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Kolumbien |

Ginna Morelo: "Das bleierne Schweigen aufbrechen"

Die kolumbianische Journalistin Ginna Morelo hat mit einem Stipendium von Reporter ohne Grenzen fast ein Jahr in Berlin gearbeitet und recherchiert - für ihr digitales Museumsprojekt EntreRíos, das an das Verbrechen der Paramilitärs in Montería erinnert. Seit wenigen Tagen steht es online.

Die kolumbianische Journalistin Ginna Morelo hat ein digitales Museum zur Erinnerung an die Verbrechen der Paramilitärs in Montería geschaffen. Foto: Reporter ohne Grenzen

Die kolumbianische Journalistin Ginna Morelo hat ein digitales Museum zur Erinnerung an die Verbrechen der Paramilitärs in Montería geschaffen. Foto: Reporter ohne Grenzen

Blickpunkt Lateinamerika: Ihr digitales Museum zeichnet die bittere Realität in Córdoba Anfang der 2000er Jahre nach. In diesem kolumbianischen Verwaltungsbezirk übernahmen die Paramilitärs die Universität von Montería und vertrieben die Minderheit der Embera Katio zugunsten eines Staudammprojekts. Warum war es einfacher, dazu aus Deutschland zu recherchieren?
 
Ginna Morelo: Viele der Zeugen, auch Angehörige von Ermordeten, leben im Exil in Europa. Sie wollte ich aufsuchen und persönlich mit Ihnen sprechen. Auch nach fast zwanzig Jahren ist die Angst vor Verfolgung real. Daher war Berlin ein gutes Sprungbrett.
 
Die Rercherche zur Geschichte des Paramilitarismus in Córdoba, der Region, wo Sie aufwuchsen, ist vermutlich nach wie vor gefährlich. Wie kamen Sie zu dem Thema, warum fesselt es Sie derart?
 
Córdoba zählt zu den Regionen Kolumbiens, wo der Konflikt besonders prägend war. Ich bin damals als junge Journalistin mit den Opfern in Kontakt gekommen, wollte ihre Geschichte niederschreiben. Das war nur eingeschränkt möglich, trotzdem ist das Buch erschienen. Zu einigen der Opfer habe ich den Kontakt gehalten, denn mir war immer klar, dass noch nicht alles erzählt war. Nun habe ich das nachgeholt. Spät, aber es hat gedauert bis ich die Zeit, die Mittel und das Format für dieses Projekt gefunden hatte.
 
Ging es immer um ein digitales Format?
 
Nein, erst hoffte ich ein reales Museum in Córdoba dafür zu gewinnen oder eines aufzubauen. Doch das ist komplex, schwierig und scheiterte schnell an den Ressourcen. Mein Bruder ist Museumspädagoge und hat mir in dieser Phase geholfen. So haben wir ein Konzept für ein digitales Museum entwickelt. Für mich ist dabei ein wesentliches Ziel das bleierne Schweigen aufzubrechen, in den Dialog zu kommen. 
 
Im Zentrum Ihrer Recherche und des Museums stehen zwei Ereignisse: die Übernahme der Universität von Montería durch Paramilitärs und die Vertreibung der Embera Katio aus ihrem Siedlungsgebiet. Hängen die beiden Ereignisse zusammen?
 
Ja, die Embera Katio erhielten Unterstützung von Professoren und Dozenten der Universität von Montería und das Staudammprojekt Urrá I, dem die indigene Ethnie weichen musste, ist nicht weit von Montería entfernt. Beide Ereignisse fanden mehr oder minder parallel statt. Das belegen auch die Aufzeichnungen von Kimy Pernía Domicó, einem der Anführer der Ethnie, welche uns letztes Jahr bei einer Visite in der Region überreicht wurden. Die Professoren und Dozenten, die die Embera Katio unterstützten, wurden später ermordet. 
 
Wann wurde die Universität von den Paramilitärs übernommen?
 
Die Übernahme erfolgte im Jahr 2000, aber zuvor war es schon zu Angriffen auf Professoren, Dozenten sowie Mitarbeitern gekommen. Die Ermordung von Professor Alberto Alzate Patiño, dessen Bild und Biografie wir im digitalen Museum präsentieren, war der Auftakt für die später erfolgte Übernahme der Universität. Kimy Pernía Domicó, Aktivist gegen das Staudammprojekt, wurde 2001 von den Paramilitärs ermordet. Mit dessen Tochter Marta Domicó haben wir eng zusammengearbeitet. Sie ist eine weitere Protagonistin unseres Museumsprojekts. 
 
Wie war die Situation in Montería damals? Sie waren als Lokalreporterin eine Beobachterin mit Einblick, oder?
 
Es waren schwierige Jahre, konfuse Jahre, in denen es vor allem ums Überleben ging. 2004 begannen die Verhandlungen zwischen Paramilitärs und Regierung über das Friedensabkommen, 2006 erfolgte die Demobilisierung der Paramilitärs und die anschließende Auslieferung vieler Befehlshaber an die USA. Parallel dazu begann die rechtliche Aufarbeitung der Verbrechen innerhalb des "Justicia y Paz-Prozesses". Damals, 2007, 2008, 2009 formierten sich Gewerkschaften sowie wissenschaftliche Mitarbeiter und Studenten neu, forderten ihre Rechte ein – auch als Opfer der Übernahme der Universität. Unterstützung erhielten sie aus Bogotá von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Delegationen, aber die gab es eben nur punktuell. Die Situation in Montería blieb brisant und ist es bis heute. Ein Beispiel: Als wir letztes Jahr zu Dreharbeiten vor Ort waren, mussten wir Passierscheine beantragen, um in einigen Regionen unterwegs zu sein und drehen zu können. 
 
Von Paramilitärs?
 
Ja, aber es ist nicht eine Gruppe, es sind mehreren mafiöse Banden. Es gibt einen Neo-Paramilitarismo, der eng mit dem Drogenschmuggel verwoben ist. 
 
Gibt es erste Reaktionen auf Ihr digitales Museum? Planen Sie, es vor Ort vorzustellen?
 
Mein Projekt EntreRíos steht erst wenige Tage online, ist noch nicht komplett und es gibt noch keine Reaktionen. Wir werden das digitale Museum in ein paar Wochen vor Ort vorstellen, derzeit laufen die Planungen noch.
 
Erinnerungsprojekte gibt es nicht gerade in großer Zahl in Kolumbien – woran liegt das?
 
Es gibt sie, sie sind aber nicht immer bekannt, weil sie oft nur in einer Region angesiedelt sind. „Escuela de la Palabra“ heißt zum Beispiel ein Projekt zur Erinnerungsarbeit auf Schulebene im Sozialkunde-Unterricht. Unser Ansatz ist es, journalistische Recherche  mit Pädagogik zu verbinden und einen Dialog anzuschieben – in und über die Erinnerung. Das ist meine Idee, die von Reporter ohne Grenzen, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Universität Javeriana gefördert wurde. Wir werden sehen, ob sie funktioniert. 
 
Link zum digitalen Erinnerungsmuseum EntreRíos: https://entreriosmuseo.co/inicio

 

Adveniat-Kampagne "Frieden jetzt!"
Mit seiner Kampagne "Frieden jetzt!" unterstützt Adveniat die Versöhnungsarbeit der kolumbianischen Kirche. In vielen regionalen Friedensinitiativen werden friedliche Konfliktlösungsstragien vor Ort entwickelt und eingeübt.

Interview: Knut Henkel

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