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Weihbischof Margni, Argentinien: "Wir müssen charismatischer werden"

In Argentinien, dem Heimatland von Papst Franziskus, wenden sich die Menschen von der katholischen Kirche ab – und evangelikalen Freikirchen zu. Marcelo Margni ist Weihbischof in der Diözese Quilmes, einem armen Vorort von Buenos Aires. Im Interview spricht er über die Schwerfälligkeit der Institution Kirche und die Kapitalisierung des Glaubens durch Freikirchen. 

Lateinamerika Argentinien Quilmes Weihbischof Kirche Religion

Marcelo Magni, Weihbischof von Quilmes in Argentinien, wünscht sich einen "humaneren, sozialeren und gerechteren Katholizismus". Foto: Felix Wellisch

Blickpunkt: Vor 50 Jahren waren noch neun von zehn Argentiniern Katholiken. Heute ist es nur noch jeder sechste. Stattdessen gehen viele Menschen zu evangelikalen Freikirchen, die in den letzten zehn Jahren ihre Mitgliederzahlen beinahe verdoppeln konnten. So geht es aus einer Studie des argentinischen Forschungsinstituts CONICET hervor. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Weihbischof Marcelo Margni: Die evangelikalen Gottesdienste sind freier, oft mit mehr Musik. Die ganze Organisation dieser Kirchen ist einfacher. Die Priesterausbildung dauert nicht so lange, neue Kirchen zu eröffnen, ist unkomplizierter. Es fehlt die komplexe Organisation der katholischen Kirche mit all ihren Protokollen und Richtlinien. Das hat Nachteile. Zunächst einmal aber ermöglicht es ein sehr schnelles Wachstum. 

Was haben die Evangelikalen, was die Kirche nicht anbieten kann?

Wir müssen zugeben: Sie arbeiten oft näher an den Menschen, etwa in den armen Vierteln oder in der Provinz. Der Kirche hingegen fehlt der Priesternachwuchs. Von den etwa einhundert Priestern in Quilmes gehen viele bald in den Ruhestand. Hinzu kommt, dass Priester oft auch Verwaltungsaufgaben erfüllen müssen. Hier wird die komplexe Struktur der katholischen Kirche manchmal eine Last. Ich bin in der Diözese Quilmes für 28 katholische Schulen verantwortlich, wir haben 5.000 Angestellte und Argentinien befindet sich in einer Wirtschaftskrise. Für mich bedeutet das alles Schreibtischarbeit – Zeit, die mir dann fehlt, um mich direkt dem Dienst an den Armen zu widmen. Wir müssen darauf achten, dass der der Abstand zwischen den Gläubigen und der Institution Kirche nicht zu groß wird. 

Wie groß ist dieser Abstand in Ihrer Diözese Quilmes?

Zur Diözese Quilmes gehören etwa 1,5 Millionen Menschen, viele davon aus armen Verhältnissen. Die Diözese ist relativ jung und bekannt dafür, Papst Franziskus' Position nahe zu sein, zu den Armen zu stehen. Ich komme, wie mehrere unserer Priester, selbst aus einer Arbeiterfamilie von hier. Wir haben über einhundert soziale Einrichtungen und Essensausgaben in der Stadt. Trotzdem: Wenn man durch die Viertel läuft, sieht man, dass es auch hier in jedem zwei bis drei evangelikale Kirchen gibt. 

Hat das Wachstum der evangelikalen Kirchen politische Auswirkungen?
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Man spürt es hier in Argentinien  noch nicht so sehr wie etwa in Brasilien, wo Präsident Bolsonaro den Evangelikalen sehr nahe steht. Aber viele der evangelikalen Priester haben sehr fundamentalistische Einstellungen. Vor allem aber verändern sie den Glauben, sie machen ihn neoliberaler. Viele dieser Kirchen fordern zehn Prozent des Einkommens ihrer Mitglieder nach dem Grundsatz „Gott gibt dir, was du Gott gibst“. Das ist ein sehr materialistischer Gedanke. Diese Herangehensweise passt natürlich gut zum neuen Konservatismus, der aktuell in ganz Lateinamerika Einfluss und Wahlen gewinnt. 

Wie kann die katholische Kirche mit diesen Herausforderungen umgehen? 

Wir müssen uns zurückbesinnen auf das ursprüngliche Erlebnis des frühen Christentums, auf die mystische Erfahrung, die das Christentum letztlich ist. Dazu sollten wir institutionellen Ballast ablegen und charismatischer werden - in der Gemeinschaft und mit Nächstenliebe. Wir müssen, wie Papst Franziskus sagt, den Ruf der Armen und des Planeten hören. Mit anderen Worten: zu einem humaneren, sozialeren, gerechteren Katholizismus finden. Und wir müssen uns daran gewöhnen, mit anderen Kirchen zusammenzuleben. In Argentinien gab es viele Jahrzehnte quasi nur die katholische Kirche. Der Katholizismus hat nun nicht mehr die Alleinherrschaft, daran müssen wir uns gewöhnen. 

Wie kann das konkret aussehen?

Wir müssen verstehen, dass der Reichtum der Kirche in ihrer Vielfalt liegt. Evangelikale Kirchen sind eine Ausprägung des christlichen Glaubens. Die katholische Kirche muss Wege suchen, wie sie wieder Gläubige für sich begeistern kann, muss ihnen zuhören und sie begleiten. Wir müssen uns aber auch auf den Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften wie den evangelikalen Kirchen einlassen und nach Gemeinsamkeiten suchen, die uns im Dienst an den Bedürftigen zusammenbringen.

Interview: Felix Wellisch

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