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Chile |

Interview: „Die Lachsindustrie zerstört unsere Lebensgrundlage als Kawesqar"

Leticia Caro (44) ist eine der wenigen überlebenden Nachfahren des indigenen Volks der Kawesqar, das an den Küsten Patagoniens in Chile lebt. Sie repräsentiert die Organisation „Kawesqar-Gemeinden für die Verteidigung des Meers“. Im Januar wurde der „Parque Nacional Kawésqar“ als zweitgrößtes Naturschutzgebiet Chiles erklärt. Aber die milliardenschwere Lachsindustrie darf sich trotzdem weiter an der Küste niederlassen, obwohl sie das Wasser verschmutzt und die Lebensgrundlage der Kawesqar bedroht. 

Leticia Caro (Foto: Sophia Boddenberg)

Blickpunkt Lateinamerika: Was bedeutet das Meer für das Volk der Kawesqar? 

Leticia Caro: Das Meer ist das Herz der Kultur der Kawesqar. Unsere Spiritualität, unsere Schifffahrt, unsere Lebensgrundlage, all das findet im Meer und an der Küste statt. Kawesqar zu sein bedeutet, das Meer zu beschützen. Wir tragen eine große Verantwortung gegenüber unserem Volk und unseren Vorfahren, die eines Ethnozids und kultureller Assimilation zum Opfer gefallen sind. 

Welche Auswirkungen hat die Lachsindustrie auf die Lebensweise der Kawesqar?

Die Lachsindustrie hat direkte Auswirkungen auf die Meeresfauna und –flora. An den Küsten des Fjords der Letzten Hoffnung zum Beispiel gibt es heute bereits keine einheimischen Spezies mehr. Es gibt keine Wolfsbarsche mehr, keine Ährenfische, keine Miesmuscheln, keine Venusmuscheln, weil alles verschmutzt ist. Wir müssen deshalb weit fahren, um zu fischen. Die Kosten steigen und der Fischfang deckt unsere Bedürfnisse nicht mehr. Wir haben verrottete Muschelpopulationen unter der Meeresoberfläche gesehen und die Fäkalien der Lachse, die sich unter den Zuchtkäfigen ansammeln. Wir haben gesehen, dass es immer weniger Vögel an den Küsten gibt, wo sich die Lachsindustrie niederlässt. Wir haben tote Seelöwen gesehen, die verhungert sind, weil sie keine Nahrung mehr finden. Seelöwen und Delfine werden geschlagen und getötet, damit sie sich nicht den Zuchtkäfigen annähern. Die Lachsindustrie zerstört unsere Lebensgrundlage als Kawesqar und die der Landbevölkerung und kleinen Fischer. Auch spirituell wirkt sich das auf uns aus. Ich verspüre einen tiefen Schmerz, wenn ich sehe, dass alles stirbt.  

Ex-Präsidentin Michelle Bachelet erklärte 2018 den „Parque Nacional Kawésqar“ als Naturschutzgebiet, aber ohne die Küste zu berücksichtigen. Jetzt wurde die Küste innerhalb des Parks als Nationalreservat erklärt. Was bedeutet das für die Kawesqar-Gemeinden? 

Das ist schlimm für uns. In Gebieten, die als Nationalreservate erklärt werden, sind laut Gesetz 19.800 industrielle Aktivitäten wie intensive Aquakultur und Lachszucht erlaubt. Das Nationalreservat ist die niedrigste Schutzkategorie. Wir fühlen uns betrogen und in unseren Rechten verletzt von einem zentralistischen Staat, der nicht die ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte indigener Völker respektiert.

Welche Forderungen vertritt die Organisation „Kawesqar-Gemeinden für die Verteidigung des Meers“?

Basierend auf dem Lafkenche-Gesetz haben wir einen Antrag gestellt, damit die Küste als Espacio Costero Marino de Pueblos Originarios (ECMPO) erklärt wird, als Küstengebiet der indigenen Völker. Das Lafkenche-Gesetz besagt, dass während der Bearbeitung des Antrags keine neuen Konzessionen an Unternehmen vergeben werden dürfen. Aber es wurden trotzdem weiter Konzessionen an Lachszuchtunternehmen vergeben. Das war illegal. Deshalb sind wir mit unserem Anliegen bis zum Obersten Gerichtshof gegangen. Jetzt heißt es abwarten. Wir fordern einen vollständigen Schutz des Meeres und der Wasserressourcen im „Parque Nacional Kawésqar“ und das Verbot von Massentourismus, intensiver Aquakultur, industriellem Fischfang und Bergbau. Erlaubt sein sollen hingegen wirtschaftliche Aktivitäten im kleinen Rahmen wie Kleinfischerei und Jagd für kulturelle, gemeinschaftliche und Subsistenz-Zwecke der Bewohner.

Hat dieser Prozess zu Konflikten innerhalb des Kawesqar-Volks geführt? 

Die Lachsunternehmen erkaufen sich die Zustimmung der Gemeinden mit Reisen, Spenden, Stipendien. Von den zwölf existierenden Kawesqar-Gemeinden haben acht Vereinbarungen mit den Lachsunternehmen abgeschlossen. Und es gibt vier Gemeinden, die nicht damit einverstanden sind. Mit diesen vier Gemeinden haben wir die Gruppe „Kawesqar-Gemeinden für die Verteidigung des Meers“ gegründet. Wir erhalten regelmäßig E-Mails von Vertretern der Unternehmen, die sich mit uns treffen wollen, um zu einer Übereinkunft zu kommen. Aber wir sagen immer wieder, dass wir uns nicht mit ihnen treffen wollen. Unbekannte haben mehrfach versucht, auf meine sozialen Netzwerke und E-Mails zuzugreifen. Sie wollen, dass wir unsere Forderungen fallen lassen. Aber wir werden nicht verhandeln.  

Erfüllt der chilenische Staat ihrer Meinung nach seine Funktion, das Volk der Kawesqar anzuerkennen zu beschützen? 

Nein. Der Staat erkennt nur eine Kawesqar-Gemeinde offiziell an, die Gemeinde in Puerto Edén. Der Schutz besteht in staatlichen Hilfeleistungen und Folklore. Aber wenn wir unsere Rechte einfordern, dann gibt es auf einmal keine Kawesqar mehr. Dann gibt es nur noch die „konfliktiven Indianer“. Wir werden unsichtbar gemacht.

Interview: Sophia Boddenberg

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