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Chile: Schwieriger Anfang für Gabriel Boric

Gut drei Monate sind Gabriel Boric und seine linke Regierung jetzt im Amt. Und es waren 100 stürmische Tage, in denen dieses junge und unerfahrene Kabinett mehr Konflikte lösen musste und sich mehr Problemen gegenübersah als manch andere Regierung in gesamten Amtszeiten. 

Chiles Präsident Gabriel Boric sieht sich nach 100 Tagen Regierungszeit mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Foto: Concierto de la Hermandad argentino chilena, Kaloian/ Ministerio de Cultura de la Nación, CC BY-SA 4.0

Chiles Präsident Gabriel Boric sieht sich nach 100 Tagen Regierungszeit mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Foto: Concierto de la Hermandad argentino chilena, Kaloian/ Ministerio de Cultura de la Nación, CC BY-SA 4.0

Boric, 36, und seine im Schnitt kaum älteren Ministerinnen und Minister haben es von Anbeginn mit alten und relativ neuen Konflikten zu tun gehabt, von denen die meisten ererbt waren. Der Mapuche-Konflikt im Süden des Landes und die Kriminalität in den Städten geraten zunehmend außer Kontrolle. Die Drogenbanden tragen vor allem in der Hauptstadt Santiago ihre Konflikte auf offener Straße aus. Die Inflation ist auf eine Jahresteuerungsrate von 11,5 Prozent geschnellt, dabei hatte Chile schon vorher ein europäisches Preisniveau bei lateinamerikanischen Einkünften. Fuhrunternehmer haben versucht, das Land lahmzulegen, im Norden kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und venezolanischen Migranten. Und die Verfassunggebende Versammlung zankte lange zäh um die 449 Artikel des neuen Grundgesetzes, das im Juli präsentiert und über das im September abgestimmt werden soll. 

Mapuche-Konflikt, Corona und Inflation

„Boric hat in einem komplizierten Szenario übernommen, das in Chile so noch keine Regierung vorher hatte“, sagt Camila Miranda, Direktorin des Thinktanks „Fundación Nodo XXI“. „Zum einen gibt es sehr hohe Erwartungen seitens der Bevölkerung auf Veränderungen. Zum anderen sind die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen mit dem offenen Mapuche-Konflikt, dem Verfassungsprozess sowie den Folgen der Covid-Pandemie immens“. Es habe „keine Schonfrist, keine Einarbeitungszeit“ gegeben. „Von heute auf morgen mussten rasch wichtige Entscheidungen getroffen werden“, unterstreicht Miranda gegenüber Blickpunkt Lateinamerika. Und da seien eben Anfängerfehler passiert, wie etwa der Besuch der Innenministerin Izkia Siches vier Tage nach der Machtübernahme Mitte März in der Mapuche-Region, ohne sich vorher genau über die Umstände und das politische Umfeld zu informieren. 

Kriminelle nutzen Konflikt für eigene Interessen 

Am 14. März reiste Siches als Geste des guten Willens in die Araukanie, die Heimatregion der Mapuche im Süden Chiles. Aber ihre Delegation wurde mit Schüssen in die Luft, Straßensperren, Barrikaden und Einschüchterungsversuchen empfangen. Die Urheber waren vermutlich eine Fraktion der Mapuche, die jeden Dialog mit dem Staat ablehnen. 
 
Die Konfrontation sei mittelbar auch eine Folge davon, dass der Konflikt längst außer Kontrolle geraten sei, sagt Padre Fernando Díaz von der Organisation JUPIC im Gespräch. „Die jahrzehntelange Kontroverse wird inzwischen auch von den Interessen von Drogenbanden, illegalen Holzhändlern und jeder Art von Kriminalität überlagert,“ betont der Steyler-Missionar, der in Temuco lebt. Die kirchlich Organisation Jupic (Gerechtigkeit, Frieden und Einheit der Schöpfung) unterstützt die Mapuche im Kampf für ihre Rechte und wird vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat finanziell gefördert.  
 
Trotz rund 1.500 Gewaltakten, wie dem Abbrennen von LKW und die Errichtung von Straßensperren, versuchte Boric zunächst anders als seine Vorgänger, die Krise mit Dialog und ohne Militarisierung zu lösen. Aber Mitte Mai sah er sich dazu gezwungen, einen begrenzten Ausnahmezustand zu verhängen. Damit wurde der Präsident seinen eigenen Wahlkampfversprechen untreu und traf auf Widerstand im eigenen Kabinett. „Ich bin mir bewusst, dass diese Maßnahme nicht das eigentliche Problem löst“, sagte Boric in einer Rede an die Nation Anfang des Monats. „Aber als Präsident habe ich die Pflicht, alle rechtlichen Mittel einzusetzen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.“

Wahlkampfversprechen gebrochen

Padre Díaz sieht diesen Schritt dennoch kritisch. Die Regierung sei den Konflikt unerwartet angegangen. „Wir haben gedacht, dass der Präsident mehr Vorsicht walten lassen würde.“ Aber man könne ganz gut sehen, dass nicht einfach eine neue Regierung kommen und die Vergangenheit vergessen machen könne. Für die Mapuche wiederhole sich auch mit Boric die „Erfahrung eines enttäuschenden Staates“. "Die Nichterfüllung indigener Forderungen über so lange Zeit hinweg hat dafür gesorgt, dass Frustration und Misstrauen bei den Mapuche groß sind“, unterstreicht Díaz. 
 
Wichtig sei aber auch, die Gewaltakteure auseinanderzuhalten. „Es gibt eine kleine Gruppe des Mapuche-Sektors, die gewalttätig ist und vom Staat nichts wissen will.“ Aber genauso gäbe es andere Akteure, die nicht zu den Ureinwohnern gehören, aber ein Interesse daran haben, für Unruhe zu sorgen und sicherzustellen, dass die Araukanie nicht zur Ruhe kommt“, warnt Steyler-Missionar Díaz. Die Region und die Menschen lebten in einem Klima eines „angekündigten Terrorismus“. 

Autor: Klaus Ehringfeld, Mexiko

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