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Chile sagt Klimagipfel und Wirtschaftstreffen ab

Wegen anhaltender sozialer Proteste hat Präsident Sebastián Piñera die Weltklimakonferenz COP und das APEC-Gipfeltreffen abgesagt. Jetzt ist Bonn als alternativer Standort für die Klimakonferenz im Gespräch. 

Lateinamerika Chile Santiago Stadtansicht Skyline Adveniat

Skyline der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile. Foto: Adveniat/Matthias Hoch

Die Nachricht ging um die Welt wie ein Lauffeuer und sorgte im Ausland für Kopfschütteln. Am Mittwochvormittag, 30. Oktober 2019, trat Chiles Präsident Sebastián Piñera vor die Presse, flankiert von zwei seiner Minister. Mit ernster Mine verkündete er, dass sein Land zwei internationale Großveranstaltungen nicht ausrichten werde. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste in seinem Land sagte Piñera die Weltklimakonferenz COP Anfang Dezember ebenso ab wie das Gipfeltreffen des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums APEC Mitte November. 
 
„Angesichts der schwierigen Umstände, die unser Land in den vergangenen Wochen erlebt hat, hat unsere Regierung beschlossen, den APEC-Gipfel und die COP25 im Dezember nicht zu veranstalten", betonte Piñera in Santiago de Chile. Seine Regierung müsse sich jetzt vor allem um die von der Bevölkerung geforderten Reformen kümmern, unterstrich ein sichtlich angeschlagener Staatschef. „Wie bedauern zutiefst die Probleme und Unannehmlichkeiten, die diese Entscheidung für beide Gipfeltreffen bedeutet.“ Der APEC-Gipfel sollte vom 11. bis zum 17. November in dem südamerikanischen Land stattfinden, und der Weltklimagipfel war vom 2. bis zum 13. Dezember geplant.

Bonn als alternativer Ausrichtungsort?

Bei der Suche nach alternativen Ausrichtungsorten ist jetzt auch Bonn als Standort im Gespräch: „Wir fordern die Bundesregierung auf, schnell ihre Bereitschaft zu zeigen, die UN-Klimakonferenz in Bonn auszurichten. Dort befindet sich auch das UN-Klimasekretariat. Die Bekämpfung der Klimakrise darf nicht vertagt werden“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. 

Was international für Ratlosigkeit sorgte, trifft in Chile auf Zustimmung und ist für viele Menschen eine Art logische Konsequenz aus dem, was in den vergangenen knapp zwei Wochen in dem schmalen Andenstaat passiert ist. Die Absage sei konsequent, sagen viele Chilenen, weil die Regierung nicht zur Tagesordnung übergehen und so tun könne, als sei alles in bester Ordnung. Denn trotz einer Kabinettsumbildung und eines „Mea culpa“ des Präsidenten gehen die Proteste unvermindert weiter. Die Chilenen fordern die Abkehr vom neoliberalen Wirtschafts- und Sozialmodell, das mit niedrigen Löhnen und Gehältern und hohen Lebenshaltungskosten verknüpft ist. 

Blamage für die chilenische Regierung 

Experten und Politiker ordnen die Absage als eine Art Blamage für die Regierung ein. „Das ist ein harter Schlag für die Außenpolitik Chiles“, sagt der ehemalige Außenminister Heraldo Muñoz, „Aber es war absehbar, denn der soziale Frieden ist noch nicht wieder hergestellt“. Die Bevölkerung hätte nicht verstanden, wie so viel Geld für APEC und COP ausgegeben werden wird, während es so große andere dringende soziale Baustellen gibt“, betonte Muñoz. „Die Blicke müssen jetzt ganz auf das gerichtet sein, was sich in Chile ändern muss wie die sozialen Verbesserungen und die Diskussion um eine neue Verfassung“. Andere Politiker bezeichneten die Entscheidung als einen Entschluss, der „Realismus“ zeige. 
 
