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Guyana: Der karibische (Alb-)Traum vom Öl

Vor fünf Jahren wurden vor der Küste Guyanas riesige Ölvorkommen entdeckt. Sie könnten das arme Karibikland zu einem reichen Ölgiganten machen - und die Gesellschaft innerlich spalten. 

Guyanas riesige Ölvorkommen könnten das Land reiche machen. Foto: Pixabay

Diese Geschichte könnte von einem karibischen Märchen erzählen. Von einem kleinen armen Land, das plötzlich unermesslich reich wird und seinen 780.000 Einwohnern eine lebenslange Rente zahlt, weil es gar nicht weiß, was es mit all den Petrodollar anfangen soll. Es wäre die Geschichte, wie aus dem armen und korrupten Guyana plötzlich ein Wohlfahrtsstaat wird, aufgebaut auf einem unerwarteten Ölreichtum. Es wäre eine sehr ungewöhnliche Geschichte.

Aber vorerst muss man von einem Thriller berichten aus dem Land an der südamerikanischen Atlantikküste. Protagonisten sind große Ölkonzerne, Politiker, die wie Kesselflicker um die Macht streiten, eine verarmte Bevölkerung, die befürchtet, leer auszugehen. Und so könnte diese Geschichte am Ende auch zu einem Alptraum werden, in dem sich Menschen und Machthaber auseinanderdividieren, sich nicht gemeinsam überlegen, was man mit dem unerwarteten Geschenk machen kann. Und hinterher alles noch schlimmer als vorher ist, weil das Land von einer Malaise heimgesucht wird, die man die „holländische Krankheit“ nennt.  

Wie auch immer diese Geschichte ausgeht: Sicher ist nur, dass nichts so bleiben wird wie es ist in Guyana, das bis 1966 britische Kolonie war und damals Britisch-Guayana hieß. Das Land wird links von Venezuela und rechts von der früheren holländischen Kolonie Suriname eingerahmt. Vorne grenzt es an den Atlantik, hinten an Brasilien. In weiten Teilen wird Guyana von Regenwald bedeckt. Das Land schaffte es zuletzt 1978 in die globalen Schlagzeilen. Seinerzeit befahl ein Sektenführer namens Jim Jones seinen Anhängern, die sich im Dschungel von Guyana niedergelassen hatten, den kollektiven Selbstmord. 923 Menschen tranken mit Zyankali versetzte Limonade, gruselige Bilder von Leichen in bunten Kleidern inmitten satten Grüns gingen um die Welt

Vom Armenhaus Südamerikas zum Ölgiganten  

Auch heute ist Guyana eher für seine Probleme als für seine Erfolge bekannt. Es hat die höchste Selbstmordrate der Welt, die höchste Müttersterblichkeit Südamerikas, einen Braindrain ohne Gleichen und wird mal als zweit- oder drittärmstes Land Südamerikas geführt. Pro Kopf verdienen die Guyaner ungefähr so viel wie die Menschen in Albanien. Zwei Fünftel der Bevölkerung haben im Schnitt weniger als umgerechnet 4,70 Euro am Tag zum Leben.

Diese Geschichte begann vor fünf Jahren. 2015 verkündete der US-Ölriese ExxonMobil, dass er rund 200 Kilometer vor der Küste Guyanas ein riesiges Ölfeld gefunden habe. Es war einer der reichsten Funde der vergangenen Jahre. Insgesamt handelt es sich wohl mindestens um 5,5 Milliarden Fass. Vielleicht liegen auch acht Milliarden Barrel tief unter dem Meeresboden. Damit katapultiert sich das karibische Land unter die 20 Staaten mit den höchsten nachgewiesenen Ölreserven weltweit und läge sogar noch vor Norwegen.

Kurz vor Weihnachten, exakt am 20. Dezember, pumpte ExxonMobil in einem Konsortium mit dem chinesischen Staatskonzern China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) erstmals Öl an die Oberfläche. Am 20. Januar brachte der erste Tanker die erste Million Fass des hochwertigen Light-Sweet-Crude-Öls zu jeweils 159 Litern nach Houston in Texas, der nächste Öltanker folgte im Februar, dann kam Corona. Aber in den kommenden Jahren werden weitere Tausende Schiffsladungen des schwarzen Goldes folgen und Guyana in andere Dimensionen katapultieren.

„Jeder Guyaner wird von der Ölförderung profitieren" 

Alleine bis Ende des Jahres soll das als erstes erschlossene Ölfeld Stabroek Block 120.000 Fass pro Tag liefern, bis 2025 wird die Förderung nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds auf 424.000 Fass steigen. Bis Ende des Jahrzehnts wird Guyana sehr wahrscheinlich 1,2 Millionen Barrel pro Tag fördern, wie die norwegische Analysefirma Rystad Energy berechnet. Das würde bedeuten, dass das Karibikland, etwas größer als Weißrussland, den Ölgiganten Venezuela überholen und zu einem beachtlichen Player auf dem globalen Energiemarkt werden würde.

