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Guyana: Die politische Krise entzündet sich am Erdöl

Drei Wochen nach der Parlamentswahl gibt es in Guyana noch immer kein offizielles Wahlergebnis. Der Urnengang in dem zweitärmsten Land Südamerikas ist deshalb so entscheidend, weil es auch um neu entdeckte riesige Ölvorkommen geht.

Guyana, Caricom, Karibik

Im März versuchte eine Delegation der Gemeinschaft karibischer Staaten Caricom im Streit um das Wahlergebnis zu vermitteln. Foto: Caricom Mission visits Guyana,PMO Barbados, CCO1.0

Viel Beachtung hat Guyana, eingeklemmt zwischen Venezuela und Surinam an der südamerikanischen Atlantikküste gelegen, noch nie bekommen. Und nun, wo das kleine Land mit seinen gerade einmal knapp 800.000 Einwohnern Aufmerksamkeit verdient hätte, überdeckt die weltweite Corona-Pandemie Guyanas politische Krise. Denn auch drei Wochen nach der Parlamentswahl gibt es dort noch immer kein offizielles Wahlergebnis. 

IWF prognostiziert Wirtschaftswachstum

Der Urnengang ist deshalb von Bedeutung, da das zweitärmste Land Südamerikas dank der Entdeckung riesiger Erdölvorkommen bald zu einer Ölmacht werden wird. Wenn sich die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen, die allerdings aus der Zeit vor Corona und Ölpreisverfall datieren, wird Guyana in diesem Jahr um 86 Prozent wachsen und 2025 die weltweit höchste Rohölproduktion pro Kopf aufweisen.

Um Macht über diese Ölvorkommen ging es bei den am 2. März abgehaltenen Parlamentswahlen. Die Wochen seitdem waren chaotisch. In Guyana wetteifern zwei große Parteienkoalitionen um die Macht. Gut und Böse gibt es in dieser Geschichte nicht. Vor fünf Jahren war David Granger an der Spitze des Oppositionsbündnisses aus A Partnership for National Unity (APNU) und Alliance for Change (AFC) zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt worden. Die APNU vertritt hauptsächlich Afro-Guyanesen, die knapp ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Bis dahin hatte die Progressive People's Party (PPP) 23 Jahre lang regiert. Viele im Land erinnern sich an diese Zeit als von Korruption und indo-guyanischem Chauvinismus geprägt. Die PPP hat eine starke ethnische Basis und repräsentiert größtenteils den indisch-stämmigen Teil der Bevölkerung, der rund 40 Prozent ausmacht. Die Kluft zwischen den beiden Parteiblöcken wird durch ein Wahlsystem vertieft, das die Abgeordneten direkt gegenüber den Parteiführern und nicht gegenüber den Wählern rechenschaftspflichtig macht. Dies vergiftet die politische Debatte und erschwert Kompromisse.

Geschätzte acht Milliarden Barrel Erdöl

Die Wahlen vom 2. März sind die verspätete Antwort auf einen erfolgreichen Misstrauensantrag gegen den Präsidenten im Dezember 2018. Die Opposition beschuldigt ihn, einen für die nationalen Interessen ungünstigen Vertrag mit dem US-Konzern ExxonMobil über die Förderung der entdeckten Ölvorkommen unterzeichnet zu haben. ExxonMobil, das den größten Teil der Lizenz für den ersten produktiven Offshore-Block besitzt, geht davon aus, dass vor der Küste acht Milliarden Barrel gefördert werden können. Damit gehören die Reserven Guyanas zu den Top 20 der Welt. Im Dezember gingen die ersten Öllieferungen aus Guyana Richtung USA. „Das Öl kam zum perfekten Zeitpunkt, weil wir eine auf Landwirtschaft und Bergbau basierende Wirtschaft sind, die Rohstoffe mit geringem Mehrwert exportiert. Jetzt fördern wir Öl und verkaufen es im Ausland“, erklärte Winston Jordan, Finanzminister der Übergangsregierung.

14 Monate Gerichtsstreit nach Misstrauensvotum

Doch mit den gewaltigen Ölvorkommen bekommt plötzlich auch die Kontrolle über die politische Macht eine größere Bedeutung. Nach dem Misstrauensvotum begann Granger einen langen Gerichtsstreit, um an der Macht zu bleiben; erst nach 14 Monaten wurden Neuwahlen ausgerufen. Die Opposition und externe Beobachter vermuten, dass Granger die Wahl verloren hat. Möglicherweise plant er, sich trotzdem für eine weitere Amtszeit vereidigen zu lassen. 

Am 3. März, einen Tag nach den Wahlen, bat die Wahlkommission Bevölkerung und Medien um Geduld und begann mit einer turbulenten Auszählung der Stimmen, die der PPP in vielen Regionen des Landes den Sieg bescherte, jedoch nicht in Distrikt 4, dem bevölkerungsreichsten mit der Hauptstadt Georgetown. Die Wahlkommission erklärte Granger und seine Sechs-Parteien-Koalition zunächst zum Sieger. Dagegen klagte die Opposition. Inmitten der Spannungen, die sich in gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften entlud, vereinbarten Granger und Oppositionsführer Bharrat Jagdeo (Präsident 1999-2011) eine Neuauszählung, die ein Team der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) überwachen sollte. Die Auszählung aber wurde nach einem Gerichtsentscheid angehalten und soll nun vom Obersten Gericht entschieden werden. Dieser Richterspruch aber lässt auf sich warten. 

Caricom und OAS kritisieren mangelnde Transparenz

Caricom-Vorsitzende Mia Mottley, gleichzeitig Premierministerin von Barbados, erklärte vergangene Woche, es werde vorsätzlich versucht, eine landesweite Nachzählung aller abgegebenen Stimmen zu verhindern. Aus diesem Grund beschloss die Caricom-Delegation, Guyana zu verlassen. Einige Tage zuvor verließen auch Beobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) das Land und äußerten sich besorgt über die fehlende „Rechtmäßigkeit und Transparenz“ der Auszählung. US-Außenminister Mike Pompeo warnte vor „schwerwiegenden Konsequenzen“, sollten die Stimmen nicht fair ausgezählt werden.

Die Gefahr für die Demokratie angesichts des Machtstreits und des damit einhergehenden Machtvakuums liegt auf der Hand. Dabei ist Guyana ohnehin ein Staat mit schwachen Institutionen. Mit dem plötzlichen Ölreichtum steigt zudem die Korruptionsgefahr. Die gesamten Einnahmen fließen zwar in einen Staatsfond. Die PPP aber will das Gesetz, das den Staatsfonds geschaffen hat, aushebeln, weil es der Politik angeblich zuviel Kontrolle gibt. Ein neues Gesetz jedoch könnte Vetternwirtschaft begünstigen. Und eine Regierung, der es an Legitimität mangelt, würde mit größerer Wahrscheinlichkeit den neu entdeckten Ölreichtum verjubeln.

Corona-Pandemie: Politische Krise gefährdet Handlungsfähigkeit Guyanas

Inmitten der politischen Krise muss sich Guyana nun wie der Rest der Welt mit dem neuartigen Coronavirus auseinandersetzen. Bisher wurden 18 Fälle inklusive eines Todesfalls bestätigt. Eine langwierige Verzögerung der Bekanntgabe des Wahlergebnisses könnte die Fähigkeit Guyanas verringern, gegen die Pandemie vorzugehen. Nach heutigem Stand sind die Gerichte der einzige Weg in Guyana zu einer Lösung. Wann es die gibt, steht aber weiter in den Sternen.

Autor: Andreas Knobloch

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