Blickpunkt-Lateinamerika 2/2020

„Es gibt Leute, die sich mittags ihre Portion abholen und dann bis zum nächsten Tag nichts mehr zu essen haben“, erzählt Bety Zarza. Auch sie arbeitet norma- lerweise als Haushaltshilfe und darf jetzt wegen der Quarantäne die Siedlung nicht verlassen – ihre ganze Energie steckt die Vierzigjährige derzeit in die Hilfe für die Bedürftigen. Besorgt und nervös seien die Men- schen im Viertel, sagt Bety. Zwar gibt es hier bislang keine Coronavirus-Infektionen, aber die Existenzängs- te sind groß. „Wir konzentrieren momentan alle unse- re Kräfte auf die Nahrungsmittel-Hilfen“, betont die Caritas-Direktorin der Diözese Merlo-Moreno, Rosa María López. Sie schaut an diesem Vormittag in der Siedlung 18 de Julio vorbei und begrüßt die Ehrenamt- lichen nicht wie sonst mit einemWangenkuss, son- dern durch ein freundliches Anstupsen von Ellbogen zu Ellbogen. 46 Armenküchen in Moreno und Merlo unterstützt die Caritas zurzeit mit Lebensmitteln. An dieser dringend notwendigen Hilfe beteiligt sich das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat mit 14.600 Euro. Die Siedlung 18 de Julio heißt schlicht nach dem Tag ihrer Gründung: An einem 18. Juli vor rund zehn Jahren ließen sich die ersten Menschen auf dem brachliegenden Stück Land in Moreno nieder. Sie alle waren Einwanderer aus Paraguay. Heute säumen ein- fache, kleine Häuser die matschigen Wege des Viertels – einige verputzt, andere aus nacktem Ziegelstein. Die Bewohner haben sie mit eigenen Händen gebaut, genauso wie ihre Kirche, vor der eine Statue der in Paraguay verehrten Jungfrau von Caacupé steht. Die Caritas Merlo-Moreno verteilt die Lebensmittel, die sie für die Armenküchen kauft, mit einem Liefer- wagen. Auch dessen Anschaffung hat Adveniat 2013 mitfinanziert. Mit diesem Fahrzeug geht es nun in die Nachbarsiedlung – im Schritttempo, weil die unbe- festigten Straßen vom Regen aufgeweicht sind. Immer wieder muss Caritas-Mitarbeiterin Marisa Martínez, die am Steuer sitzt, den Wagen durch riesige Pfützen manövrieren. Immerhin: Dass es überhaupt so etwas wie Straßen in den Armenvierteln gebe, sei den Be- wohnern zu verdanken, und nicht dem Staat, sagt die zierliche Frau, die bei der Diözese angestellt ist. Kran- kenwagen fahren dennoch nicht ins Viertel. Wer rasch ärztliche Hilfe benötigt, hat ein Problem. Marisa Martínez ist von früh bis spät für die Armen- küchen im Einsatz. Sie arbeitet eng mit den vielen Ehrenamtlichen zusammen, von denen die meisten Frauen sind. „Was diese Menschen uns beibringen, ist mehr als das, was wir ihnen geben können“, sagt Marisa. Immer wieder ist sie überrascht über die Kraft, mit der die Bewohner der Armenviertel sich organi- sieren und gegenseitig unterstützen. „Vielleicht hat es etwas mit ihrer Entwurzelung zu tun. Diese Menschen haben ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen – um in ein Land zu kommen, das ihnen auch keine großen Möglichkeiten bietet.“ ZUR ARBEITSLOSIGKEIT VERURTEILT Graciela González aus der Siedlung 8 de Diciembre ist überzeugt davon, dass ihre Entscheidung, nach Argentinien auszuwandern, richtig war. „Wenn man hier vorankommen will, hat man Möglichkeiten. Es gibt mehr Jobs als in Paraguay“, sagt die Mutter von fünf Kindern. Doch imMoment sind die meisten Be- wohner des Viertels zur Arbeitslosigkeit verurteilt. In der Gemeinschaftsküche Comedor San Francisco gibt Graciela González gemeinsammit anderen Ehrenamt- lichen täglich 250 warme Mahlzeiten aus. Schon vor der Pandemie kochten die Frauen mit Unterstützung der Caritas Merlo-Moreno für be- sonders bedürftige Nachbarn, doch seit Beginn der Quarantäne kommen weitaus mehr hungrige Men- schen. „Wir bräuchten eigentlich das Doppelte der Lebensmittel, die wir zur Verfügung haben“, sagt die freiwillige Helferin Laura Godoy. Nachmittags verteilt sie einen Becher Milch und einen Snack an die Kinder des Viertels. Vor der Corona-Krise bewirtete die Para- guayerin 120 Kinder, jetzt sind es dreihundert. Bety Zarza ist ehrenamtliche Helferin und Katechetin. 14 Reportage

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