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Kolumbien: Das wird die Jugend Duque nicht verzeihen - Kommentar

Millionen Flüchtlinge aus Venezuela, die wegen der Pandemie darniederliegende Wirtschaft und ein Präsident, dem die Ideen fehlen: In Kolumbien gehen hunderttausend Menschen trotz Corona auf die Straße, weil sie die Hoffnung verloren haben. Die toten Demonstranten lassen Schlimmes befürchten.

Demonstration für ein sozial gerechtes Kolumbien im Dezember 2019 in der Hauptstadt Bogotá - noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Foto: Tobias Käufer

Demonstration für ein sozial gerechtes Kolumbien im Dezember 2019 in der Hauptstadt Bogotá - noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Foto: Tobias Käufer

„Die Leere, die er hinterlassen wird, ist enorm“, sagt Armando Agredo aus Cali verzweifelt. „Es kann nicht sein, dass ein Vater seinen Sohn zu Grabe tragen muss.“ Das Opfer Marcelo Agredo war gerade einmal 17 Jahre alt. Erschossen, mutmaßlich durch die Polizei, im Ortsteil Mariano Ramos in der Millionenstadt Cali, wo in diesen Tagen besonders heftig demonstriert wird. Von Seiten der Protestierenden überwiegend friedlich, auch wenn die Fernsehbilder von Plünderungen, gestürzten Denkmälern und verwüsteten Geldautomaten anderes vermitteln. Das Fernsehen kann nicht anders: Es braucht dramatische Bilder, um ein Thema in die Nachrichten zu bringen, auch wenn diese die Wirklichkeit verzerren. Kolumbiens Polizei reagiert fast überall wie immer: Mit bisweilen irrationaler Gewalt, die einschüchtern soll, aber genau das Gegenteil bewirkt. Ein großer Teil der Bevölkerung ist so wütend, dass die Menschen trotz Pandemie, trotz heftiger Regenfälle  auf die Straßen gehen. Diese Wut wieder einzufangen, wird schwierig sein, denn im nächsten Jahr wird gewählt. Und viele politische Kräfte sind schon jetzt im Wahlkampfmodus.

Es geht um einen Politikwechsel

Vordergründig geht es um die Ablehnung einer Steuerreform durch die Regierung des rechten Präsidenten Ivan Duque. Doch eigentlich geht es seit ein paar Tagen auf den Straßen in Bogotá, Medellín oder Cali um etwas ganz anderes, es geht ums Große und Ganze. Um einen neuen politischen Kurs, um eine Perspektive für ein Land, das unter solch großen Problemen leidet wie kaum ein anderes in Lateinamerika. Es geht um Präsident Iván Duque, der nicht zum ersten Mal jedwedes Gespür für die Stimmung im Land verloren hat und dem schwere strategische Fehler unterlaufen sind. Und der sich nun angesichts der Toten auf den Straßen fragen muss, was ihn in puncto Menschenrechtsverletzungen denn noch von seinem brutalen Amtskollegen Nicolas Maduro in Venezuela unterscheidet. Inzwischen schlägt ihm blanker Hass und Spott entgegen. Wenn sich selbst die Influencer gegen Duque stellen, die in der Regel aus der Mittel- oder Oberschicht stammen und die Demos als Foto-Kulisse nutzen, dann weiß Kolumbiens Rechte, dass ihre Politik gescheitert ist. Und die neuen Toten, meist junge Kolumbianer, wird die Generation dem Präsidenten Iván Duque nicht verzeihen.

Steuererhöhungen bringen das Fass zum Überlaufen

"Die soziale Unzufriedenheit lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen“, sagt Florian Huber von der Heinrich-Böll-Stiftung in Bogotá im Gespräch mit Blickpunkt Lateinamerika. „Die Ankündigung von Steuererhöhungen inmitten der dritten Pandemiewelle wird von vielen Menschen als unverhältnismäßige und ungerechte Belastung der unteren und Mittelschicht wahrgenommen.“ Diese Steuerpolitik brachte das Fass nun zum Überlaufen: Die Armutsrate im Land ist in Folge der Corona-Pandemie auf rund 40 Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit explodiert. Die Jugend zahlt den höchsten Preis in dieser Pandemie und stellt wohl auch deshalb den größten Teil der Demonstranten. Für die Pandemie und die daraus resultierende Wirtschaftskrise kann Duque nichts, wohl aber für die gravierende Fehleinschätzung der Stimmungslage in seinem Volk und die wieder einmal brutale Polizeistrategie.

Die Jugend will den Friedensprozess

Doch das ist nicht alles: Ende 2019, noch bevor die Pandemie auch Kolumbien heimsuchte, gingen die Studenten und Schüler schon einmal auf die Straße, weil sie die kritische Haltung des Präsidenten zur Umsetzung des Friedensprozesses mit der ehemaligen Farc-Guerilla nicht verstehen und weil fast täglich im Land Umweltschützer und Sozialaktivisten ermordet werden. Die Regierung schafft es entweder nicht, diese Gewalt einzudämmen oder sie will es nicht. Das war schon 2019 eine zentrale Forderung der Massendemos, ehe Corona dieser Bewegung den Schwung nahm. Sie wurde nicht erfüllt. Während die Farc-Guerilla im Friedensprozess Geständnisse und Kooperation abliefert, ist das rechte Lager um Duque und den immer noch enorm einflussreichen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe fünf Jahre nach dem Friedensvertrag verbal und ideologisch immer noch im Kriegszustand – oder anders ausgedrückt: in der Vergangenheit. Und die wird in der Regel bei den nächsten Wahlen entsorgt.

Flüchtlingskrise trifft auf Coronakrise

Und dann sind da auch noch die 1,8 Millionen Flüchtlinge, die aus dem Nachbarland Venezuela wegen Gewalt, Repression und Hunger nach Kolumbien gekommen sind – und sich nun einen brutalen Verteilungskampf mit den selbst in die Armut abgerutschten Kolumbianern liefern. Dass die internationale Staatengemeinschaft Kolumbien – vorneweg die USA und Europa – mit dieser gigantischen humanitären Aufgabe nahezu alleine lässt, macht die Ausgangslage für Duque eigentlich fast unlösbar. Der Hass auf die Venezolaner bricht nun offen durch - das ist die bisweilen hässliche Seite der Proteste. Dass Duque darüber hinaus das Charisma und eine Strategie fehlt, das Land neuauszurichten und die Menschen dabei mitzunehmen, lässt erahnen, dass die kommenden Wochen schwierig werden.

Autor: Tobias Käufer

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