Bolsonaro zupass, ebenso wie sein begnadetes Talent zur Demagogie: Wie US-Präsident Donald Trump versteht er es, mit Polemik die politische Agenda zu dominieren und die Gesellschaft zu polarisieren. Denn seine Mission ist nicht zu regieren, sondern ein Kreuzzug. Seine Legitimität beruht auf Charisma. Ein Teil Brasiliens applaudiert ihm, einem Teil graust es, und ein Teil schaut dabei teilnahmslos zu. 

Autorin: Sandra Weiss

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