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Die stille Grenze: Das Coronavirus in der mexikanischen Grenzstadt Juárez

Die Corona-Pandemie stellt die Grenzstadt Ciudad Juárez vor eine Zerreißprobe. Die Grenze zu den USA ist dicht, der Handel steht still. Doch für viele Menschen auf der mexikanischen Seite muss das öffentliche Leben weitergehen, sie sind auf ihr Einkommen angewiesen. 

Grenzanlagen am Rio Bravo zwischen der mexikanischen Stadt Juárez und den USA. Foto: Jürgen Escher/ Adveniat

Die Santa Fe-Brücke liegt verlassen da. Dort, wo sich sonst die Autos auf dem Weg in die USA stauen und Fußgänger vor Passkontrollen Schlange stehen, schrubben heute Reinigungskräfte den Asphalt mit Desinfektionsmitteln. Bevölkerung und Wirtschaft der Zwillingsstädte Ciudad Juárez, Mexiko, und El Paso, Texas, sind eigentlich nicht zu trennen. Doch die Regierung der USA hat die Grenzübergänge auf ein absolutes Minimum heruntergefahren. Zehntausende binationale Familien und Arbeitskräfte müssen sich nun für eine Seite der Grenze entscheiden, anstatt täglich zu kreuzen. So auch Schwangere und chronisch Kranke, die sonst mit Visum Zugang zu Behandlung und Medikamenten in beiden Ländern hatten.

Migranten in Quarantäne 

Asylbewerber werden auf den Grenzbrücken gar nicht mehr angehört, was Amnesty International als Verstoß gegen Grundrechte anprangert. Auf der US-amerikanischen Seite fordern Nichtregierungsorganisationen die Schließung der überfüllten Abschiebegefängnisse. Während die US-amerikanische Migrationsbehörde ICE die Quarantäne nutzt, um Hausdurchsuchungen und Abschiebungen nach Mexiko durchzuführen, sitzen Geflüchtete in den Herbergen von Ciudad Juárez fest. Das bedeutet eine hohe Ansteckungsgefahr für eine äußerst verletzliche Bevölkerungs­gruppe. Erst kürzlich ging eine Windpocken-Epidemie in den Flüchtlings­unterkünften der Grenzstadt um.

Sehr unterschiedlich ist der Umgang mit der Krise diesseits und jenseits der Grenze. Während in El Paso Ausgangs­sperre herrscht, bleibt man auf der mexikanischen Seite der Grenze relativ ruhig. Erst in den letzten Tagen wurden öffentliche Parks, Shopping Malls und Restaurants geschlossen. Doch in Ciudad Juárez verschwindet die Angst vor einem Virus hinter den alltäglichen Gewaltverbrechen. Der sogenannte Drogenkrieg  forderte zwischen den Jahren 2008 und 2012 insgesamt 14.000 Tote. Auch aktuell weist die Stadt die zweithöchste Mordrate in Mexiko auf. Im Monat März starben knapp 150 Menschen einen gewaltsamen Tod in der Grenzstadt. Währenddessen bliebt El Paso eine der sichersten Städte der USA.

“In Ciudad Juárez sind die Menschen leider auch ein fatales öffentliches Gesundheits­system gewöhnt”, so Carlos Murillo, Universitätsdozent und Zeitungskommentator. Lediglich die Mittel- und Oberschicht müsse sich jetzt damit auseinandersetzen, was ein Kollaps desselben bedeuten könnte. Während besser gestellte Familien mit einem hohen Informationsgrad schon seit drei Wochen freiwillig Quarantänemaßnahmen praktizieren, ist das für die Mehrheitsbevölkerung noch immer weitestgehend undenkbar.

Überleben ohne Einkommen  

Quarantäne sei in einer Stadt mit einer so krassen sozialen Schere eine Klassenfrage und “habe eine Postleitzahl”, so Murillo. “Ein Luxus, ermöglicht durch fortlaufende Lohnauszahlungen vom Arbeitgeber.” Wie aber solle jemand, der seinen Wochenlohn in den zahlreichen Montagefabriken an der Grenze bezieht oder gar von täglichem Einkommen im informellen Sektor lebt zuhause bleiben? Das Zentrum von Ciudad Juárez ist gefüllt von ambulanten Händlern, Straßenständen und Markthallen. An den Ampeln der mehrspurigen Autostraßen werden Süßigkeiten, Getränke und Spielwaren verkauft.

In Ciudad Juárez wie auch in ganz Mexiko stellt sich die Frage, wie eine Bevölkerung mittelfristig ohne Einkommen überleben soll, die auf keinerlei Ersparnisse zurück­greifen kann. Auch deshalb mag der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador erst zögernd Maßnahmen hinsichtlich des Coronavirus ergreifen. In der Grenzstadt Juárez kommt erschwerend eine hohe Gewaltbereitschaft, Bandenpräsenz und Waffenumlauf hinzu. Eine hungernde Bevölkerung dürfte schwer zu kontrollieren sein. Eine Sicherheitskrise erscheint in diesem Sinne weitaus gravierender als ein halbes Dutzend Coronafälle in der Stadt.

Sollte sich das Virus jedoch ausbreiten, könnte es eine von Vorerkrankungen wie Diabetes und Übergewicht betroffene Bevölkerung verstärkt treffen. Und auch der Anteil alter, zumeist in Armut lebender Menschen ist in der Industriemetropole Juárez sehr viel höher als der mexikanische Durchschnitt.

Autorin: Kathrin Zeiske

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