Doku: Unheilvolle Verstrickung von Narcos und Staat
Derzeit läuft in Berlin das Human Rights Film Festival. Zu sehen ist unter anderem der Film "The Cartel Project", der dem Leben und Werk ermordeter Journalisten in Mexiko nachspürt und die enge Verstrickung zwischen Kartellen und Politik in Mexiko dokumentiert.
Xalapa, Veracruz, Mexiko: Es ist der 28. April 2012, als Regina Martínez tot in ihrem Badezimmer aufgefunden wird. Ihr Körper ist mit blauen Flecken übersät. Anscheinend wurde sie mit ihrer Badematte stranguliert – ein qualvoller Tod.
Recherche mit dem Leben bezahlt
Martínez war eine investigative Journalistin, die vor allem den Verbindungen von Narcos und Politikern im Bundesstaat Veracruz nachging. Sie war nicht die erste Journalistin in Mexiko, die für ihre hartnäckigen Recherchen mit dem Leben bezahlte. In den vergangenen 20 Jahren sind rund 120 Journalistinnen und Journalisten in Mexiko eines gewaltsamen Todes gestorben. Doch Martínez´ bis heute ungeklärter Tod war ein emblematischer Fall.
Der Dokumentarfilm „The Cartel Project“ von Jules Giraudat spürt Martínez´ Leben und Werk nach – und beleuchtet dabei auch ein ambitioniertes Vorhaben: 60 Journalistinnen und Journalisten von 25 internationalen Medien, darunter "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung", haben sich im Frühjahr 2020 zum Cartel Project zusammengeschlossen, um - koordiniert von der Organisation Forbidden Stories - Martínez Geschichte und die weiterer getöteter mexikanischer Journalisten weiterzuerzählen.
Film dokumentiert Leben und Werk ermordeter Journalisten
„La Chaparrita“ – „die Kleine“ – wurde die 1,50 Meter große Martínez manchmal gerufen. Sie wird im „The Cartel Project“ als energische Person beschrieben, die nur wenige näher an sie heranließ – auch weil sie um die Gefahren ihrer Tätigkeit wusste und keine/n gefährden wollte. Im Film kommen einige wenige aus ihrem Umfeld zu Wort – darunter Jorge Carrasco, Direktor vom mexikanischen Investigativmagazin Proceso; er beschreibt, wie sein Blatt die Recherchen zum Mord an der geschätzten Kollegin einstellen musste, weil die Bedrohungen, auch gegen ihn persönlich, kein Ende nahmen. Daneben folgt man als Zuschauer am Projekt beteiligten Journalisten bei ihrer Arbeit in den USA und Europa.
„The Cartel Project“, der am Mittwoch (22. 9.) beim "Human Rights Film Festival" in Berlin gezeigt wird, ist kein filmisches Meisterwerk. Es soll ein „dokumentarischer Thriller“ sein und man fragt sich, ob vor allem die dramatische Soundkulisse, die dafür verwendet wird, wirklich nötig gewesen wäre. Erhellend ist die Dokumentation aber insbesondere dort, wo sie die internationale Dimension dessen, was in Mexiko passiert, veranschaulicht. Etwa wenn es um die Waffen der staatlichen Sicherheitsorgane und der Drogengangs in Mexiko geht, durch die jährlich Tausende sterben – viele davon werden von korrupten Polizisten an die Narcos weiter verkauft.
Deutsche Waffen in den Händen der Narcos
Darunter finden sich Waffen aus Italien (Beretta), Österreich (Glock), Israel (IWI) – und selbstverständlich auch aus Deutschland: Das süddeutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch habe dabei „willentlich gegen Exportbestimmungen verstoßen“, wofür es inzwischen zu einem millionenschweren Bußgeld verurteilt wurde, wird Zeit-Journalistin Amrai Coen im Film zitiert. Laut Recherchen des Cartel-Projekts sollen Heckler & Koch-Waffen sogar in dem bekannten Fall der 2014 in Guerrero verschwundenen 43 Studenten zum Einsatz gekommen sein.
Interessant ist auch zu sehen, wie die Kartelle zunehmend auf synthetische Drogen setzen, deren Gewinnspannen größer als die von Kokain sind, darunter das extrem gefährliche synthetische Opioid Fentanyl. Es ist für die Opioidkrise in den USA mitverantwortlich, die dort inzwischen mehr Leben kostet als durch Schusswaffen umkommen. Wichtige Fentanyl-Vorprodukte stammen aus China – und „The Cartel Project“ zeigt, wie leicht sie weiter von dort zu beziehen sind.
Verstrickung zwischen Kartellen und Politik
Und warum musste Regina Martínez nun sterben? Sie war in einer Zeit tätig, als die Gewalt – auch durch neu auf den Markt drängende Akteure wie dem Zeta-Kartell – in Mexiko Mitte der 2000er Jahre zunahm und sich bis heute bestehende Strukturen der Komplizenschaft von Narcos und staatlichen Akteuren verfestigten. Veracruz war dabei aufgrund seiner geografischen Lage wichtig – es hat Mexikos längste Küste und verfügt über einen großen internationalen Hafen.
Es waren die Jahre, als Fidel Herrera (2004-2010) und sein Nachfolger Javier Duarte (2010-2016) als Gouverneure von Veracruz die Zusammenarbeit mit den Narcos verstärkten – oder wie es Martínez wohl ausgedrückt hätte: den Staat in die Hände der Kartelle fallen ließen. Ein EX-FBI-Agent sagt, Herrera sei darum auch „Zeta 1“ genannt worden, während einer von dessen damaligen Mitarbeitern im Film anonymisiert zu Protokoll gibt: „Wenn du nicht auf seiner Seite warst, ließ er dich verschwinden.“ Auf bis zu 25.000 schätzt er die Zahl der Verschwundenen in der Amtszeit beider Gouverneure.
Fall bis heute unaufgeklärt
Es sieht danach aus, dass Regina Martínez brutal ermordet wurde, weil sie diesem heiklen Thema auf der Spur war. Seither sind in Mexiko viele Massengräber ausfindig gemacht worden – Martínez bezahlte diese Recherchen mit dem Leben. Zwar wurde ein halbes Jahr nach ihrem Tod der Öffentlichkeit ein mutmaßlicher Täter präsentiert. Doch der widerrief kurz darauf sein Geständnis: Polizisten hätten ihn solange mit Elektroschocks gefoltert, bis er die Tat zugegeben habe.
Im November 2020 versprach schließlich der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador auf die Frage einer Journalistin vom Proceso, dass der Fall Martínez wieder neu aufgerollt werden solle. Doch trotz seiner „Verpflichtung“ zur Aufklärung ist das bisher nicht geschehen.
Das Human Rights Film Festival in Berlin läuft noch bis zum 25. September: www.humanrightsfilmfestivalberlin.de. „The Cartel Project“ ist am 22. 9. um 20:30 Uhr im Sputnik Kino am Südstern zu sehen.
Mehr zum Cartel-Projekt (in Englisch, Französisch und Spanisch) unter:
https://forbiddenstories.org/case/the-cartel-project