Der konservative Präsident entschied sich offenbar endgültig gegen die Ausrichtung der Konferenzen, als er sah, dass weder das „Mea culpa“ gegenüber der Bevölkerung vor einer Woche noch die Umbildung des Kabinetts auf acht Posten vor wenigen Tagen dazu taugte, den Furor der Bevölkerung zu mildern. „Er hat aber nicht die Minister für Bildung und Gesundheit ausgewechselt“, kritisiert Pfarrer Fernando Díaz, Projektpartner des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Doch gerade diese stünden für das neoliberale System des Landes mit gewinnorientiertem Bildungs- und Gesundheitssektor, betont der Steyler-Missionar von der Organisation JUPIC (Gerechtigkeit, Frieden und Einheit der Schöpfung) in der südchilenischen Stadt Temuco. „Selbst hier bei uns gehen jeden Tag Fischer, Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer auf die Straße. Und alle fordern was anderes und alle fordern es jetzt sofort“, sagt Díaz im Gespräch. Die Proteste gehen quer durch die chilenische Gesellschaft. In diesem Klima sei es unmöglich gewesen, die Tagungen auszurichten. Der Präsident könne die Sicherheit im Land ja nicht mehr garantieren. „Er hat vollständig die Kontrolle verloren“. Chile sei ein Stück weit unregierbar. 

Proteste mit 20 Toten und mehr als 600 Verletzten
 
Seit rund zwei Wochen kommt es in dem Land zu schweren und anhaltenden Protesten und Ausschreitungen, die sich gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell und die hohen Lebenshaltungskosten richten. Im Verlauf der politischen Unruhen wurden mindestens 20 Menschen getötet und fast 600 weitere verletzt. Es gab mehr als 3.000 Festnahmen. Eine UN-Sondermission soll in den kommenden Tagen mögliche Menschenrechtsverletzungen untersuchen, die von den Sicherheitskräften bei dem Versuch begangen wurden, die Proteste niederzuschlagen. 
 
Der konservative Staatschef hatte erst mit Repression auf die Proteste reagiert, aber nach einer Woche umgeschwenkt und sich dafür entschuldigt, dass er nicht verstanden habe, wie erbost seine Landsleute über ihre Situation seien. Anfang der Woche hatte er das Kabinett umfassend umgebildet und gehofft, damit die Proteste ersticken zu können. Aber weiterhin gehen jeden Tag Chilenen auf die Straße, weil ihnen die Reformen und die Angebote der Regierung nicht weit genug gehen. Inzwischen forden die Menschen den Rücktritt des Staatschefs. 

Extreme Ungleichheit schürt Unzufriedenheit

Auch für Piñera als Präsident ist die Absage ein schwerer Prestigeverlust. Er wollte das Bild Chiles als Hort der Stabilität und als Vorzeigeland in Lateinamerika mit der Ausrichtung der beiden internationalen Großveranstaltungen festigen. Ihm war aber jetzt offenbar das Risiko zu hoch, dass beide Events von den Protestierern zu massiven Demonstrationen genutzt werden könnten. Der 66-Jährige fürchtet, dass sein Land mit noch mehr negativen Schlagzeilen in der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird. Noch am Montag waren Hunderte wütende Protestierer vor den Präsidentenpalast La Moneda im Zentrum von Santiago gezogen und hatten den Rücktritt von Piñera gefordert. Er verfügt nur noch über eine Zustimmung von 14 Prozent in der Bevölkerung. Es ist unklar, ob er sich als Präsident wird halten können. 
 
Chile ist eines der ungleichsten Länder der Welt, in dem es extrem reiche Menschen gibt. Und wo ein Prozent der Bevölkerung über mehr ein Viertel des Reichtums verfügt, während der Großteil der Bevölkerung mit rund 500 Euro über die Runden kommen muss. In dem Andenstaat sind so gut wie alle Serviceleistungen privatisiert und so teuer wie in Europa. Der Mindestlohn in dem Land liegt aber bei 301.000 Pesos (380 Euro). Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes (INE) verdient die Hälfte der Arbeiter 400.000 Pesos (504 Euro) oder weniger.
 
Jetzt müsse die Bundesregierung einspringen und die Klimakonferenz am UN-Standort Bonn ausrichten, forderte Ann-Kathrin Schneider von der Umweltorganisation BUND. Die Umsetzung des Pariser Abkommens müsse trotz der Absage sichergestellt werden. Auch FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff forderte: „Die Bundesregierung muss jetzt zeigen, dass sie es mit dem Klimaschutz ernst meint und die Konferenz deshalb schnellstmöglich nach Deutschland holen."

Autor: Klaus Ehringfeld

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