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Mexiko |

Eltern der 43 entführten Studenten: "Bis wir sie finden"

Acht Jahre nach der Entführung von 43 Studenten in Mexiko gibt es endlich Aufklärungsansätze, aber die jungen Männer bleiben weiterhin verschollen. Immerhin hat die Regierung die Mitschuld des Staates an dem Verbrechen anerkannt.

Estanislao Mendoza vermisst seit dem 26. September 2014 seinen Sohn Miguel Ángel Mendoza Zacarías. Dass er tot sein soll, damit will er sich nicht abfinden. Foto: Klaus Ehringfeld

Estanislao Mendoza vermisst seit dem 26. September 2014 seinen Sohn Miguel Ángel Mendoza Zacarías. Dass er tot sein soll, damit will er sich nicht abfinden. Foto: Klaus Ehringfeld

Er sei müde, sagt Estanislao Mendoza. Er sei ja schließlich auch schon 63 und die vergangenen acht Jahre hätten ihre Spuren hinterlassen. Am Körper, aber vor allem in der Seele. Es ist ein Tag in der zweiten Septemberhälfte, kurz bevor sich das Verbrechen an den 43 mexikanischen Studenten von Ayotzinapa zum achten Mal jährt. Und Mendoza und viele andere der Eltern der verschwundenen jungen Männer sind aus dem südlichen Bundesstaat Guerrero nach Mexiko-Stadt gekommen, um in der Hauptstadt noch mal mit Märschen, Demos und Protesten an das ungesühnte Verbrechen zu erinnern. 
 
Mendoza ist ein kleiner Mann mit kurzem grauem Haar unter der Baseball-Cap. Er trägt das zusammengerollte Bild seines Sohnes Miguel Ángel bei sich und hält es fest umklammert. Immer wieder schiebt er die Mütze in den Nacken, wägt jedes Wort ab und sagt, dass diese Jahrestage immer besonders schwer seien, dann spüre man den Verlust noch einmal deutlicher: „Aber wir haben noch nichts erreicht. Daher machen wir weiter. Bis wir unsere Söhne finden“. 

Mehr als 80 Haftbefehle

Jetzt erst recht, wo nach Jahren der Verzögerung, Vertuschung und Verdunkelung seitens der mexikanischen Regierungen endlich Bewegung in die Aufklärung der Tat kommt, die im Herbst 2014 für weltumspannendes Entsetzen sorgte. Mehr als 80 Haftbefehle wurden gegen Militärs, Polizisten und Beamte erlassen, nachdem eine Wahrheitskommission im August ihren Bericht vorgelegt hatte. 
 
„Es ist gut, dass es endlich Festnahmen gibt, aber was uns Eltern wirklich interessiert, ist etwas anderes,“ sagt Vater Mendoza. „Wo sind unsere 43 Söhne, wer hat sie?“ Jeden Tag, an dem eine unbekannte Nummer auf seinem Handy aufleuchtet, hofft Mendoza, dass es vielleicht sein Sohn ist. „Aber vermutlich hat Miguel Ángel meine Nummer über die Jahre vergessen“, sagt er. Dass er tot ist, damit will er sich, will sich keiner der Angehörigen abfinden.

Polizei, Militär und Kartelle unter einer Decke

Was in der tödlichen Nacht des 26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala wirklich passierte, ist nur bruchstückhaft bekannt. Sicher ist nur - und das hat die Regierung jüngst anerkannt - dass es ein „Verbrechen des Staates“ war. Das heißt: Polizei und Streitkräfte machten gemeinsame Sache mit der Organisierten Kriminalität, um die 43 jungen Männer, von denen einige noch Teenager waren, verschwinden zu lassen. Eine fatale Allianz zwischen Staat und Verbrechen, die in den vergangenen 15 Jahren in Mexiko zur Regel geworden ist. 
 
Bald 3.000 Tage ist die Tat jetzt her. Noch immer ist kein Täter oder Drahtzieher verurteilt. Und die Angehörigen wie Estanislao Mendoza hören nicht auf, nach ihren Jungs zu suchen, vor Staatsanwaltschaften, Kasernen und Botschaften zu protestieren. Sie gehen in Schulen und an Unis und erzählen, was damals geschah, damit die Tat neben so viel anderem Leid im Land nicht in Vergessenheit gerät. Und Ayotzinapa steht mittlerweile stellvertretend für so viele andere Grausamkeiten in Mexiko: 105.000 Menschen werden in einer der größten Demokratien der Welt vermisst. Jeden Tag werden beinahe hundert Menschen ermordet. 
 
