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Brasilien |

"Bolsonaro hat der Kunst und Kultur den Krieg erklärt"

Erstmals wird der Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken in der Kategorie Tanz vergeben: Am Dienstag (28.09.) erhält ihn die brasilianische Tänzerin und Choreographin Lia Rodrigues. Seit Jahrzehnten bringt sie Appelle gegen Diskriminierung und für mehr Humanität tänzerisch auf die Bühne. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die 1956 in Sao Paulo geborene Künstlerin über die Lage von Kunst und Kultur in ihrer Heimat - und über die Aufgabe des Tanzes in dunklen Zeiten.

Foto: Lia Rodrigues/Companhia de Danças

Foto: Lia Rodrigues/Companhia de Danças

KNA: Frau Rodrigues, dies ist nicht Ihr erster Preis - aber ein ungewöhnlicher. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

Lia Rodrigues: Ich kannte den "Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken" nicht und war überrascht, dass meine Arbeit ausgewählt wurde. Obwohl die doch hier in Rio so weit weg von Deutschland stattfindet. Ich denke, dass jeder Preis seine eigene Wichtigkeit hat, und es ist stets eine Ehre, wenn die eigene Arbeit anerkannt wird. Zudem möchte ich daran erinnern, dass die Arbeit das Ergebnis eines langen Weges ist, und der ist durch viele Menschen und viele Kooperationen erschaffen worden. Man gewinnt keinen Preis alleine. Deshalb ist es so besonders, wenn man einen gewinnt.

Sie hatten also keine Ahnung, dass Ihre Arbeit in Deutschland beobachtet wurde?

Ich war überrascht - aber auch sehr glücklich. Seit vielen Jahren habe ich eine Partnerschaft mit Institutionen in Deutschland, die mir meine Arbeit überhaupt erst ermöglichen. Diesen Institutionen habe ich viel zu verdanken, genauso wie den Menschen in Deutschland, die mich begleiten und unterstützen.

Welche Bedeutung hat die Religion für Sie und Ihr Leben?

Ich verteidige den gegenseitigen Respekt, den Dialog und die Kooperation zwischen unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Völkern und Zivilisationen. Die religiöse Toleranz und das Recht auf Diversität sind fundamentale Rechte aller Bürger. Der brasilianische Staat ist laizistisch und hat die Pflicht, die Freiheit der Religionen zu garantieren.

In Brasilien herrscht derzeit ein Klima der Kunstfeindlichkeit, viele öffentliche Gelder werden gestrichen. Dazu kommt die Pandemie, die das Land sehr hart getroffen hat. Wie sehen Sie den Zustand der Kunst und Kultur im Brasilien des Jahres 2021?

Für die brasilianischen Künstler ist die Lage dramatisch. Es gab ja in der Weltgeschichte schon Momente, in denen Bücher verbrannt wurden, in denen Kunst als minderwertig abgestempelt wurde und in denen Künstler verfolgt wurden. In Brasilien erleben wir gerade einen dunklen Moment. Präsident Bolsonaro hat der Kunst und Kultur den Krieg erklärt. Es gibt weder Investitionen noch Subventionen, und Künstler werden zur Zielscheibe der Regierung. Theaterstücke, Tanzaufführungen, Filme und Ausstellungen werden zensiert. Genau so funktioniert der Faschismus: einschüchtern, zensieren und die Meinungsfreiheit töten.

Was für ein Land ist das Brasilien des Jair Messias Bolsonaro?

Wir erleben gerade einen der schrecklichsten Momente unserer jüngsten Geschichte. Die Covid-19-Krise zeigt auf, unter welch prekären Umständen die Mehrheit der Brasilianer lebt. Mehr denn je stehen wir jetzt vor der tiefen sozialen Ungleichheit und den Menschenrechtsvergehen, die unsere Gegenwart und die Vergangenheit unseres Landes prägen. Die brutale Regierung des faschistischen Präsidenten Bolsonaro bedient sich der Gewalt und Zerstörung, der Diskurse und Handlungen voll Hass sowie "Fake News". Er missachtet die demokratischen Werte, fördert die Zerstörung in Amazonien und in den Savannen des "Cerrado", im Sumpfgebiet Pantanal sowie das Sterben von besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen.

Was ist in diesem Szenario die Bedeutung des Tanzens?

Die Bedeutung des Tanzes ist genau dieselbe wie die jeder anderen Kunstform, der Bildung, der Kultur, der Umsicht mit der Umwelt und dem Respekt gegenüber der Diversität.

Sie arbeiten mit Menschen, die in Favelas von Rio de Janeiro leben, konkret in der armen Mare-Favela. Kennen die Vertreter der noblen Mittel- und Oberschichtsviertel diese andere, ärmere Welt? Interessiert sie das Schicksal der dort lebenden Menschen?

Ich arbeite mit Menschen aus allen möglichen Regionen der Stadt Rio de Janeiro, nicht nur mit Favela-Bewohnern. Brasilien ist ein extrem ungleiches Land mit einem strukturellen Rassismus, der sich in allen Lebensbereichen manifestiert. Als weiße Frau aus der Mittelschicht habe ich eine privilegierte Position, und stets konnte ich daraus für mich Vorteile ziehen. Ich denke, dass Privilegien Verantwortung mit sich bringen. Es ist fundamental wichtig, aktiv an den tiefen Umwälzungen mitzuarbeiten, die wir so dringend brauchen.

In diesen Zeiten zu tanzen - ist das ein politischer Akt? Ihre Aufführungen, wie "Para que o ceu nao caia" (dt. Damit der Himmel nicht einstürzt) thematisiert die Zerstörung der indigenen Welt in Brasilien.

Ich glaube daran, dass alle unsere Handlungen in der Welt politisch sind. Und in meinen Handlungen - sowohl als Künstlerin wie auch als Bürgerin - suche ich stets die Balance zwischen Utopie und Pragmatismus. Die Projekte, die ich in der Mare-Favela seit 2004 entwickle - zusammen mit "Redes da Mare", einem bürgerlichen Netzwerk zur Entwicklung der Favela - sind wichtige Bestandteile meiner Arbeit, meiner Art zu denken, meines Aktivismus. Sie verändern mich als Person, als Künstlerin und Bürgerin. Und das ist das, was für mich politisch Sinn macht. Dabei treffe ich auf Personen und Projekte, die mir Hoffnung geben, aber eine kampflustige Hoffnung. Jeden Tag lerne ich zu kreieren, zu organisieren und Widerstand zu leisten.

Sehen Sie einen Weg, wie Brasilien aus dieser verzwickten aktuellen Lage herauskommen kann?

Man muss die Regierung dieses "genocida" (Massenmörders) Bolsonaro absetzen.

Quelle: kna, Interview: Thomas Milz, Rio de Janeiro

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