Die Armut wächst, der Reichtum auch: Studie zu Corona-Folgen in Lateinamerika
Während wegen der Corona-Pandemie 52 Millionen Menschen in Lateinamerika von Armut bedroht sind, konnten einige der Reichsten ihre Vermögen sogar noch vergrößern. Das zeigt eine neue Studie von Oxfam. Die Hilfsorganisationen ruft die Regierungen zum Handeln auf.
Die Corona-Pandemie verstärkt die Ungleichheit in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik noch weiter: Während in Folge der Krise 52 Millionen Menschen in die Armut abrutschen könnten, haben einige Superreiche in der Region sogar von der Krise profitiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Montag veröffentliche Studie der internationalen Hilfsorganisation Oxfam. Demnach sei das Vermögen der geschätzt 72 Milliardäre in der Region seit Beginn der Krise im März um insgesamt 48 Milliarden US-Dollar gestiegen. Neun Personen schafften demnach während dieser Zeit in Lateinamerika den Sprung vom Millionär zum Milliardär. Aufgrund ihres enormen Reichtums könnten Vermögende laut der Studie flexibler als andere auf den weltweiten Kollaps der Wirtschaft reagieren und ihre Investitionen in sichere und rentablere Vermögenswerte stecken.
Im Gegenzug dazu seien in diesem Jahr rund 40 Millionen Menschen in Lateinamerika und der Karibik wegen der Folgen der Pandemie von Jobverlusten bedroht. Denn die negativen Auswirkungen auf die Volkswirtschaften aufgrund der Pandemie zeigten sich in besonderem Maße in den Ländern, die stark vom internationalen Tourismus und Rohstoffhandel abhängig sind. Faktoren, die in den meisten Ländern Lateinamerikas eine zentrale Rolle spielen. Deshalb erwartet der Internationale Währungsfonds einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr von 9,4 Prozent in Lateinamerika und der Karibik – in Peru könnte der Rückgang mit knapp 14 Prozent sogar noch drastischer ausfallen. Besonders hart treffen die Verwerfungen der Wirtschaft laut Oxfam Frauen, Migranten und Arbeiter des informellen Sektors.
Das wirtschaftliche Ungleichgewicht trage laut dem ausführenden Direktor von Oxfam, José María Vera, auch erheblich dazu bei, dass sich Lateinamerika zu einem neuen Epizentrum des Coronavirus entwickelt hat: Aufgrund mangelnder sozialer Sicherungsnetze und dem hohen Anteil an informellen Arbeitern in den Ländern müssten viele Menschen trotz Pandemie ihr Haus verlassen, um über die Runden zu kommen. Seit Beginn der Krise haben sich laut den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation mehr als 4,3 Millionen Menschen in der Region infiziert – und die Kurve zeigt weiterhin steil nach oben.
"Die sehr hohen Vermögen haben eine Schuld gegenüber unseren Gesellschaften"
Die Corona-Pandemie könnte das Problem noch verstärken: Oxfam schätzt, dass alleine dieses Jahr wegen Covid-19 mehr als hundert Milliarden Dollar an Steuergeldern in den Staatskassen der Länder fehlen werden. Das entspräche etwa 59 Prozent der Aufwendungen für das öffentliche Gesundheitswesen in der Region.
Oxfam fordert deshalb Steuerreformen, die vor allem hohe Vermögen stärker belasteten. "Die sehr hohen Vermögen haben eine Schuld gegenüber unseren Gesellschaften. Es ist Zeit, dass sie ihren gerechten Anteil beitragen", meint Vera von Oxfam. Vor allem bei der Besteuerung von Vermögen über einer Million Dollar sieht die Organisation Handlungsbedarf. Bisher existiere eine entsprechende Vermögensteuer nur in Kolumbien, Uruguay und Argentinien. Oxfam schätzt, dass die Einnahmen der Staaten insgesamt um jährlich rund 14 Milliarden Dollar steigen könnten, wären die nationalen Regierungen dazu bereit, Nettovermögen über einer Million zwischen 2 und 3,5 Prozent zu besteuern.
Oxfam stützt die Studie auf Berechnungen auf Basis von Zahlen des Wirtschaftsmagazins Forbes, das regelmäßig die Vermögen der reichsten Personen weltweit schätzt, und auf Ergebnisse anderer Studien von Organisationen, wie der Weltbank und der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL). Oxfam schreibt selbst, dass es sich bei den Ergebnissen häufig um Schätzungen handelt, da valides Zahlenmaterial fehle.