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Kolumbien |

Neue Spirale der Gewalt in Kolumbien

Fast vier Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der kolumbianischen Regierung und der ehemaligen FARC-Guerilla rollt eine Welle von Massakern und grausamen Morden über das Land.

Viele Tote bei Massakern erschüttern Kolumbien. Foto: Escher/ Advenait 

Die sich stetig ausweitende COVID-19-Pandemie hat Kolumbien fest im Griff. Doch das Land kämpft noch an einer anderen Front, nämlich gegen einen Anstieg der Gewalt, und die resultiert aus dem lukrativen Geschäft des Kokainhandels. In diesem Jahr hat das UN-Büro für Menschenrechte in Kolumbien bisher 33 "Massaker" dokumentiert. Als "Massaker" im UN-Sinn gelten Tötungsdelikte an mehr als drei Personen am selben Ort durch dieselbe Tätergruppe. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 gab es darüber hinaus 97 Morde an Menschenrechtsaktivisten und 41 Morde an ehemaligen Guerilla-Kämpfern der FARC.

Erst in den vergangenen Wochen erschütterten zwei neue Tragödien das Land. Nach der Ermordung von fünf Jugendlichen in Cali durch unbekannte Angreifer wurden am vergangenen Samstag neun junge Leute im Departement Nariño getötet.

"Neue Dynamik der Gewalt"

Stefan Peters, akademischer Direktor des Kolumbianisch-Deutschen Instituts für Frieden (CAPAZ), sagt, die Motive hinter den Morden seien sehr unterschiedlich und nicht immer eindeutig. Im Interview mit der DW kritisiert er die mangelnde Aufklärung der Morde, die zu einem zentralen Problem geworden sei, da die geistigen Urheber der Verbrechen selten bekannt seien.

"Die Gewalt konzentriert sich in abgelegenen Regionen, richtet sich vor allem gegen die sozial schwache Bevölkerung und wird von Akteuren ausgeübt, die um die territoriale Kontrolle kämpfen. In einigen Fällen gibt es auch eine Beteiligung von staatlichen Akteuren", so Peters.

Während soziale Aktivisten, Umweltschützer und ehemalige FARC-Guerillas weiterhin die Hauptziele der Angriffe sind, gebe es "eine neue Dynamik der Gewalt und vor allem grausame Morde an jungen Menschen".

Über Twitter verurteilte das UN-Menschenrechtsbüro die Morde an den Jugendlichen aufs Schärfste und fügte hinzu, dass Gruppen des organisierten Verbrechens für 78 Prozent der Morde in Kolumbien in diesem Jahr verantwortlich seien, die überwiegende Mehrheit davon in Departements mit "illegalen Kokaproduktions-Enklaven".

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnt vor der Präsenz illegaler bewaffneter Gruppen in mindestens elf Regionen des Landes. Dort sollen diese ein Terrorregime eingeführt haben, das die Coronavirus-Krise ausnutzt, um alle Arten von Misshandlungen gegen die Zivilbevölkerung zu verüben.

Sabine Kurtenbach vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerikastudien erklärt gegenüber der DW, dass sich unter den Tätern Gruppen von Ex-Paramilitärs, nicht entwaffnete FARC-Kämpfer sowie die Guerilla der ELN befinden, darüber hinaus jedoch auch transnational agierende organisierte Verbrecherbanden, die ihre Präsenz in Kolumbien konsolidieren. "Aber auch die kolumbianische Regierung steht in der Mitverantwortung, weil sie es unterlässt, ausreichend Schutz vor Gewalt zu organisieren", kritisiert Kurtenbach.

Ist der Friedensprozess in Gefahr?

Nach Meinung der GIGA-Expertin misst die Regierung von Iván Duque dem Friedensprozess, in dessen Rahmen rund 7000 ehemalige FARC-Kämpfer entwaffnet wurden, keine besondere Bedeutung bei. Von Anfang an habe der Präsident versucht, zentrale Teile des Abkommens, die sich auf die Sondergerichtsbarkeit beziehen, rückgängig zu machen und seine Umsetzung zu verzögern.

Sabine Kurtenbach kritisiert auch, dass die Regierungsstrategie sich angesichts der Gewalt nur auf die Verstärkung der staatlichen Repression konzentriert. Sie befürchtet, dass die Reformkräfte des Landes ins Kreuzfeuer der verschiedenen Gewaltakteure geraten könnten.

"Die Gewalt nimmt seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages vor allem in den Regionen des Landes zu, in denen die FARC nicht mehr präsent sind und andere Akteure nun versuchen, die territoriale Kontrolle zu übernehmen. Hier hat es schon die vorherige Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos versäumt, die staatliche Präsenz auszuweiten."

Kann man überhaupt von Frieden in Kolumbien sprechen?

Neben der wachsenden Präsenz mexikanischer Drogenhändler auf kolumbianischem Territorium wird auch die COVID-19-Pandemie zu einem immer größeren Problem. Die Quarantänemaßnahmen haben die Gewalt nicht gestoppt. Im Gegenteil, meint Stefan Peters, habe die Pandemie die Spirale der Gewalt, die bereits vor dem neuen Coronavirus im Land herrschte, verstärkt.

"In einigen Regionen verhängen bewaffnete Gruppen Quarantänemaßnahmen mit Gewalt. Hinzu kommt, dass die Zwangsrekrutierung von Minderjährigen wieder zunimmt." Peters fügt hinzu, dass es aufgrund der Coronavirus-Krise schwieriger geworden sei, in entlegenen Gebieten Schutzmechanismen zu implementieren. Aus einigen Regionen mussten Beobachter sogar abgezogen werden.

"Der Schutz der Menschen in den betroffenen Regionen scheint keine Priorität der Regierung von Präsident Duque zu sein", konstatiert Peters. Er behaupte zwar, dass die Regierung den Friedensprozess mit der FARC fortsetzen wolle. Angesichts der wachsenden Spirale der Gewalt im Land sei jedoch die Frage berechtigt, ob es in Kolumbien wirklich Frieden gebe.

Autorin: Viola Träder, Deutsche Welle 

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