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Vor 50 Jahren wurde das Dekret AI-5 zum Freibrief für die Diktatur

Buchveröffentlichung über die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien. Foto: AI 5 Nunca MaisMarcos Oliveira/Agência SenadoCC BY 4.0

Vor 50 Jahren veröffentlichte die brasilianische Militärregierung das berüchtigte Dekret "AI-5". Es war der Auftakt zu Verfolgung und Folter. Seit dem Wahlsieg des Ex-Militärs Bolsonaro geht nun wieder die Angst um.

"Die Wetteraussichten: komplett schwarz. Temperatur: erstickend. Keine Luft mehr zum Atmen. Schwere Winde fegen über das Land." Diese ungewöhnliche "Vorhersage" erschien in den frühen Morgenstunden des 14. Dezember 1968 auf der Titelseite der Zeitung "Jornal do Brasil". Chefredakteur Alberto Dines spielte damit den Zensoren der Militärjunta einen Streich, die keine Kritik duldeten. Doch angesichts der Ereignisse der Nacht konnte Dines nicht schweigen. Gegen 23 Uhr des Vortages, dem 13. Dezember 1968, hatte Regierungssprecher Alberto Curi dem brasilianischen Volk übers Radio das Dekret "Ato Institucional 5", kurz AI-5, verkündet. Curi sprach von "subversiven Akten und revolutionären Kriegen gegen die siegreiche Revolution". Die siegreiche Revolution - das war der Militärputsch des 1. April 1964. Und sie galt es gegen die "subversive" Opposition zu verteidigen, um die "soziale und politische Harmonie des Landes" zu garantieren. Es war der Anfang einer Verfolgungswelle, die 400 Tote und Tausende gefolterter Oppositioneller zurückließ.

Parlamente aufgelöst und Mandate entzogen

Das in jener schwarzen Nacht verkündete Dekret gab dem Präsidenten, General Artur da Costa e Silva, nahezu unbegrenzte Macht. Er durfte den Kongress und alle anderen Parlamente auflösen, was er - mit Ausnahme des Parlaments von Sao Paulo - auch sofort tat. Zudem konnte er sämtliche Regierungen auf Landes- und Kommunalebene entmachten und durch Statthalter ersetzen. Abgeordneten wurde ihr Mandat entzogen. Sie wurden zu "Freiwild" für den Sicherheitsapparat. Doch AI-5 griff noch tiefer in das Leben der Bürger ein. Sämtliche Kulturveranstaltungen wurden nun zensiert, politische Versammlungen mussten von der Polizei genehmigt, Beamte konnten jederzeit entlassen werden, während "subversiven Elementen" die Bürgerrechte entzogen wurden. Es war der Anfang der Politik der harten Hand, mit der die Junta auf die 1968 auch in Brasilien keimende Revolte unzufriedener Bürger und Studenten reagierte.

Oppositionelle wurden gefoltert - viele flohen ins Exil

Die rasante Brutalisierung fußte auf der Abschaffung des "Habeas Corpus" für "politische Verbrechen", also dem Recht, bis zur endgültigen Verurteilung auf freiem Fuß zu bleiben. Ohne diesen Schutz waren die vom Militär verhafteten Bürger der Hölle ausgeliefert. In Militärkasernen und Polizeidelegationen wurden sie oft tage-, monate- oder sogar jahrelang gefoltert. Ein Großteil der Opposition ging ins Exil, andere in den bewaffneten Untergrund. In der Amazonasregion rund um den Araguaia-Fluss metzelten die Militärs eine rund 70 Mann starke Truppe von Oppositionellen nieder. Sänger wie Chico Buarque überlisteten derweil die Zensur mit zweideutigen Texten. Damals formte sich der Block von politischen und kulturellen Anführern, die Brasilien nach dem Ende der Diktatur 1985 prägen sollten. So erlitt die spätere Präsidentin Dilma Rousseff (2011-2016) von 1970 bis 1972 in der Haft brutale Folter. Gewerkschaftsführer Luiz Inacio Lula da Silva, Präsident von 2003 bis 2010, organisierte die großen Metallarbeiterstreiks, die Ende der 70er Jahre die Allmacht der Militärs in Frage stellten. Nach zehn langen Jahren wurde am 1. Januar 1979 der "AI-5" aufgehoben - und eine Amnestie erklärte die Gräuel für vergeben und vergessen.

Autoritäres Déja-vu mit Bolsonaro?

Was sie nicht sein können. Während die Opfer Gerechtigkeit fordern, trachten die Täter nach Absolution. Vor zehn Jahren lobte der damals unbekannte Hinterbänkler Jair Bolsonaro im Kongress den "AI-5". Die Militärs hätten Brasilien damals vor den Kommunisten bewahrt. Nach der Wahl im Oktober ist der Ex-Militär seit 1. Januar Präsident. Seinem Kabinett gehören acht Militärs an, aber auch unter den zivilen Ministern gibt es einige, die die Geschichtsbücher umschreiben wollen. Kann aus der brutalen Diktatur ein heroischer Abwehrkampf gegen den Kommunismus werden? "Der AI-5 repräsentiert eine alte Tradition, eine autoritäre Utopie", resümiert der Historiker Carlos Fico. "Das Volk ist demnach zu dumm, der Kongress ein Hindernis, weshalb man auch mal autoritäre Maßnahmen ergreifen muss, um bestimmte Entscheidungen durchzudrücken." Viele Brasilianer fürchten, dass es demnächst rückwärts in die Vergangenheit geht.

Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz

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