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Ecuador: Faire Schokolade durch Blockchain?

In Ecuador setzten Kakaobauern auf Technologie, um die Marktmacht der Süßwaren-Konzerne auszuhebeln. Ob daraus eine neue Fair-Trade-Revolution wird oder nur Greenwashing ist noch unklar.

Kakaobohnen aus kleinbäuerlichem Anbau in Alta Fiorencia im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Foto (Symbolfoto): Adveniat/Martin Steffen

Kakaobohnen aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Alta Fiorencia im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Foto (Symbolfoto): Adveniat/Martin Steffen

Den ganzen Vormittag hat Rosalindo Guerrero Unkraut gejätet und Setzlinge gepflanzt. Seine Finca liegt in der Condor-Kordillere Ecuadors, die ins Amazonastiefland mündet. Deshalb muss der 55-Jährige an Steilhängen arbeiten. Das ist Knochenarbeit, weshalb seine Kinder lieber in die Stadt gegangen sind oder bei den Bergbaufirmen anheuern. Nur die beiden Jüngsten sind noch daheim. Die Kleinbauernfamilie lebt von einer klassischen Mischkultur auf acht Hektar Land. Das meiste dient zur Eigenversorgung, der Rest, vor allem Bananen und Kakao, wird über die Kooperative Apeosae vermarktet. Den Kakao habe er eigentlich schon ausreißen wollen, erzählt Guerrero. „Der Preis war schlecht, und ich hatte Probleme mit Pilzkrankheiten. Aber dann kam dieses Projekt, dieses, Blockchain, und ich habe mich nochmal breitschlagen lassen.“

„Wir müssen die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts neu denken“, verkündet im 10.000 Kilometer entfernten Amsterdam Guido van Staveren, Gründer der niederländischen Stiftung Fairchain, die hinter dem Projekt steckt.  Er will mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit im Welthandel. Denn bei Kolonialwaren wie Kaffee, Bananen und Kakao sind die Strukturen bis heute ungerecht. Die Marktmacht der Handelskonzerne wie Mars, Nestlé und Unilever ermöglicht ihnen eine Preisdrückerei, die die Produzenten rasch in den Ruin treibt – oder zu wenig nachhaltigen Monokulturen oder Praktiken wie Kinderarbeit und Sklavenarbeit zwingt.  Van Staveren will diese Strukturen ändern. Die Blockchain ist sein Instrument. In Ecuador begann er - finanziert vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP – 2019 ein Pilotprojekt namens „The other bar“, an dem Guerrero teilnahm.

Für Internet aufs Dach

Es ging darum, mit Blockchain die Lieferkette transparent zu machen und auszutesten, ob Konsumenten bereit sind, dafür mehr zu zahlen – und zwar Geld, das direkt bei den Bauern ankommt. Apeosae wurde mit der Blockchain-Software ausgestattet, zehn Bauern nahmen an dem Projekt teil. Guerreros Kakao bekam bei der Anlieferung einen QR-Code verpasst, der ihn fortan beim weiteren Verarbeitungsprozess begleitete. Ganz einfach war das nicht - die Anlieferungsstelle, wo der Kakao fermentiert und getrocknet wird, liegt etwas außerhalb des Ortes Panguintza, und der Internetempfang dort ist wackelig – vor allem wenn es regnet. „Um die Daten an die Geschäftsstelle zu übermitteln, mussten wir manchmal sogar aufs Dach klettern“, erzählt der 24jährige Sammelstellenleiter Alex Jiménez. Er war vom Projekt begeistert: „Wenn wir Landwirtschaft und Technologie zusammenbringen, und damit bessere Preise erzielen, können wir vielleicht die Jugend auf dem Land halten.“ 

Bislang verliert die Landwirtschaft nämlich den Wettlauf gegen den Bergbau. In der Gegend gibt es Kupfer-, Gold- und Silbervorkommen. Chinesische und schwedisch-kanadische Firmen betreiben dort Tagebau; lokale Unternehmer schürfen in den Flusstälern nach Gold. Für die Kleinbauern ist das gleich ein doppeltes Problem. Sie finden kaum noch Erntehelfer – und durch die vielen beim Bergbau freiwerdenden Giftstoffe überschreiten ihre Produkte oftmals Grenzwerte, zum Beispiel für Kadmium. So wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt: Die Bauern verkaufen ihre Parzellen oft an Firmen, die dort Abholzen, um Monokulturen wie Bananen, Balsaholz oder Ölpalmen anzulegen. Die Abholzung beschleunigt den Klimawandel, was vermehrt zu Schädlingen oder Erdrutschen führt und noch mehr Kleinbauern in den Ruin treibt.

Mit QR-Code um die Welt

Aus den Lagerhallen von Apeosae wurde der in Säcke verpackte Blockchain-Kakao zur Schokoladenfabrik Hoja Verde in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito transportiert. Dort, im kühlen andinen Hochland, fertigte die lokale Fabrik zwei Sorten für Fairchain – eine Zartbitter- und eine Milchschokolade. Jeder Verarbeitungsschritt wurde in der Software vermerkt. Würde sich irgendjemand unerlaubt an einer Stelle Zugang zur Blockchain-Software verschaffen und die Daten in seinem Block manipulieren, würde das spätestens im nächsten Schritt auffallen, wenn die Mengenangaben nicht mehr passten. 

