Brasilien: Bolsonaros neue Großzügigkeit
Der rechtsextreme Präsident Jair Messias Bolsonaro plant großzügige Hilfen für Brasiliens Arme. Damit könnte er seine Wiederwahl sichern - und gleichzeitig die Staatsfinanzen ruinieren.
In Brasilien gibt es das universelle Grundeinkommen bereits, zumindest laut der Verfassung. Bislang fehlte jedoch ein dazugehöriges Gesetz, um die Wohltaten Realität werden zu lassen. Ausgerechnet der mit neoliberalen Ideen angetretene Präsident Jair Messias Bolsonaro könnte nun über den Umweg der Corona-Hilfen ein Grundeinkommen einführen. Millionen Brasilianer, die bisher für den Staat unsichtbar waren, könnten davon profitieren.
Es gab zuletzt zwei überraschende Nachrichten. Zum einen erholte sich die angeschlagene Beliebtheit Bolsonaros, besonders im ärmsten Teil der Bevölkerung. Zudem verzeichnete Brasilien im Juli plötzlich 13 Millionen weniger Arme - ein historischer Rekord, wie der Think Tank Fundacao Getulio Vargas (FGV) ermittelte. Hinter beiden Nachrichten stecken die Corona-Hilfsgelder, die derzeit an 65 Millionen Brasilianer gezahlt werden - rund 40 Prozent aller Erwachsenen.
Hilfen reduzieren Armut in Brasilien
"Das ist ein künstliches Einkommen, das überraschend die Armut reduziert hat", erläutert der Ökonom Marcelo Neri, verantwortlich für die FGV-Studie, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Eigentlich hätten wir erwartet, dass damit lediglich eine Zunahme der Armut verhindert würde." Ohne die Corona-Hilfen hätte die Pandemie ein Loch von 15 bis 30 Prozent ins Durchschnittseinkommen eines brasilianischen Arbeiters gerissen. Doch dank der Hilfen lag das Einkommen im Juni um 29 Prozent und im Juli gar um 34 Prozent höher als zuvor, so FGV.
Bolsonaro will das beibehalten, um seine Wiederwahl Ende 2022 zu garantieren. Dafür wirft er seine Versprechen einer neoliberalen Revolution über Bord. Und den neoliberalen Banker Paulo Guedes, seinen bislang allmächtig erscheinenden Finanz- und Wirtschaftsminister, vielleicht gleich mit. Denn angesichts leerer Kassen bremst Guedes und predigt einen schlankeren Staat.
"Renda Familia" doppelt so teuer wie bisherige Programme
Zu Beginn der Pandemie wollte Guedes nur monatliche Hilfen von umgerechnet 30 Euro pro Person. Doch Bolsonaro setzte 90 Euro durch. Und statt der ursprünglichen drei Monatsraten will er nun eine Verlängerung bis Jahresende oder gar bis 2021 hinein. Da die Beibehaltung des 90-Euro-Satzes 6,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verschlingen würde, wird der Betrag ab September wahrscheinlich auf "vernünftigere" 45 Euro gekürzt.
Langfristig will Bolsonaro die Hilfen in ein neues Sozialprogramm überführen, das das aktuelle "Bolsa Familia" (Familienstipendium) seines linken Vorgängers Lula da Silva (2003-2010) ersetzt. "Bolsa Familia", das rund 40 Millionen Brasilianern zugutekommt, kostet den Staat 0,5 Prozent des BIP. Bolsonaros "Renda Brasil" (Brasilien-Einkommen) mit höheren Beträgen und Millionen mehr Familien wäre wohl doppelt so teuer. Bolsonaro hat verstanden, dass "mehr Staat" seine Macht zementiert.
Auch die Wirtschaft, die ursprünglich von Guedes' neoliberalem Schock begeistert war, sieht die staatlichen Spendierhosen positiv. In armen Gegenden ist derzeit dank der Corona-Hilfen mehr Geld im Umlauf als je zuvor; der Konsum steigt. In einigen Teilstaaten des armen Nordens und Nordostens hat die FGV Einkommenszunahmen von bis zu 120 Prozent ermittelt.
Kommt ein langfristiges Grundeinkommen?
Selbst gekürzte Beträge dürften laut dem Ökonom Neri einen bleibenden positiven Effekt haben. Denn das in die Wirtschaft gepumpte Geld habe bereits Wirtschaftskreisläufe angestoßen. Doch wie soll "Renda Brasil" in den angeschlagenen Haushalt passen, der zudem von einer Ausgabenbremse gedeckelt ist? "Ein neues Programm müsste durch Kürzungen an anderer Stelle finanziert werden - also eine Umverteilung von einer in die andere Hosentasche."
Angesichts der Kommunalwahlen im November schielt neben Bolsonaro auch der Kongress auf die Stimmen der Armen; die Gefahr nicht zu finanzierender Versprechungen ist groß. Die Ausweitung der Sozialleistungen, eventuell gar in Richtung eines universellen Grundeinkommens, sei finanzpolitisch unverantwortlich. "Da lauert eine große Gefahr", so Neri.
Andererseits macht die Wirtschaftslage ein erweitertes Transferprogramm nötig. Denn während der Pandemie habe man zum ersten Mal überhaupt gemessen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung keiner Beschäftigung nachgehe, weder einer formellen noch einer informellen, so Neri. "Und dieser Wert steigt weiter, als Effekt der Pandemie." Ohne die Hilfen würde die Armut fatale Höhen erreichen.