Verzückt erklärte Guyanas Präsident David Granger den 20. Dezember zum „Nationalen Öltag“, dem neuen informellen Nationalfeiertag, und gründete darauf im Januar die Kampagne für seine Wiederwahl. Die Erdölproduktion werde dem Land Reichtum und den Menschen ein besseres Leben bringen, versprach er: „Jeder Guyaner wird von der Ölförderung profitieren, und das dadurch geschaffene Vermögen geht an diejenigen, die es am meisten benötigen“. Hehre Worte, dabei geht der 75-jährige Granger selbst mit schlechtem Beispiel voran. Aber dazu später.

Die Misswirtschaft der natürlichen Ressourcen, vor allem Zucker und Holz, begleitet das Land praktisch seit seiner Existenz. Warum das jetzt besser werden sollte? Niemand weiß darauf eine gute Antwort. Am allerwenigsten die Politiker. Keine Partei hat einen Plan zur Nutzung des neuen Reichtums vorgelegt.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die Wirtschaft Guyanas alleine in diesem Jahr um rund 85 Prozent wachsen. Bis 2024 soll sich die Wirtschaftskraft des Landes von derzeit rund vier Milliarden auf 15 Milliarden Dollar pro Jahr fast vervierfachen. Guayana könnte bald pro Einwohner weit mehr als ein Fass fördern und damit die Golfstaaten bei der Pro-Kopf-Förderung hinter sich lassen.

Das Pro-Kopf-Einkommen würde dann von etwas über 5000 Dollar auf fast 20.000 Dollar steigen – damit läge Guyana nur knapp hinter Saudi-Arabien. Und wenn die Bonanza dann so weiter geht, könnte sich das Karibikland mit noch wesentlich wohlhabenderen Staaten messen. „Der Ölreichtum kann uns ein für alle Mal in ein Land wie Singapur verwandeln“, ist sich Winston Jordan, der Finanzminister Guyanas sicher: Wer auch immer diesen Reichtum verwalten darf, werde vermutlich für Jahrzehnte das Land regieren. „Die Präsidentenwahl wird die Mutter aller Wahlen sein“.

Die neue Abhängigkeit vom schwarzen Gold 

Diese weisen Worte sprach Jordan Ende Februar, kurz vor der Abstimmung vom 2. März. Inzwischen ist die Wahl rund fünf Monate her, aber es gibt nach wie vor keinen neuen Präsidenten, weil der mutmaßliche Verlierer, Amtsinhaber Granger, sich weigert, die Niederlage zu akzeptieren. Demnach haben er und seine Partei APNU die Wahl und auch eine Neuauszählung verloren, auch verschiedene Gerichtsurteile sehen die PPP und ihren indisch-stämmigen Kandidaten Irfaan Ali als Wahlsieger. Sogar der „Caribbean Court of Justice“, die oberste juristische Instanz der Karibischen Gemeinschaft CARICOM, bestätigte den Wahlausgang. Daraufhin rief US-Außenminister Mike Pompeo Granger Ende Juli dazu auf, „die Ergebnisse der demokratischen Wahlen zu respektieren und Platz zu machen“. Andernfalls würde Washington „denjenigen die Visa entziehen, die die Demokratie in Guyana“ unterminierten. Die Granger-Regierung hat weitere juristische Schritte angekündigt.

Der Ölfund habe zu vielen Menschen die Dollarzeichen in die Augen getrieben, warnen Verbraucherschützer, Korruptionsexperten und selbst Politiker in Guyana. Der Disput um den Wahlausgang ist das beste Beispiel dafür. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Politik in dem Land entlang der trennscharfen ethnischen Zugehörigkeit gemacht wird. 30 Prozent der Bevölkerung sind Afro-Guyaner, etwas mehr als 40 Prozent sind Nachfahren indischer Kontraktarbeiter, die von den Briten ins Land gebracht wurden.

Und bisher jede Regierung hat immer nur für ihre eigene ethnische Gruppe Politik gemacht, kritisieren Experten. Mit der entsprechenden Folge. In Guyana sei die „Vetternwirtschaft entfesselt“, kritisiert Troy Thomas, Direktor des Büros von Transparency International in Guyanas Hauptstadt Georgetown. „Ich bin sehr besorgt“, dass der Fluch des Öls die Situation des Landes eher verschlechtere als verbessere. Die Erfahrung zeige, dass mehr Geld die Menschen eher weiter auseinandertreibe als zusammenbringe. Die Posse um die Präsidentenwahl sei ein Vorbote dafür.

Und man weiß ja, dass plötzlicher Wohlstand Menschen und Machthaber schlicht auch überfordern kann. „Dutch disease“, die „holländische Krankheit" ist hier das Stichwort. Durch den Verkauf des teuren Öls steigen die Exporterlöse und damit auch der Preis der heimischen Währung. Das wiederum macht die Exporte traditioneller Güter – im Falle Guyanas Reis, Zucker, Bauxit – teurer. Die Volkswirtschaft wird fast vollständig vom Öl abhängig. Aber versiegen die Quellen oder fällt der Weltmarktpreis, wie in diesem Sommer passiert, fehlen plötzlich die Alternativen.

Finanzminister Jordan weiß all das und warnt deshalb: „Wenn wir werden wollen wie Singapur, dann müssen wir auch so effizient sein“. Aber davon sei sein Land weit entfernt. „Unsere Bürokratie ist ja nicht mal in der Lage, das wenige vorhandene Geld vernünftig zu verwalten“.

Autor: Klaus Ehringfeld 

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