Für Fairchain produzierte Hoja Verde knapp 20.000 Tafeln. „Hoja Verde beliefert derzeit nur den nationalen Markt“, erläutert Geschäftsführer Daniel Zanetti. Der Betriebswirt sieht in der Blockchain ein interessantes Marketing-Tool zur Differenzierung und Internationalisierung seiner Marke. Die lokale Wertschöpfung ist ein wichtiger Baustein, um der selbstgesetzten Vorgabe von Fairchain näher zu kommen, dass 50 Prozent des Verkaufspreises in den Herstellerländern bleiben. Heute findet die Verarbeitung von Schokolade im globalen Norden statt. Deshalb ist der Gewinnanteil der Kakaoproduzenten gering. Er liegt bei drei bis sieben Prozent. 

Von Quito gingen die fertigen Tafeln dann per Container nach Amsterdam. Dort quittierte Fairchain digital den Empfang und druckte dann einen definitiven QR-Code aus, der jeder Tafel beigelegt wurde. Flankiert wurde das Ganze von einer Werbekampagne sowie einer Marktstudie. Jeder Kunde hatte die Möglichkeit, sich eine App herunterzuladen, den QR-Code einzuscannen und bekam dann Informationen über die Bauern, die den Rohstoff für seine Schokolade geliefert hatten. Wer wollte, konnte ihnen zusätzlich zum Verkaufspreis von 3 Euro pro 100-Gramm-Tafel noch 0,25 Cents für Wiederaufforstungsprojekte digital überweisen – Geld, das am anderen Ende der Blockchain auf einem Konto von Apeosae landete. 

Erfolg mit Stolpersteinen

„Für uns war die Erfahrung positiv“, sagt Kooperativen-Geschäftsführerin Nora Ramón. 6000 Euro zusätzlich nahm die Kooperative dadurch ein. Davon kaufen sie aufgrund der Vorgabe der UNO neue Kakao-Setzlinge. „Wir konnten durchsetzen, dass wir sie bei einem unserer Kooperativenmitglieder erwarben“, erzählt Ramón. Das hat den Vorteil, dass diese Kakaobäume deutlich besser an das feuchte amazonische Klima angepasst und weniger anfällig für Pilzkrankheiten sind. So wird lokale Forschung gefördert, und das Geld bleibt im Wirtschaftskreislauf von Panguintza.“ Weniger glücklich ist Ramón über die Kosten der Blockchain. Die von Fairchain eingesetzte Software kostet stolze 12.000 US-Dollar: „Das können wir momentan nicht selbst tragen.“ Auch die Marktstudie und Marketingkampagnen wären für die Kooperative alleine nicht zu stemmen. 

Für Fairchain war das Experiment trotzdem ein Erfolg. Die Blockchain-Schokolade war innerhalb weniger Monate ausverkauft; knapp die Hälfte der KäuferInnen aktivierte den QR-Code, davon zahlten 90 Prozent den Bauern den Zuschuss. Besonders unter 25-Jährige waren von der Blockchain begeistert. „The Other Bar ist ganz klar eine nachhaltige Wahl mit positiven Auswirkungen für die Landwirte und für eine gerechte Entwicklung. Andere Marken sind oft intransparent, weshalb es schwierig ist, in Erfahrung zu bringen, ob das Produkt mit den eigenen Werten übereinstimmt“, kommentierte beispielsweise ein Käufer. Finanziell allerdings wäre das Projekt ohne die sechsstellige Summe der UNO nicht möglich gewesen.

Für den lokalen Manager von Fairchain, Jorge Suesúun, wird Blockchain in Lieferketten in absehbarer Zeit weltweit Standard sein, auch vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Regelungen in Europa. Dennoch sind bislang große Lebensmittelkonzerne nicht bei Fairchain eingestiegen. Suescún hofft, Organisationen ins Boot zu holen, die weltweit Siegel vergeben für Fairtrade, organische Produktion oder Waren, die ohne Kinderarbeit und Regenwaldabholzung entstanden sind. „Blockchain hat Potenzial, all diese Siegel zu ersetzen“, sagt er.  Für die Bauern wäre das finanziell vor allem dann interessant, wenn eine einzige Blockchain alle Siegel beinhalten würde. 

Ein Werkzeug, aber keine Patentlösung

Was die Blockchain nicht ersetzen kann, sind Vorort-Kontrollen. Deshalb nutzt zum Beispiel das deutsche Fairtrade-Label sie bislang nicht. „Blockchain ist letztlich nur ein technisches Werkzeug, keine Patentlösung“, sagt William Crumpler, Technologieexperte beim Zentrum für Strategische und Internationale Studien. „Sie hilft, Daten zu schützen, aber kann nicht garantieren, dass diese Daten auch korrekt eingetragen wurden.“ In den Händen skrupelloser Mittler könne Blockchain sogar dazu dienen, korrupte Daten zu legitimieren. 

Was eigentlich geändert werden müsse, sei das ganze System des Welthandels für Kolonialwaren, sagt Carla Barboto vom ecuadorianischen Schokoladenhersteller Pacarí. „Die Preise werden vom Verkaufsmarkt her konzipiert, nicht von dem, was ein Produzent zum Überleben braucht“, sagt sie. Pacarí macht schon seit 2002 das Gegenteil und mischt die Kakaowelt mit fair gehandelten und preisgekrönten Premiumschokoladen auf. Die Firma hat mehrere Siegel. „Eine Blockchain würde uns nur zusätzlich kosten und derzeit keinen weiteren Nutzen bringen“, resümiert Barboto.

Diese Reportage entstand mit Unterstützung von Real21 und einem Stipendium des Journalismfund.eu

Text: Sandra Weiss, Mexiko

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