An jenem 26. September vor acht Jahren kaperten die Studenten Fernbusse, um damit nach Mexiko-Stadt auf eine Demo zu fahren. Diese Form der gewaltfreien Nötigung gegenüber Busunternehmen hat im Süden Mexikos bei Studierenden eine gewisse Tradition und wird zähneknirschend toleriert.

Studenten kamen Drogentransport in die Quere

Aber als die Studenten sich in dieser Nacht drei Busse aneignen wollten, suchten sie sich wohl ausgerechnet die Fahrzeuge aus, die das Kartell „Guerreros Unidos“ (Vereinigte Krieger) zum Drogentransport in die USA nutzte. Ab da war tragischerweise das Schicksal der jungen Männer besiegelt. Dennoch liegt es im Dunkeln, was bis in die Morgenstunden des 27. September und die folgenden Tage geschah. Die 43 wurden wohl in mindestens drei Gruppen aufgeteilt und eine davon noch mehrere Tage in einem Schuppen festgehalten. Dort soll schließlich der Kommandeur des 27. Infanteriebataillons, das in Iguala stationiert war, die Ermordung von sechs der Studenten angeordnet haben. Der betreffende General im Ruhestand, José Rodríguez, sitzt seit Mitte des Monats in Haft. „Wir haben immer mit dem Finger auch auf die Armee und die Polizei gezeigt. Wir haben uns nicht geirrt“, sagt Vater Mendoza.
 
Aber die Regierung des damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto tat alles, um die Tat zu vertuschen. Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam und sein Chefermittler Tomas Zerón erfanden hastig ein angebliches Tatgeschehen, das sie „historische Wahrheit“ nannten, um auf diese Weise schnell die Akten schließen zu können. Demnach seien die 43 Jugendlichen auf Anweisung eines korrupten Bürgermeisters an das Drogenkartell „Guerreros Unidos“ übergeben worden, das diese mit Kriminellen einer rivalisierenden Bande verwechselt habe. Die Kriminellen hätten die Studenten dann ermordet und die Leichen auf der Müllkippe einer nahegelegenen Stadt verbrannt. Extern beauftragte Ermittler und  Menschenrechtsaktivisten widerlegten diese Version später detailliert.

AMLO setzte Wahrheitskommission ein

Andrés Manuel López Obrador (AMLO), der die Aufklärung der Tat 2018 als Wahlkampfversprechen formulierte, setzte nach seinem Sieg als Präsident eine Wahrheitskommission ein. Diese kam Stück für Stück zu der Überzeugung, dass das Verschwinden der Studenten neben dem kriminellen Willen der „Guerreros Unidos“ eine breite Beteiligung aller staatlichen Institutionen erforderte: der Streitkräfte, der Bundes-, Landes- und Gemeindepolizei sowie der Strafverfolgungsbehörden. Vor allem letztere hätten Tatorte manipuliert, Informationen gefälscht und Geständnisse unter Folter erzwungen. Der damalige Generalstaatsanwalt Murillo Karam wurde jüngst verhaftet, sein Ermittler Zerón floh nach Israel.
 
Die Erschöpfung der vergangenen Jahre hat sich in das Gesicht von Estanislao Mendoza eingegraben. In seinen Augen liegt tiefe Trauer, wie bei fast allen Eltern. Vier Väter und eine Mutter sind seit 2014 gestorben. Aber keinem der Angehörigen, mit dem man in diesen Tagen spricht, kommt es in den Sinn aufzugeben. 
 
Und am Montag marschieren sie wie jeden 26. September durch Mexiko-Stadt zum zentralen Platz Zócalo am Präsidentenpalast. Dabei trägt jeder und jede das Foto des Sohnes dabei. Und sie schreien die Namen jedes einzelnen der 43 mit aller Wut heraus, gefolgt von der zentralen Formel: „Vivos se lo llevaron, vivos los queremos!" -  „Lebend haben sie sie uns genommen, lebend wollen wir sie wieder!"

Autor: Klaus Ehringfeld, Mexiko

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