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Ecuador: 68 Tote bei Bandenkrieg hinter Gittern

Der vierte Gefängnisaufstand in Ecuador in diesem Jahr war von Experten beinahe erwartet worden. Ein brutaler Bandenkrieg tobt hinter Gittern und ist nur möglich, weil strukturelle Defizite seit Jahren nicht beseitigt werden, kritisiert Fernando Carrión von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso).

Völlig überfüllter Gefängnistrakt in der peruanischen Haftanstalt Lurigancho. Foto (Symbolbild): Adveniat/Martin Steffen

Völlig überfüllter Gefängnistrakt in der peruanischen Haftanstalt Lurigancho. Foto (Symbolbild): Adveniat/Martin Steffen

El Litoral heißt die größte, aus zwölf Blocks bestehende Haftanstalt Ecuadors, nahe der Hafenstadt Guayaquil. Laut der Nachrichtenagentur AP sind dort mehr als 8.500 Häftlinge untergebracht, deutlich mehr als die maximale Kapazität von 5.000. In der Nacht vom Freitag, 12. November 2021, auf Samstag passierte genau das, wovor Experten seit Wochen warnen: ein neues Massaker hinter Gittern. 68 Insassen kamen ums Leben – bei einem Bandenkrieg Ende September waren es 119. Die Opfer wurden zum Teil bestialisch ermordet und - wie auch Ende September - kursierten Gerüchte über geplante Angriffe zwischen den unterschiedlichen Gefängnisblocks bereits vorab in der Haftanstalt.

Krieg konkurrierender Drogenbanden

Hinweise auf die Gewalteskalation gab am frühen Freitagmorgen die Festnahme von drei Männern, die zwei Gewehre, fünf Pistolen, Dynamit und Munition in das Gefängnis schmuggeln wollten, wie AP berichtet. Trotz des bezeichnenden Fundes begann gegen 19 Uhr der Angriff auf Block II. Angeblich sei dort, so eine Version, ein Anführer in den letzten Tagen entlassen worden, worauf eine größere konkurrierende Bande, Los Choneros, den Block II habe übernehmen wollen. Eine andere Erklärung lautet, dass die Bande „Los Choneros“ nach dem Tod ihres Anführers Jorge Luis Zambrano im letzten Jahr zerfällt und sich in neue Strukturen auflöst. Sechs Fraktionen soll es geben, die sich neu orientieren. 

Ecuador als Drehscheibe des Kokainhandels

Sicher ist, dass in der Haftanstalt „El Litoral“ brutal um die Kontrolle der Drogenrouten innerhalb und außerhalb der Haftanstalt gekämpft wird, so Fernando Carrión von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso). Das zwischen den beiden größten Kokainproduzenten Peru und Kolumbien gelegene Ecuador ist mit dem Hafen Guayaquil zur Drehscheibe geworden. Auf 500 Tonnen schätzen Experten wie Carrión die über Ecuador vertriebene Menge Kokain. Ecuadors Banden sind eng verbandelt mit dem mexikanische Sinaloa-Kartell und der Konkurrenz vom Kartell Nueva Generación aus Jalisco.

Korrupte Beamte und mangelnde Sicherheit

Dabei ist es kein Zufall, dass der Krieg in den Vollzugsanstalten des Landes stattfindet, wo die Häftlinge sich weitgehend selbst überlassen sind, wo sich Vollzugsbeamte bestechen lassen und Waffen hinter Gitter schmuggeln. Jeder Vollzugsbeamte in Ecuador ist für 26 Häftlinge verantwortlich, obgleich die Vereinten Nationen ein Verhältnis von eins zu zehn empfehlen, so Carrión. Viele der Inhaftierten sitzen zudem für Bagetelldelikte in Untersuchungshaft, wie Ladendiebstahl oder Verkauf kleiner Mengen Marihuana. Dafür sind Defizite im Justizsystem mitverantwortlich, die dafür sorgen, dass Häftlinge jahrelang auf ihren Prozess warten.

Zudem sind die Sicherheitsmaßnahmen in den Justizvollzugsanstalten des Landes nicht ausreichend, was auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission kritisierte. Sie verurteilte das Blutbad von Ende September im Gefängnis El Literol. "Wir erinnern daran, dass Staaten die Pflicht haben, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit von Häftlingen zu garantieren", hieß es in einer Stellungnahme. "Wir fordern Ecuador dazu auf, die Sicherheitsmaßnahmen in den Gefängnissen zu erhöhen und kriminelle Aktivitäten zu unterbinden."

Ausnahmezustand löst kein Problem

Der unmissverständliche Ton der Kommission hat auch damit zu tun, dass es in Ecuador in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Gefängnissen kam. Im Juli starben bei Kämpfen in Haftanstalten in Cotopaxi und Guayaquil insgesamt 21 Menschen, im Februar waren es 79 und 2020 registrierte die Ombudsstelle für Menschenrechte 103 Opfer. Doch bisher ist den politisch Verantwortlichen wenig mehr eingefallen, als immer wieder den Ausnahmenzustand über die Haftanstalten zu verhängen und Polizei und Militäreinheiten zur Hilfe zu rufen. 

So auch diesmal. Der Ausnahmezustand ist allerdings bereits seit Anfang Oktober verhängt, so dass sich die politisch Verantwortlichen fragen lassen müssen, wie es sein kann, dass trotz des Ausnahmezustands hinter den Gittern ein Krieg tobt. Präsident Guillermo Lasso schob den schwarzen Peter der Justiz zu. Die Verfassungsrichter hätten ihm untersagt, die Armee in und um die Haftanstalten einzusetzen. Zu Recht, so Carrión, denn Soldaten seien dafür nicht ausreichend ausgebildet. Das sehen die Richter auch so, die dem Vollzugssystem bereits im März eine „schwache Institutionalisierung“ bescheinigten.

Häftlinge bleiben sich selbst überlassen

Menschenrechtsanwälte, wie Carlos Montenegro, mahnen längst strukturelle Reformen an. An denen führe kein Weg vorbei, so Carrión. Ob ältere Häftlinge nicht genauso entlassen werden sollten wie all jene, die wegen Bagatelldelikten einsitzen, ist zumindest in der Diskussion. Das könnte zumindest das Problem der Überbelegung reduzieren. Doch damit ist es noch nicht getan: Es müsse mehr Personal geben und für mehr Sicherheit gesorgt werden. Die Häftlinge dürften nicht sich selbst überlassen werden, kritisiert Carrión. 

Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt die Gefängnisseelsorge in vielen Ländern Lateinamerikas, hier ein Beispiel aus Brasilien: „Gewalt kann nicht durch Gewalt verhindert werden.“ Davon ist die Leiterin der brasilianischen Gefängnispastoral, Schwester Petra Pfaller, überzeugt.

Autor: Knut Henkel

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