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Chile |

Ultrarechts dominiert chilenische Verfassungsversammlung

Das links-modernes Regierungsprojekt ist schon nach 15 Monaten dem Ende nah: Chiles Präsident Gabriel Boric und progressive Kräfte des Landes fahren eine schwere Schlappe ein. Gewinner ist der rechte ehemalige Präsidentschaftskandidat José Antonio Kast.

Foto: Jürgen Escher/Adveniat

Die schlimmsten Befürchtungen von Chiles jungem Linkspräsidenten Gabriel Boric und seiner Regierung haben sich am Sonntag erfüllt. Bei der Wahl zur zweiten Verfassunggebenden Versammlung, die ein neues Grundgesetz für das südamerikanische Land schreiben soll, erreichte die „Republikanische Partei“ des ultrarechten früheren Präsidentschaftskandidaten José Antonio Kast nahezu einen Erdrutschsieg. Für die erst seit 2019 existierende Partei, deren offen erklärtes Ziel es war, die aktuelle Verfassung aus Zeiten der Pinochet-Diktatur beizubehalten, stimmten 35,48 Prozent der Wählerinnen und Wähler. 

Paradoxes Ergebnis
 
Die traditionelle bürgerliche Rechte kam mit ihrer Liste „Chile Seguro“ auf den dritten Platz mit 21,14 Prozent der Stimmen. Damit werden die Ultrarechte und die Bürgerlichen in der neuen 51-köpfigen Verfassungsversammlung 33 Mitglieder stellen. Die Liste „Unidad para Chile“, in der sich die Mehrheit der Regierungsparteien zusammengeschlossen hatte, kam auf den zweiten Platz mit 28,45 Prozent der Stimmen. Damit besetzt sie nur die restlichen 17 Sitze im Verfassungsrat, was nicht einmal für ein Veto reicht. Ein letzter Platz bleibt für den Vertreter der Ureinwohner reserviert. Die konservativen Kräfte können entscheidende Punkte der neuen Verfassung ohne Verhandlung mit der Linken durchsetzen. 
 
Insgesamt erreichte die chilenische Rechte 56,5 Prozent der Stimmen und schnitt damit noch besser ab als vorhersagt. Für die junge linke Regierung von Präsident Boric, die gerade seit März 2022 amtiert, ist es eine Katastrophe. Chiles politisches Spektrum hat sich nur drei Jahre nach den Sozialprotesten und dem Wunsch nach einer modernen, gerechteren und demokratischeren Verfassung sowie der Abschaffung des neoliberalen Wirtschafts- und Sozialmodells dramatisch nach rechts entwickelt.  
 
Das Ergebnis sei absolut paradox, sagt Pierina Ferretti, vom linken Thinktank „Stiftung Nodo XXI". „Diejenigen, die jahrzehntelang die Möglichkeit einer Verfassungsänderung abgelehnt haben und heute die größte Bedrohung für die Demokratie Chiles darstellen, haben nun alle Freiheiten, um einen neuen Text nach ihren Vorstellungen zu schreiben“. Zur Erinnerung: Im September hatte die Bevölkerung in einem Referendum überraschend deutlich den ersten Entwurf für eine neue Verfassung mit 62 Prozent abgelehnt. Dieser damalige Text für eine neue Magna Charta war sehr stark ökologisch geprägt, in Teilen feministisch und hätte Sonderrechte für die Ureinwohner festgeschrieben und Chile so zu einem plurinationalistischen Staat gemacht. Der damalige Verfassungsrat war dominiert von linken und linksliberalen Kräften innerhalb, aber vor allem außerhalb des Parteienspektrums. In der Folge hatten die wenigen konservativen Mitglieder der Konstituente keine Chance, ihre Themen durchzubringen. Und nun erhält Chile eine Verfassungsversammlung, die politisch genau andersherum auf rechts gezogen ist.

In diesem Sinne rief Präsident Boric am Sonntagabend die Republikanische Partei dazu auf, „als Wahlsieger nicht die Fehler zu wiederholen, die wir damals machten“. Der vorangegangene Prozess sei gescheitert, „weil wir nicht in der Lage waren, denjenigen zuzuhören, die anders dachten.“ 

Ausufernde Gewalt ist Hauptgrund

José Antonio Kast, der Boric in der Stichwahl um das Präsidentenamt 2021 nur knapp unterlegen war, wertete den Ausgang der Abstimmung vom Sonntag als „die Niederlage für eine gescheiterte Regierung“. „Heute gibt es nichts zu feiern, denn Chile geht es nicht gut“, sagte Kast unter Bezugnahme auf die wirtschaftlichen Probleme der Menschen wie die hohe Inflation, aber vor allem die steigende Kriminalität, dem Drogenhandel und die Probleme mit der Einwanderung von Tausenden Migranten ohne Papiere. 
 
Tatsächlich muss der Ausgang der Wahl zur Konstituente als eine Abstrafung der Regierung gelesen werden. Boric verfügt gerade noch über eine Zustimmung von 30 Prozent. Das liegt zum einen an der anhaltend schwachen Wirtschaft, aber vor allem dem Ausufern der Gewalt in chilenischen Städten, hauptsächlich in der Metropole Santiago. Zudem hat die Zuwanderung von Migranten über die Nordgrenzen so zugenommen, dass das Parlament die Gesetze verschärfte. In den vergangenen Wochen wurde das Land zudem durch die Ermordung dreier Polizisten erschüttert - etwas, das im demokratischen Chile unbekannt war. Für mindestens eine der Taten waren junge venezolanische Migranten verantwortlich, die für die Organisierte Kriminalität arbeiten.   
 
Der Verfassungsrat nimmt am 7. Juni seine Arbeit auf. Im progressiven Chile und der Regierung ist jetzt die Befürchtung real, dass die neue Konstituente einen Text hervorbringen könnte, der konservativer ist als der aktuelle. Denn jetzt wird es schwer, die linken Kernthemen der Konsolidierung des Sozialstaats und der Universalität und Kostenfreiheit von Bildung und gesundheitlicher Grundversorgung verfassungsmäßig zu verankern. 
 
Daher ist auch denkbar, dass der neue Entwurf bei dem notwendigen Referendum im Dezember erneut abgelehnt wird. Damit bliebe der Versuch, das Pinochet-Grundgesetz abzuschaffen, unvollendet. In diesem Fall könnte die Verfassung nur noch im Rahmen einfacher Reformen im Parlament modifiziert werden.

Autor: Klaus Ehringfeld

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