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Kolumbien: Vom Staat erneut im Stich gelassen

Jineth Bedoya wehrt sich. Hartnäckig fragt die prämierte Journalistin seit 20 Jahren nach den Hintergründen ihrer Vergewaltigung. Derzeit vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Damit ist sie ein Vorbild für die Opfer und ein rotes Tuch die kolumbianische Regierung. Die sorgte beim Prozess für einen Eklat.

Jineth Bedoya bei einer Anhörung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission 2016 in Washington, USA. Foto: Jineth Bedoya, CIDH - Daniel Cima, CC BY 4.0

Jineth Bedoya bei einer Anhörung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission 2016 in Washington, USA. Foto: Jineth Bedoya, CIDH - Daniel CimaCC BY 4.0

Das Vorgehen von Camilo Gómez ist historisch. „Noch nie in der Geschichte des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof hat ein Staat eine Anhörung verlassen", schrieb die Nichtregierungsorganisation "Human Rights Watch“ in einer ersten Reaktion. Kolumbiens Vertreter Camilo Gómez hatte „fehlende Garantien für die Objektivität der Richter" beklagt, den Richtern vorgeworfen, den kolumbianischen Staat  vorzuverurteilen und gefordert, die Anhörung zu unterbrechen. Als sich das Gericht weigerte, zog sich Gómez von der Anhörung zurück. 

Kolumbiens Vertreter verlässt Anhörung

Ein Vorgehen, dass hohe Wellen schlägt. Es ist auch ein Angriff auf die Unabhängigkeit des Gerichts in San José, der höchsten Instanz für Menschenrechtsverletzungen der Organisation amerikanischer Staaten (OAS ), daran ließ auch der Amerika-Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, keine Zweifel. Die Regierung solle sich für ihr Verhalten vor Gericht schämen. Noch überraschter waren die Juristen. Kolumbien stelle sich auf eine Stufe mit totalitären Regierungen wie jener von Alberto Fujimori in Peru (1990-2000) oder der von Daniel Ortega in Nicaragua, wunderte sich das Zentrum für Gerechtigkeit und Völkerrecht (CEJIL), das Bedoya vertritt und sich für die Stärkung der OAS-Strukturen engagiert. 

Warum die Regierung in Bogotá so weit ging und das Risiko auf sich nahm, sich mit dem Vorgehen selbst zu diskreditieren, ist bisher nicht ganz klar. Unstrittig ist, dass der Fall symbolträchtig ist, weil Bedoya für so viele vergewaltigte und gefolterte Frauen, in dem vom bewaffneten Konflikt geprägten Land die Stimme erhoben hat. Sich zu wehren, nachzufragen und die Wahrheit durch alle Instanzen einzuklagen, hat Symbolcharakter. Bedoya wurde als junge Reporterin des „El Espectador“ im Mai 2000 entführt, als sie auf ein Interview mit inhaftierten Paramilitärs im berüchtigten Gefängnis "La Modelo" in Bogotá wartete. Sie wurde rund 16 Stunden vergewaltigt, gefoltert und gequält.

Seitdem kämpft die heute 46-Jährige für Gerechtigkeit, hatte dabei partiell Erfolg, lässt aber nicht locker. Sie will wissen, wer als Auftraggeber verantwortlich für ihr Martyrium ist. Der Prozess könnte das Geflecht zwischen Paramilitärs und kolumbianischer Armee beleuchten. Das ist nicht im Interesse der Regierung von Präsident Iván Duque, die sich ohnehin einer Welle von Prozessen gegenübersieht, in denen die Armee für das gewaltsame Verschwindenlassen und die Ermordung von Tausenden junger Männer und Jugendlicher verantwortlich gemacht wird, die als gefallene Kämpfer der Guerilla deklariert wurden. 

Präzedenzfall für viele Frauen in Kolumbien

Sexuelle Gewalt hat es in dem seit über 50 Jahren schwelenden bewaffneten Konflikt von allen Seiten gegeben. Doch beim Friedensabkommen vom November 2016 spielte die Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Frauen nur eine untergeordnete Rolle, kritisieren Frauenorganisationen wie Sisma Mujer. Frauen, die über ihr Martyrium sprechen, ihre Rechte offensiv einfordern, sind für diese Organisationen extrem wichtig. Jineth Bedoya hat das nach langem Zögern getan. Zu sprechen, war „der härteste Schritt“ für sie. Und den hat sie nicht nur einmal, sondern immer wieder gemacht. Sie ist an die Öffentlichkeit gegangen, hat die Gewalt gegen Frauen thematisiert und gegen die in Kolumbien omnipräsente Straflosigkeit opponiert. Sie hat sich auf Podien gesetzt, für Fotos posiert und gegen das Vergessen und die Verjährung der Taten ihre Stimme erhoben. Zwar hat Bedoya ihre Peiniger identifiziert, und die Generalstaatsanwaltschaft erkannte am 12. September 2012 an, dass ihre Menschenrechte verletzt wurden. Doch die Frage, wer sie in die Falle gelockt hat und wer involviert war, lässt Bedoya nicht los. 

Dass es bei dem Verbrechen gegen sie auch um ihre Arbeit als investigative Journalistin ging und geht, steht für sie, aber auch für die Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) außer Frage. Die Delikte stehen im Kontext einer systematischen Verfolgung von kritischen Journalisten in Kolumbien. Dass die Gerichte dies anerkannt haben, ist ein Etappenerfolg für Bedoya. Doch ihr Kampf für Gerechtigkeit für sich und stellvertretend für viele Frauen in Kolumbien hat auch einen hohen Preis. In Bogotá kann sie sich kaum ohne Leibwächter und gepanzerter Limousine bewegen. 

Mit Leibwächter und in gepanzertem Fahrzeug

Das hat Bedoya, die für die größte Tageszeitung „El Tiempo“ arbeitet, in Kauf genommen, genauso wie den langen Weg durch alle Instanzen. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ist die vorerst letzte Instanz.  Dass sie gegen den kolumbianischen Staat einmal klagen würde, habe sie lange nicht für möglich gehalten, sagt sie. Das sei sie sich und vielen weiteren Opfern jedoch schuldig gewesen, um zumindest einen Teil ihrer Würde wiederherzustellen. Der kolumbianische Staat hat diese Würde nun vor Gericht ganz offiziell mit Füßen getreten – weil die Richter Empathie mit dem Opfer zeigten. Für den kolumbianischen Staat könnte das zum Bumerang werden, denn der Prozess geht weiter. Das Gericht hat das Vorgehen und die Beschwerde von Camilo Gómez als haltlos zurückgewiesen. 

Autor: Knut Henkel

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